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Ostdeutsche Avantgarde oder Stalin-Revival

Sowjetsterne und andere Revolutionsinsignien geistern durch die Werbung und schmücken jugendliche T-Shirts. Es gibt zahlreiche Arten von DDR-Versandhandlungen und Auftritten im Internet: Wie beim Porno ist von soft bis hardcore alles vorhanden, von Klamauk über Geschäftssinn pur bis zum Hoch auf die Kalaschnikow, jenem störunanfälligen Maschinengewehr. Die DDR verbindet den vielleicht doch nur scheinbar gescheiterten Realsozialismus zur heute konsumierbaren Pop-Kultur.

Von Lutz Rathenow |
    "Good Bye, Lenin!" heißt der Erfolgs-Film, in dem wohl bald jeder Deutsche gewesen sein wird. Eine parteitreue SED-Genossin verfällt direkt vor der Maueröffnung ins Koma und erwacht ein halbes Jahr später. Um das Herz der Mutter zu schonen, spielen ihr die Kinder einen Stillstand der Zeit vor. Und während sich samt ihrem Geld die DDR zu verabschieden beginnt, verwandelt sie sich im Film zum besseren Deutschland. Sie wird vom ersten Kosmonauten dieses Staates regiert, der sich plötzlich ganz abseits der Satire in eine plausible Möglichkeitsform verwandelt. Das ist keine Nostalgie oder Ostalgie mehr, es handelt sich um eine Neuerfindung. Die DDR gerät immer spannender, seit und weil sie verschwunden ist. Es wächst die Verlockung DDR zu spielen und sie neu zu entdecken. Auch für Westdeutsche. Die einen lenken sich und ihre Unzufriedenheit mit der bundesdeutschen Gegenwart ab, Rache ist immer noch süß und für Rache an der BRD taugt DDR noch immer. Für andere sind es ein paar exotische Details mehr, die jene ins Globale driftende Popkultur beleben.

    Ein eher grau und trist wirkender Staat verwandelt sich in der Erinnerung in ein fortwährendes Märchen. "Es war einmal" – eine Zeit voller Absurditäten, die darauf warten in die gegenwärtige Mediengesellschaft übersetzt und als Film, Bühnenstück oder Buch aufbereitet zu werden. Nur mit dem Ballett hapert es noch. Ein Erlebnispark DDR wird in Berlin-Oberschöneweide geplant, da hagelt es dann Grenzkontrollen und andere kleine Schikanen. Das Bürgerkomitee Leipzig protestierte gerade gegen drohende Kürzungen bei der "Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur". Ja warum denn noch aufarbeiten, mögen sich die einsparsüchtigen Politiker sagen, wenn man die Vergangenheit geschäftstüchtig vermarkten kann. Sollen die doch in der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen die Zelle vermieten und Sado-Maso-Parties im DDR-Outfit anbieten.

    Beim DDR-Park geht es harmloser zu. Spreewälder Gurken, Halloren Kugeln und andere Ost-Produkte werden verkostet. Die boomen sowieso. Und wenn die Produktion für die Nachfrage nicht ausreicht, gibt es Lizenzverträge mit Unternehmen aus den alten Bundesländern. Wen stört es da, dass die Zigarettenmarken a la DDR längst ihren Geschmack verändert haben, der neue Popsozialismus ist sowieso eine Erfindung des Westens.

    Ein Engagement scheinbar ohne Risiko: Man kann das Ende der DDR aufrichtig bedauern, denn der Staat kommt so nicht zurück. Längst hat der Spruch, dass im Osten nicht alles schlecht war, anderen seinen Platz geräumt. Die entdecken um die Wette das bessere im und am Osten. Sogar in der Bildung, deren letzte Ministerin Margot Honecker – Pisa sei Dank – plötzlich in Kommentaren und einer Autobiografie zu einer wichtigen Bildungspolitikerin gerät. Die deutsche Schullandschaft könnte von ihr einiges lernen – eigentlich braucht sie Schröder nur aus Chile zu holen und in sein Kabinett zu berufen. Wie sagte es der Regisseur Christian von Treskow vom Jenaer Theaterhaus zu dem Stück "Margot & Hannelore" – Frau Kohl und Frau Honecker begegnen sich: "Die Margot sagt sehr viel systemkritisches über die BRD, was absolut gültig ist."

    Eine neue Generation will in den Phrasen Weisheit und im Typus des austauschbaren Funktionärs Persönlichkeit entdecken. Exquisit auch das DDR-Design, es soll schon damals moderner gewesen sein. Studien beweisen das anhand diverser Mixgeräte oder der Ausformung von Staubsaugern immer wieder. Auch in der Karl-Marx Allee zeigt die realsozialistische Architektur sowjetischer Vorgaben eine charmantere DDR-Ausführung. Nicht umsonst steht sie unter Denkmalschutz. Als habe sie immer nur darauf gewartet, geile Kulisse für Filme, Werbespots und Videoclips in Zeiten des Turbokapitalismus zu sein.

    Bestseller über die Zonenkinder und Diskussionen über ein soziologisches Buch mit dem Titel "Die Ostdeutschen als Avantgarde" ermöglichen dem Nichtostdeutschen das gute Gefühl, Anteil zu nehmen und problemsensibel zu sein. Die Zonenkinder sind die nur noch DDR-kindheitsgeprägte Generation, die zu jung war bis 1989 unangenehme politische Erfahrungen in diesem Staat gemacht zu haben. Und punkto Avantgarde handelt es sich wohl um ein Kompensationsgeschäft: Wer schon keine wirtschaftliche Perspektive hat, soll sich wenigstens als Avantgarde fühlen dürfen. Während in der Wirklichkeit die Menschen aus den neuen Bundesländern ihre Heimat Jahr für Jahr zu Tausenden verlassen, bieten Kunst, Reportagen und wissenschaftliche Studien Aufmerksamkeit als Trost. Und da heben wir noch gar nicht die DDR-Prinzipien der inneren Sicherheit beleuchtet. Anschläge und Terror gaben es in ihr nicht. Bis auf den , der vom Staat ausging.

    Die DDR scheiterte als Utopie und gerät dadurch endgültig zu einer. Sie ist nicht mehr zu widerlegen, nur noch zu deuten. Und gerät einerseits zur Glaubensangelegenheit, anderseits zum medialen Selbstbedienungsangebot. Und vielleicht zur einzigen Sozialismusvision – von einem realen Land ausgehend – die an Strahlkraft im Laufe der Zeit gewinnt.

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