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Orte für stille Genießer

Wenn man südliches Niedersachsen und Ostwestfalen hört, denkt man eher nicht an lohnende Reiseziele. Zu Unrecht. Die Region hat sich zu einem Ort für stille Genießer, für Kultur- und Gartenliebhaberinnen entwickelt.

Von Gaby Mayr |
    Auffahrt nach Schloss Ippenburg
    Auffahrt nach Schloss Ippenburg (Deutschlandradio - Gaby Mayr)
    Überraschend ist es schon, wenn im ländlich-friedlichen Südniedersachsen plötzlich Schlachtenlärm am Wegesrand ertönt. Unter tief herabhängenden Zweigen brüllt und wiehert es hervor.

    Die Geräusche dröhnen aus einem halb in die Erde eingegrabenen kolossalen, blechernen Römerhelm - die iglu-artige Klangskulptur der bulgarischen Künstlerin Slava Nakovska ist Teil der diesjährigen Kunstaktionen zur Erinnerung an die Varusschlacht im nahen Wiehengebirge vor 2000 Jahren.

    Den Platz unterm Baum hat Victoria von dem Bussche, Hausherrin auf Schloss Ippenburg, gerne zur Verfügung gestellt: Das Kunstwerk passt gut zu ihrer Idee, in ihrem Garten für immer neue Überraschungen zu sorgen.

    Seit den 1990er-Jahren experimentiert Victoria von dem Bussche beim Pflanzen mit explosiven Form- und Farbkombinationen.

    "Sie sehen hier so eine Art Magentapink und dazu plötzlich ein Krachgelborange, und solche Dinge nebeneinander, wo man sagen würde, Hilfe, das geht doch gar nicht. Aber ich finde es großartig."

    Victoria von dem Bussche kam Mitte der 1970er-Jahre nach Schloss Ippenburg. Das englisch inspirierte Herrenhaus stammt aus dem 19. Jahrhundert - es ist bereits das dritte Bauwerk an dieser Stelle.

    Schlanke Fenster, Erker, ein vielfach gestufter Giebel über dem Eingangsportal, dahinter einhundert Zimmer - aber das Schloss wirkt doch ein wenig düster. Der weitläufige Garten setzte dem nichts entgegen.

    "Die Familie hatte sich ja hier ursprünglich hingesetzt an diesen Platz, weil es Sumpfgebiet war und eine kleine Festung. Sie hatten einen großen Obstgarten, immer. Und es gab den großen Steingarten. Aber der war völlig zugewuchert. Also diese Leidenschaft, die zur Zeit der englischen Gärten plötzlich ausgebrochen ist, die ist an Ippenburg vorbei gegangen."

    Victoria von dem Bussche begann gleich nach ihrer Ankunft, Beete anzulegen. Nachdem die vier Kinder flügge waren, legte sie richtig los.

    Seit dem Jahr 2000 holt sie zur Natur die Kunst in ihren Garten.

    Das Schloss bleibt der Familie vorbehalten, aber in ihren Garten lädt Victoria von dem Bussche im Sommer gerne ein, immer Sonntags, bis Ende September.

    Hinter dem Schloss verlieren wir uns in einem Irrgarten. Der schmale Gang zwischen übermannshohen Heckenwänden macht eine weitere Biegung. Plötzlich öffnet sich das Labyrinth und gibt den Blick frei, man sieht - blau.

    Hoch über einem Meer aus blauen Blumen ruht auf Stangen ein Kranz aus Reisigen, wie ein Storchennest, kornblumenblau eingesprayt. In seiner Mitte hängt eine pinke Strickleiter herunter.

    Tritt man unter die Leiter, tönt es wie im tropischen Regenwald. "Wolkenkuckucksheim" hat die Künstlerin ihr Werk genannt.

    Zurück ins Labyrinth, auf die Suche nach weiteren fantastischen Gärten. Da lugen knallrote Gartenzwerg-Zipfelmützen aus der Erde, riesige hölzerne Mohrrüben sprießen zwischen eleganten Gräsern. Mies van der Rohes Pavillon von der Weltausstellung in Barcelona 1929 stand Pate bei einem klassisch modernen Bungalow-Modell, der zugehörige Garten gibt sich ebenfalls geradlinig und ein wenig karg.

    Ein paar Labyrinth-Ecken weiter hat Sylvan Luth Tschechows ländliches Russland nach Schloss Ippenburg geholt:

    "Dies heißt jetzt hier "Bei Onkel Wanja". Muss man sich vorstellen, eine Hütte am Schwarzen Meer, mit viel Wein und ein üppiger Blumengarten, aber auch mit Gemüse und Kartoffeln und Mais. Der junge Mann, von dem diese Hütte stammt, das ist ein Russlanddeutscher, der bei mir arbeitet, und der hat ein Haus gekauft von so einer alten Frau, und diese Hütte haben wir einfach abgebaut, und also es ist wirklich diese Welt von Onkel Wanja hier drin."

    Wenige Kilometer von Schloss Ippenburg entfernt, bequem mit dem Fahrrad zu erreichen, haben von dem Bussche-Vorfahren ein weiteres Herrenhaus erbauen lassen. In Schloss Hünnefeld ist heute ein anderer Zweig der Familie zu Hause.

    In der "Alten Rentei" neben der Auffahrt zu dem veritablen Barockschloss war früher die Gutsverwaltung untergebracht, jetzt beherbergt das Fachwerkhaus ein Café. In der Küche backt Ilse Heide für die Nachmittagsgäste.

    "Das wird Quarkbrot, für unsere kleinen Gerichte hier zum Wochenende, da machen wir meist selber unser eigenes Brot dazu, für kleine Pasteten mit Salat oder Suppen. Kommt immer ganz gut an."

    Ilse Heide ist die Tante von Schlossherrin Luise von dem Bussche. Auf Schloss Hünnefeld kümmern sich Familienmitglieder gerne persönlich um ihre Gäste.

    Luise von dem Bussche bietet am Wochenende Führungen durch den Schlossgarten und ein kleines Museum an.

    "Wie Sie sehen, haben wir hier sehr viele Gebäude, und man muss Gebäude mit Leben füllen. Und ich denke man muss gerade heutzutage solche Kulturerbstücke, die man hat, auch der Öffentlichkeit zu einem gewissen Grade, wie man´s halt machen kann, jeder für sich muss das ja abwägen, zugänglich machen."

    Kaffee, Tee und delikater Kuchen werden bei schönem Wetter draußen neben dem Taubenturm serviert. Wie ein überdimensionaler, gespitzter Bleistift kratzt der weiße Turm aus dem Jahr 1710 am Himmel, übersät mit Ein- und Ausfluglöchern für die Vögel.

    "Der Taubenturm hat mehrere Bedeutungen hier für das Haus. Es war einmal das Privileg des Adels, dass man Tauben züchten und halten durfte. Und zum Anderen symbolisiert er hier für Hünnefeld die Gerichtsbarkeit. Man konnte hier auf den Hof kommen mit kleineren Streitigkeiten, Grenzstreitigkeiten, solche Sachen konnten hier geschlichtet werden."

    Taubenturm, Schloss und Garten kann man auch ganz in Ruhe und sozusagen von gehobener Warte aus betrachten. Im ersten Stock der Alten Rentei vermietet Luise von dem Bussche drei Gästezimmer.

    Die Zimmer sind freundlich - und mit alten Möbeln - eingerichtet.

    "Wir haben Betten aus dem Haupthaus hier rübergeholt. Die mussten wir allerdings um zehn Zentimeter verlängern, weil wir ja heute ein bisschen größer sind als die Menschen damals."

    "Das Schönste ist meistens die Anfahrt, die gerade in Böckel außerordentlich reizvoll ist, indem sie zwei alte Wassergürtel auf Brücken überschreitend durch mehrere Tore bis in den inneren, eigentlichen Schlosshof führt, der dann gleich gegen den Park zu sich offen hält."

    Rainer Maria Rilke begeisterte sich für Gut Böckel in Ostwestfalen, als er im Winter 1917 dort drei Monate lang zu Gast bei seiner Dichterkollegin Hertha Koenig war.

    Auch den Grundstein zu Gut Böckel hatte ein Von dem Bussche gelegt. Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Anwesen verkauft, erzählt Karen Leffers.

    "Der Besitz ist gekauft worden von Leopold Koenig, dem legendären Zucker-Koenig, der in Russland riesige Ländereien hatte, weil er die Zuckerrübe angebaut hat. Der hat also ganze Landstriche beschäftigt und bebaut."

    Zucker-Koenigs Enkelin Hertha wuchs auf Gut Böckel auf, sie wurde bekannt als Lyrikerin und übernahm später auch die Verwaltung der Landwirtschaft. Hertha Koenig öffnete das Haus für die Kunst, ihr Anwesen wurde zu einem Ort des Gedankenaustausches und künstlerischer Darbietungen.

    An diese Tradition knüpfen Karen und Ernst Leffers heute an. Sie hatten Gut Böckel 1991 für den Sohn gekauft, wegen der Landwirtschaft. Die Gebäude waren in schlechtem Zustand:

    "Es war also wirklich verfallen, aber hatte trotzdem einen ganz großen Charme. Und dann haben wir irgendwann angefangen, den Kuhstall drüben, haben uns alle geraten, den kann man überhaupt nur abreißen, was soll man damit machen. Das haben wir aber nicht getan, und mein Mann, der großer Musikliebhaber ist - ich mach eigentlich alles, was mit Literatur zu tun hat und er das Musikalische - hat gesagt: Stell dir vor, wenn hier irgendwann mal ein ganzes Orchester spielen würde."

    Einige Tage im Jahr öffnet Gut Böckel sein Tor, für Musikinteressierte und Literaturbegeisterte. Konzerte und Lesungen finden in umgebauten Ställen und restaurierten Räumen statt. Bei der Geschichte des Hauses liegt es nahe: Die dargebotene Kunst hat oft einen Bezug zu Russland.

    Die Besucher der Veranstaltungen und des Weihnachtsmarktes, der jedes erste Adventswochenende auf Gut Böckel abgehalten wird, können sich auf dem Anwesen umschauen, auch die Kapelle ist zugänglich.

    Alle Gebäude erstrahlen mittlerweile wieder in sattem Gelb - dafür sorgt das Ochsenblut, mit dem - nach altem Rezept - die Farbe angerührt wurde.

    Der Park hat seinen Ritterschlag zum Europäischen Gartenerbe vor allem seinen mächtigen alten Bäume zu verdanken. Am Rande der Wiese ragt eine waghalsige Leiterkonstruktion in den Himmel, an deren Spitze greift ein Mann nach den Sternen. Oder doch nur nach dem nächsten Baumwipfel? "Meet the Angel - Begegne dem Engel" hat der russische Künstler Ilya Kabakov seine Skulptur genannt.

    "Ilya Kabakov hatte ein Modell von diesem Kunstwerk. Und als er herkam, war er sehr begeistert von dem Park und von dem Ort und hat erzählt, er suchte seit sechs Jahren irgendwo auf der Welt einen Platz, wo er dieses Werk aufbauen könnte. Und hier ist er."