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Ostdeutsche Identitäten
"Kultur ist immer politisch"

Kultur agiere im politischen Raum, sagte Ulrike Lorenz im Dlf. Die Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar fordert einen vielstimmigen, gesellschaftlichen Dialog über Identitäten. Man dürfe Begriffe wie Heimat und Kultur nicht Gruppen mit "absurden Reinheitsvorstellungen" überlassen, so Lorenz.

Ulrike Lorenz im Gespräch mit Änne Seidel |
Ulrike Lorenz, neue Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar
An die Aufbruchstimmung erinnern: Ulrike Lorenz, Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar (picture alliance/Michael Reichel/dpa)
Die neue Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar, Ulrike Lorenz, wünscht sich 30 Jahre nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung eine Rückbesinnung auf diese Zeit:
"Ich glaube, wir müssen heute an diese Aufbruchstimmung und an diesen großen Ehrgeiz, der uns damals bewegt hat, wieder erinnern und dafür gute Beispiele finden, um so eine Nörgelstimmung, die in dieser Gesellschaft weit verbreitet ist – nicht nur im Osten, auch im Westen – produktiver zu überwinden", sagte die Kunsthistorikerin im Deutschlandfunk. Inzwischen habe sich die deutsche Gesellschaft in eine Normalität hinein entwickelt und an die guten Entwicklungen der vergangenen drei Jahrzehnte gewöhnt:
"An Infrastrukturen, die hier aufgebaut worden sind und fantastisch funktionieren, an neue und restaurierte Museen, eine echte Kulturlandschaft und vieles andere mehr; die Weltoffenheit, die das Land prägt. Ich bin total erstaunt, auf welch hohem Niveau hier gejammert wird. Und ich möchte in meiner Arbeit eigentlich in den Vordergrund stellen, zu sagen: Wir sind stolz auf das, was geschafft worden ist. Wir haben unendlich unser Leben bereichert. Und wir möchten auf festen demokratischen Prinzipien so weiter machen."
Ulrike Lorenz ist in der DDR geboren und aufgewachsen, hat in Leipzig studiert, in Gera, Regensburg und zuletzt in Mannheim Museen geleitet – und ist jetzt, nach 15 Jahren in Westdeutschland in den Osten zurückgekehrt. Seit diesem Sommer leitet sie eine der größten Kulturstiftungen Deutschlands, die Klassik Stiftung in Weimar.
Vielleicht sei in den vergangenen Jahren zu wenig über das Positive und über Leistungen und Prägungen der älteren Generation in der DDR gesprochen worden, so die 56-Jährige. Die Gesellschaft habe sich polarisiert, so seien auch das Auftreten von "Pegida" oder der AfD zu erklären. Sie habe keine fertigen Antworten auf diese Entwicklung, wolle sich aber mit der Klassikstiftung Weimar stärker gegenüber der Gesellschaft öffnen, Fragen stellen und nach Antworten suchen:
"Ich glaube, dass sich sehr viel mehr Menschen hier vor Ort deutlicher machen müssen, dass sie sich nicht von der AfD, die sich als Vollender der Wende aufspielt, vertreten fühlen. Wir müssen da stärker, kritischer, auch nachhaltiger ins Gespräch kommen. Ich glaube, dass es ein deutlich vielstimmigeres Gespräch in diesem Land geben muss, um eine Partei, die möglicherweise auch tatsächliche Bedürfnisse trifft, nicht in dieser Form überbordend werden zu lassen. Sie muss sich einfügen in ein differenziertes gesellschaftliches Gespräch."
"Wir haben nie so viel gelacht wie am Ende der DDR"
Auch sie persönlich habe von den Entwicklungen der vergangenen 30 Jahre enorm profitiert, sagte Ulrike Lorenz in den "Kulturfragen":
"Alles, was ich heute bin, habe ich diesem gesellschaftlichen Wandel im Osten Deutschlands zu verdanken: ein Riesen-Anstoß, sich an den eigenen Haaren aus gewohnten Verhältnissen herauszuziehen, die wir als junge Generation in der DDR allerdings kritisch gesehen haben. Wir haben nie so viel gelacht wie am Ende der DDR. Das war ein System, das mehr und mehr in eine Alltagsabsurdität hineingerutscht ist. Es war wie ein Befreiungsschlag, da herauszukommen und sich wieder in logischeren Verhältnissen vorzufinden – die allerdings ganz andere Ansprüche an uns hatten. Dem musste man sich stellen, und das war eine riesige Aktivierung, die zu allem geführt hat, was ich danach erlebt habe."
Kultur agiere im politischen Raum
In Ihrer Rolle als Präsidentin einer der größten Kulturstiftungen in Deutschland wolle sie nun ein differenziertes Denken über neue deutsche Identitätskonzepte fördern, das die Menschen positiv und nicht schwierig finden, so Lorenz. Dafür gelte es, gute Beispiele und Anlässe zu schaffen. Begriffe wie Heimat oder Identität dürften "nicht einfach den Falschen überlassen werden, die meinen, sie könnten hier mit völlig absurden, abstrusen Homogenitätsvorstellungen und Reinheitsvorstellungen Land gewinnen. Wir behaupten einen anderen Identitätsbegriff und bringen dafür die gesamte Kulturgeschichte und Geschichte dieses Landes auf. Das muss ausgehandelt werden."
Sie halte nichts von einer Entpolitisierung der Kultur: "All das, was wir tun, hat Anspruch auf Öffentlichkeit, damit agieren wir im politischen Raum. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Kultur immer politisch ist." Schon Goethes "Faust" habe herauszufinden versucht, "was die Welt im Innersten zusammenhält".