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Oscar für 'Nirgendwo in Afrika'

Kleine Mädchen stehen in allen ihren bisherigen Filmen im Zentrum. Sie sind klug, sensibel, passen sich geschmeidig und offen der jeweiligen Situation an, – und besitzen letztlich alle genau die gewisse Bodenständigkeit und pragmatische Intelligenz, die den Erwachsenen letztlich fehlt.

Ein Beitrag von Rüdiger Suchsland | 24.03.2003
    Den Hinweis auf diese immer wiederkehrenden Figuren hört Caroline Link heute gar nicht mehr so gern und betont, dass es in ihrem letzten Film, "Nirgendwo in Afrika" ja auch zwei erwachsene Hauptfiguren gebe, dass dieser Film überhaupt reifer und spröder sei als seine Vorgänger. Man begreift diese Reserve nur zu gut, kann verstehen, dass die Münchner Regisseurin keinesfalls auf die Rolle derjenigen festgelegt werden möchte, die "gut mit Kindern" arbeiten kann. Gerade hierzulande ist man mit solchem Schubladendenken schnell bei der Hand.

    Aber wenn man den speziellen Link-Touch, das Geheimnis dieser Regisseurin entschlüsseln will, dem sie letztlich auch den gestrigen Gewinn des Auslandsoscars für "Nirgendwo in Afrika" verdankt, dann darf man die klugen kleinen neugierigen Mädchen dieser Filme nicht ganz übersehen. Und man kann vermuten, dass sich in ihnen, ein wenig zumindest auch etwas von der Regisseurin selbst finden lässt.

    Sie hat früh angefangen, und sehr präzise: 1985, gleich in ihrem ersten Kurzfilm, noch vor Beginn ihres Studiums an der Münchner Filmhochschule, portraitierte die damals 21jährige Caroline Link den Kameramann Gernot Roll. Mehr als 15 Jahre später, im Frühjahr 2001, reisten beide zusammen nach Kenia, um dort "Nirgendwo in Afrika" zu drehen.

    Dazwischen liegen viel Hartnäckigkeit und Unbeirrbarkeit. Bereits die Entstehungsgeschichte ihres Debüts "Jenseits der Stille" von 1996 belegt das. Zwei Jahre lang musste sie bei Produzenten und Fördergremien Klinken putzen, bevor die Finanzierung stand. Keiner wollte Geld für einen Film geben, bei dem Gehörlose im Zentrum standen. Aber Caroline Link gab nicht nach, und konnte schließlich den Film machen, den sie im Kopf hatte. Der Erfolg gab ihr recht. Über zwei Millionen Zuschauer wollten allein in Deutschland den Film sehen, eine erste Oscarnominierung gab es obendrein.

    Von der "Angst vor dem zweiten Film", die nach einem derartigen Erfolg andere geplagt hätte, war danach nichts zu spüren. Vielleicht hatte sie dafür einfach zu lange auf ihren ersten Film gewartet. Jedenfalls präsentierte sie nur eineinhalb Jahre später die Kästner-Verfilmung "Pünktchen und Anton" auf den Berliner Filmfestspielen. Es war eine fast zu perfekte Wahl: Populäre Unterhaltung, in erster Linie für Kinder, aber intelligent genug für Erwachsene. Und wieder gelang es Link, scheinbar mit spielender Leichtigkeit, ein Millionenpublikum anzusprechen.

    Wie viel Arbeit auch hinter dem steckt, das scheinbar leicht daher kommt, zeigte sich bei "Nirgendwo in Afrika". Es dauerte fast vier Jahre, bis aus der Idee, den autobiographischen Roman Stefanie Zweigs in Bilder umzusetzen, ein filmreifes Drehbuch wurde. Zwei Autoren wurden verschlissen, am Ende schrieb sie wieder allein, weil sie auch diesmal auf ihre ganz eigene Weise erzählen wollte, sich nicht dem Kommerz beugen mochte.

    "Nirgendwo in Afrika" wurde ein Film, der viele Facetten vereint: Die Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie, die vor dem Nazi-Terror nach Kenia flieht, erzählt gleichermaßen vom Schicksal deutscher Emigranten, das noch nie im Zentrum eines Kinofilms stand, wie von der Faszination der Europäer für den "schwarzen Kontinent", der Begegnung mit dem ganz Fremden. Er handelt von einer Liebesgeschichte in schweren Zeiten und vom Erwachsenwerden eines Kindes.

    Und wieder begegnen dem Zuschauer Elemente, die sich in allen Link- Filmen finden: Intensive, poetische Augenblicke, Momente wirklichen Kinos, in denen ihre Kamera fliegen lernt, der Blick begleitet von Musik für Sekunden abhebt und alle Erdenschwere hinter sich lässt. – um dann wieder auf dem Boden der Tatsachen zu landen. Immer erzählt Link von Lernprozessen, von einer mühsamen Annährung durch Erkenntnis. Die tiefste Kontinuität aber liegt im fröhlich-optimistischen Grundton, in der pragmatischen Überzeugung, dass in der Welt doch vieles möglich sei, in einer Absage an Grübelei.

    Mit ihrer ganz eigenen Art von emotionaler Intelligenz, dem Wunsch den Zuschauer aufzuklären – aber ohne je mit dem Pathos der früheren Autorenfilmer verwechselbar zu werden, wird Link jetzt zu einer Art Repräsentantin des deutschen Gegenwartskinos. Eine merkwürdige Karriere, denn es hat gute Gründe, dass sich Link mit niemandem im deutschen Film inhaltlich tiefer verbunden fühlt. Noch nie hat sie geglaubt, dass das, was und die Art, wie sie erzählt, irgendetwas mit einer Generation zu tun hätte.

    Keine Frage, dass der Oscar nun auch für Caroline Link ein bisschen überraschend kommt. Lange irritieren lassen dürfte sie sich trotzdem nicht. Dafür hat sie immer schon zu genau gewusst, was sie will.

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