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Ost-westlicher Gesangsdivan

Die 200 Jahre alte komische Oper "Il turco in Italia" von Gioacchino Rossini entwickelt eine komplizierte Liebesintrige mit interkulturellem Hintergrund. Nun ist die Oper nicht ohne ironischem Augenzwinkern unter Carlo Rizzi und David Hermann an der Niederländischen Nationaloper in Amsterdam inszeniert worden.

Von Frieder Reininghaus |
    Zu den nachhaltig wirkenden Schocks der frühen Neuzeit gehört der Fall Konstantinopels und das Vorrücken der türkischen Heere nach Westen. In Wien und Italien ist die Erinnerung daran lebendiger geblieben als in Berlin oder Köln. 1479 plünderten und vergewaltigten Truppen des Sultans Mehmed II. in Friaul und im Veneto. Ein Jahr darauf tauchten die Hassgegner von Kaiser und Papst auch in Süditalien auf und drohten auf Rom vorzurücken. Die brüchigen Allianzen des zerstrittenen "Abendlandes" hatten ihre liebe Mühe, hinreichend militärische Schlagkraft zur Abwehr aufzubringen. Die Erfahrungen einer langen historischen Phase von "Türkenkriegen" hallen im Libretto des jungen Felice Romani nach. Gestrige und heutige Regisseure können diese Reminiszenz als Folklore nehmen und nach bewährter Stadttheater-Art mit Postkartenästhetik ruhigstellen oder sie durch Zeit- und Ortlosigkeit neutralisieren, was dann in widersinniger Weise "psychologische Inszenierung" genannt wird.

    David Hermann geht einen anderen Weg, obwohl er vom Psychologisieren auch angekränkelt erscheint. Er erzählt, was auch schon eine bewährte Masche ist, die Intrige aus der Perspektive des Dichters Prosdocimo, der in Romanis Dramaturgie die Funktion des Philosophen Alfonso aus da Pontes und Mozarts "Così fan tutte" innehat. Ein wenig wurden der Text und die Musik geändert, damit das Ganze als Rückblick funktioniert: Der Poet, so das Konstrukt, wurde von seiner Gattin aus dem Haus geworfen, erlebt als Penner das überraschende Eindringen eines ziemlich überlegenen Fremden in seine lädierte Lebenswelt und spinnt eine Intrige, um ihn wieder aus Italien hinauszubekommen. Das Ambiente hierfür gestaltete Christof Hetzer durchaus süditalienisch modern: Ein graffitibesprühtes Haus aus besseren Tagen des Bürgertums dominiert das Bühnenbild. Neben Fiorillas Domizil mit seinen Balkons und Klappläden definieren zwei ramponierte Sitzbänke, die Rückwand eines Bolzplatzes, ein Garageneingang und ein dekorativer Strommast den öffentlichen Raum. Dazu eine Plakatwand. Sie beginnt, indem die Protagonisten zu singen anheben, ebenso so leben wie die Sprühkunst auf der Hausfront. Der Plakatwerbung für den Bollywood-Film "The Son of the Sheik" entsteigt der mit einer leichtgängigen Bass-Stimme begabte Alex Esposito, der Neapels Frauenwelt in freudige Vibration versetzt.

    Der Star des Abends ist Fiorilla: Olga Peretjatko, die beim Rossini-Festival in Pesaro und beim Festival d’Aix-en-Provence als Nachtigal triumphierte. Diese Sopranistin ist vom Dutt bis zur Sandale eine erotische Erscheinung – da muss nicht mehr erklärt werden, worum ihr Don Geronio in der Gestalt des gesetzt-korpulenten, freilich gleichfalls vorzüglich singenden Renato Girolami als Lebensprogramm nicht ausreicht.

    Der Rossini-Routinier Carlo Rizzi stellt mit Energie und Feinsinn den musikalischen Rahmen mit dem schlank besetzten Nederlands Philharmonisch Orkest her. Und David Hermann bespielt gekonnt die Bühneninstallation, zu der Martin Eidenberger so prägnante wie comickritische Videoeinblendungen bereitstellte. Der Situationswitz auf der Parkbank wird ebenso ausgekostet wie das weibliche Aufräumen auf dem Balkon, bei dem Olga Peretjatko Schnittlauch-, Petersilie und Basilikum-Töpfe als Wurfgeschosse einsetzt. Dann stößt sie dem aufdringlichen Selim den eigenen Dolch in die Brust – um ihn nur noch heftiger zu begehren. Also zieht sie die Stichwaffe wieder heraus wie Siegmund das Schwert Nothung aus der Weltesche der "Walküre". So gerät die langatmige Geschichte vom Mann zwischen zwei Frauen ganz und gar kurzweilig, bis nach der finalen Hasch-Party Geronio seiner Fiorilla großmütig verzeiht, die sich beinahe – auf Anraten des Dichters – vom Filmstar Selim hätte entführen lassen, der aber passenderweise die verschleierte Zaide untergeschoben bekommt und mit der ab durch die Mitte geht. So kommt die ethnisch strukturierte Welt wieder in die rechte alte Ordnung – mit ironischem Augenzwinkern.