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Osama und Hollywood

Vermutlich wird bis ans Ende der Tage der Namen des britischen Autors Mark Ravenhill mit dessen Theaterstück "Shoppen und Ficken" von 1996 verbunden werden. Sein neuestes Werk heißt schlicht "Das Produkt". Es ist eine Art Hollywood-Satire, die Thomas Ostermeier an der Schaubühne auf Deutsch erstmalig herausbrachte. Ein Filmproduzent, ein gewisser Osama bin Laden, Guantanamo und eine verräterische Frau sind auch dabei.

Von Hartmut Krug |
    Ein Mann und eine Frau, er redet, und sie hört zu: erst interessiert und amüsiert, schließlich befremdet und genervt. Das Produkt, für das der Filmproduzent die Schauspielerin gewinnen will, ist ein Drehbuch voller Klischees und Männerphantasien. In dieser total übersteigerten Polit-Schmonzette lernt eine durch die Welt jettende Geschäftsfrau einen dunkelhäutigen Mann kennen und nimmt ihn, der mit seinem Messer und seinem Gebetsteppich reist, mit in ihr Londoner Loft, ein ehemaliges Schlachthaus. Hatte sie sich im Flugzeug noch gegenüber dem Mann durch eine sexuell grundierte Tötungsphantasie geträumt, so erlebt sie nun mit diesem jungfräulichen Mohammed den besten Sex ihres Lebens. Doch ihr Freund ist beim Anschlag von 9/11 in einem der Türme umgekommen, weshalb sie nach dem Sex Probleme hat.

    Natürlich ist Mohammed ein Al-Qaida-Selbstmordattentäter, und im Loft der Frau versammeln sich zehn Männer, selbst Osama bin Laden kommt, denn Europa soll in Schutt und Asche gelegt werden. Da laut Filmproduzenten-Philosophie das Herz ein größeres Organ ist als das Hirn, will die Frau bei Mohammeds Anschlag auf das Pariser Disneyland dabei sein. Doch wieder träumt sie, diesmal vom Tod eines Kindes beim Anschlag, und verrät den Geliebten bei der Polizei. Er kommt nach Guantánamo und wird gefoltert, sie lässt sich durch ein leeres Leben mit schmutzigem Sex treiben, bis sie sich zur Superkämpferin ausbildet und Mohammed in Guantánamo befreit. Der Mann findet dabei den Tod, die Frau verspricht Allah, Rache zu nehmen. Das Produkt aber konnte nicht an die Schauspielerin gebracht werden, denn die geht ohne ein Wort.
    Mark Ravenhill schrieb eine überbordende Hollywoodsatire, eine schmale Kabarettszene, ausgewalzt auf eine volle Stunde. Der der Autor eine skurrile Privatpsychologie unterlegt. Nach der braucht der Mensch für sein Seelenheil Feinde, und gerade die empfinde er auch noch als erotisch anziehend. Im Stück kommt das aber nur als die übliche männliche Angstphantasie vorm schwarzen Mann daher. Der Autor hat bei der Uraufführung des Textes 2005 in Edinburgh selbst den Mann gespielt, er ist mit dem Stück auf Tournee gegangen und hat es beim letzten Festival internationaler neuer Dramatik auch an der Schaubühne gezeigt. Jetzt zeigt Simone Kabst auf einem der beiden Barhocker auf leerer Bühne vor heller Leuchtwand in der Rolle der wortlosen Schauspielerin mitspielend reagierende Präsenz, während der souveräne Jörg Hartmann der Rolle des Filmproduzenten jedes kabarettistische Profil versagt. Hartmann bringt das Kunststück fertig, den Text ernst zu nehmen und gleichzeitig zu vermitteln, dass er nicht ernst zu nehmen ist. Der Schauspieler spricht sogar die Musik mit, demonstriert die Bildschnitte und Kamerapositionen und kommentiert sein Skript so, dass hinter den Klischees echte wie falsche Gedanken und Gefühle aufscheinen. Jörg Hartmann verweigert die reine Lachnummer: dadurch wird Ravenhills "Das Produkt" in Thomas Ostermeiers sorgfältig beiläufiger Inszenierung noch kein wesentliches Stück, aber immerhin zu einem Theaterabend, über den man diskutieren kann.