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Ost-West gewinnt bei ''stücke 03''?

Lang und weit und blaugrau ist die Überfahrt von Spanien nach dem neu entdeckten Amerika, und sehr lang währt auch der ''Seidene Schuh'', der in ein sehr blaugraues Rund in die Jahrhunderthalle gesteckt wurde. Die Inszenierung wirkt maßgeschneidert und blutleer zugleich, der Geschichte fehlt die erlösende Kraft, von der doch immer die Rede ist. Denn es geht um nichts weniger als die ganz großen Fragen: nach Gott, dem Glauben und der Liebe. Doch anstatt das leidenschaftliche Feuer in diesem katholischen Sehnsuchts- und Erlösungsdrama anzufachen, produziert Stefan Bachmann fast protestantische Enthaltsamkeit, eine Art Büßerdrama mit kleinen Vignetten aus Poesie und Komik und einem eher peinlichen denn lustigen Trash-Kapitel über die dekadenten Eroberer in der Neuen Welt. Auch wenn das Publikum zu Beginn ziemlich ergreifend ''Großer Gott wir loben dich'' sang: man kann nicht sagen, dass Paul Claudels Riesenepos hier seine theatralische Erlösung fand.

Von Karin Fischer |
    Während in Bochum noch das Manna für die Triennale-Gläubigen verteilt wurde, durfte das Publikum in Mülheim sogar Gott spielen: die Publikums-Stimme ist beim Kritiker-Gleichstand ausschlaggebend für die Kür des Dramatiker-Preises. ''Zeit zu lieben, Zeit zu sterben'' von Fritz Kater alias Armin Petras gewann deshalb knapp vor Roland Schimmelpfennigs ''Vorher / Nachher''. Die Jury lobte vor allem Schimmelpfennigs Willen zur Form, die äußerst dichte Short-Cuts-Dramaturgie seiner kurzen Szenen. ''Zeit zu lieben...'' ist auch deutlich choreographiert mit seinem Wechsel von Erzählung, Chor und Dialog; ihm wurde die noch größere Welthaltigkeit attestiert und vor allem: mehr Humor. Das Stück ist ein sehr genauer Blick auf Ost-West-Biographien von Jugendlichen; es erzählt vom Erwachsenwerden in der DDR, von Pubertätskonflikten in verordneter Spießigkeit, von den kleinen Fluchten und großen Gefühlsdramen mit viel Slapstick und einigem soziologischem Geschichtsbewusstsein, wenn zum Beispiel die vielbeschworene DDR-Familie nur als gescheiterte vorkommt. Die Dauerpubertät junger Erwachsener bei zunehmenden Kontroll- und Ich-Verlust in einer immer komplexer werdenden Welt bildete eine Art soziologischer Klammer auch um Stücke wie ''Das kalte Kind'' von Marius von Mayenburg oder ''Nomaden'' von Ulrike Syha. Überall seelische Verrohung, Beziehungs- und Orientierungslosigkeit. Man tut sich weh oder blubbert einfach los, in den Versatzstücken von Werbung oder dem Jargon der Selbsterfahrung. Ein Ausschnitt aus Martin Heckmanns ''Schieß doch, Kaufhaus'':

    ''Also / Im namen des / Beziehungsweise / Ich / Auf jeden Fall habe ich ein ungutes Gefühl / Wir wollen doch alle, das müssen Sie doch verstehen / Ich möchte den Verhandlungen nicht vorgreifen / Lieber verschwinden, lieber keine Politik.''

    Dabei ist immer die Frage, wie weit man kritisieren kann, was man, wie in diesem Fall, pointengenau und mit sozusagen glattpolierter Oberfläche ausstellt. Martin Heckmanns steht in der kurzen Tradition der Traktate-Produzenten a la Pollesch und wurde damit jedenfalls zum erklärten Publikumsliebling.

    Der einzige Autor unter den JurorInnen, Oliver Bukowski, fühlt sich da nach den Blut, Sperma- oder Inzest-Dramen der letzten Jahre offenbar ganz heimisch:

    ''Was ich festgestellt habe, ist, dass die Protagonisten so zwischen 20 und 35 Jahre alt sind, so dass ich mir vorkomme wie in einer Szenekneipe in Prenzlauer Berg, wo die Intellektuellen jetzt nach abgeschlossenem Literaturstudium direkt zum Sozialamt fahren... Das ist diese Verzweiflung, die ich in vielen Texten sehe. Die Sprache ist so, dass die ganz großen Themen, Globalisierung, auf gleicher Ebene verhandelt werden mit ganz privaten Sachen. Das ist so eine Art Chat-Sprache geworden, da funktioniert das ja auch so. Man hebt alles ins Wort: man liebt nicht, man fasst sich nicht an, man redet nur noch.''

    Der inhaltliche Reflex auf die undurchsichtigen Systeme wird in der Form fortgesetzt: Es gibt kaum Figuren, gar keine Psychologie; statt dessen Textflächen, die dem Regisseur vor allem eins bieten: Freiheit. Auch das ist kein ganz neues Phänomen, wie an den Stücken der schon etwas älteren Sprachwüterin Elfriede Jelinek zu zeigen wäre. Zwischen ihr und der Jungautorin und Kleist-Preisträgerin Ulrike Syha liegen nicht nur inhaltlich Welten. Böse und mit Oliver Bukowski gesprochen: Texte, die früher nach Klagenfurt weitergereicht worden wären, können heute schon mal in Mülheim landen. Und dort auch gefallen.

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