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Ornithologie
Vom Nutzen stinkender Parasiten

Zahlreiche Vogelarten haben Abwehrmechanismen entwickelt, um zu verhindern, dass sie ein Kuckucksei ins Nest gelegt bekommen. Nicht so Aaskrähen in Nordspanien: Sie stören sich nicht nur nicht am Kuckucksküken - es könnte sogar das Überleben der Brut sichern.

Von Franziska Konitzer | 01.04.2014
    Clamator glandiarus: der Häherkuckuck, beheimatet im Mittelmeerraum, etwas größer als unser einheimische Kuckuck, aber mit derselben Vorliebe, seine Eier in fremde Nester zu legen – zum Beispiel in das von Aaskrähen. Viele Vögel haben Abwehrmechanismen entwickelt, um nicht fremde Küken auszubrüten. Sie verstecken beispielsweise ihre Nester, sodass sie nicht von einem Kuckuck gefunden werden. Oder sie erkennen das Kuckucksei und stoßen es aus dem Nest. Allerdings: Aaskrähen gehören nicht dazu.
    "Aaskrähen kümmert es nicht, wenn Häherkuckucke in der Nähe sind. Wir haben einmal einen weiblichen Kuckuck dabei beobachtet, wie sie einfach geduldig auf einem Nest nahe einem Nest gewartet hat, bis das Krähenweibchen auf Nahrungssuche gegangen ist. Das Krähenweibchen war dabei, seine Eier auszubrüten. Und als sie das Nest verlassen hat, ist das Kuckucksweibchen einfach zum Nest geflogen und hat dort sein Ei gelegt. Und sonst ist nichts passiert",
    so Daniela Canestrari von der spanischen Universität Oviedo. Im Gegenteil zu anderen Kuckucksarten entfernt der Häherkuckuck das fremde Gelege nicht. Dennoch haben die jungen Krähen unter dem Brut-Parasit zu leiden:
    "Am Anfang der Nestlingszeit sterben normalerweise einige Krähenküken aufgrund des Wettbewerbs mit dem Kuckucksküken. Die Brut der Krähen verringert sich also."
    Kuckucksküken schreckt andere Räuber ab
    Es stellt sich daher die Frage, warum die Aaskrähen nichts gegen den Schmarotzer in ihrem Nest unternehmen. Die Antwort darauf fanden die Forscher um Daniela Canestrari, als sie die Daten einer 16-jährigen Langzeitstudie aus einer Region in Nordspanien auswerteten. Nester mit Brutparasiten schnitten nämlich genauso gut ab wie Nester ohne Kuckucksküken; die Krähen konnten also ihre Brut großziehen. Sie hatten insgesamt sogar einen leichten Vorteil durch die Parasiten. Im Einzelfall hing das davon ab, wie viele Räuber den Vögeln zusetzten.
    "Wenn es ein Jahr mit wenigen Räubern ist, dann bringen Nester mit Brutparasit weniger Krähen hervor als Nester ohne Parasit. Das liegt an der Brutreduktion am Anfang der Nestlingszeit. Aber in einem Jahr, in dem es viele Räuber gibt, hat ein Nest mit Brutparasit größere Chancen, ihnen zu entkommen, weil ein Kuckucksküken da ist."
    Halbwilde Katzen oder Raubvögel fressen normalerweise die jungen Krähenküken. Doch irgendetwas an den Kuckucksküken verdirbt den Räubern offenbar den Appetit. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um ein schwarzes Sekret, das die Küken über ihre Kloake absondern, sobald sie gepackt werden - die Nasen der Forscher gaben hier den entscheidenden Hinweis.
    "Es riecht furchtbar. Dadurch sind wir darauf gekommen, dass das ein Mechanismus sein könnte. Der Geruch ist sehr, sehr beißend, für eine menschliche Nase ist er wirklich schlecht. Daher haben wir gedacht, dass vielleicht auch Tiere nicht gerade glücklich darüber wären, etwas zu essen, das so riecht. Er hat eine ölige, ziemlich flüssige Konsistenz. Und als wir das Sekret chemisch untersucht haben, ergab die Analyse, das es einige säurehaltige und leicht giftige Stoffe enthält."
    In der Tat wollten potenzielle Räuber, zum Beispiel Katzen, mit dem Sekret präpariertes Fleisch in Versuchen nicht anrühren. Ein Hinweis - aber kein Beweis. Vielleicht schnitten Nester mit Brutparasiten auch einfach besonders gut ab, weil sich Häherkuckucke besonders starke Krähen als Adoptiveltern aussuchen. Das Team um Canestrari führte deshalb eine sogenannte Translokationsstudie durch. Die Forscher entfernten Kuckuckseier aus Krähennestern und legten sie in andere Krähennester, die vorher nicht von einem Brutparasiten befallen waren. Das Ergebnis war das gleiche wie bei der Langzeitstudie: Die Nester mit Parasit brachten ihre Brut insgesamt besser durch als die Nester, die nur Krähenküken enthielten. Die Forscher werten das als Beweis, dass tatsächlich die Anwesenheit eines Kuckuckskükens samt seines stinkenden Sekrets den Ausschlag gibt. Für die Aaskrähe ist der Häherkuckuck also nicht nur ein ressourcenzehrender Parasit. Stattdessen profitieren er und die Krähe jeweils voneinander - und deshalb stört sich die Aaskrähe auch nicht an einem Kuckucksei in ihrem Nest.