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Ostdeutsche Karikaturisten in Hannover

In den 80er-Jahren übten sie im Verborgenen Kritik an der DDR. Nach der Wende erweiterte sich der Blick vieler ostdeutscher Karikaturisten: Auch der Westen und dessen "Konsumgewohnheiten" wurden mit spitzer Feder pointiert, sagt der Direktor des Wilhelm-Busch-Museums, Hans Joachim Neyer.

Hans Joachim Neyer im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: "Test the West”, das war in der Nachwendezeit der Slogan einer Zigarettenwerbung, und dieser Slogan wurde in Ostdeutschland zum Synonym für den gesellschaftlichen Wandel. Entsprechend oft wurde er auch in Karikaturen aufgegriffen. Nun ist unter diesem Titel eine Ausstellung eröffnet worden mit Arbeiten von Karikaturisten, die in der DDR aufgewachsen sind. Zu DDR-Zeiten galten sie als Querulanten, durften kaum veröffentlichen und erst nach der Wende konnten sie ihre Karriere starten.

    Das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover präsentiert die Arbeiten von neun Karikaturisten und einer Karikaturistin. Frage an den Direktor des Wilhelm-Busch-Museums Hans Joachim Neyer: Herr Neyer, was waren denn das für Leute, die 1989 am Beginn ihrer Karriere standen?

    Hans Joachim Neyer: Die Künstlerin und die neun Künstler, die wir zurzeit ausstellen, waren in den 80er-Jahren 30 bis 40 Jahre alt, unangepasst, nicht in den offiziellen Ausstellungsbetrieb eingebunden und sehr viel auf privaten Wegen in der DDR tätig. Sie haben versucht, durch Mail Art, durch Künstlerbücher, durch Ausstellungen in Privaträumen, durch Ausstellungen in Greiz in Thüringen, weit ab von Berlin, ein Publikum zu erreichen, das sich auf Schleichwegen informierte und das seine Freude hatte an dieser Art der Kritik am Leben, am System der DDR.
    Das ist nur die eine Hälfte. Wir stellen also einerseits noch Arbeiten aus dieser Zeit aus, aber auf der anderen Seite: der größte Teil bei jedem Künstler besteht aus Arbeiten, die nach 1989/90 entstanden sind und die sich bewusst auf das neue gesamtdeutsche Publikum beziehen.

    Schäfer-Noske: Gibt es denn da sozusagen einen ostdeutschen Blick auf Westdeutschland, der sich durch diese Arbeiten zeigt?

    Neyer: Ich meine, ja. Wir hatten am Wochenende den ehemaligen Kultusminister von Niedersachsen, Professor Wernstedt, der zur Eröffnung sprach und von einem doppelten Blick erzählte, einem doppelten Blick, mit dem die Künstler der DDR ihre neue Heimat Bundesrepublik testen. Sie schauen einmal hin und schauen noch ein zweites Mal hin und lassen uns dieses nachvollziehen. Das betrifft sowohl die neuen Konsumgewohnheiten, die politischen Auseinandersetzungen, das tagtägliche Leben. Diese Menschen zeichneten sich ja dadurch aus, dass sie sehr individualistisch lebten, dass sie ihre Rechte als Individuen reklamierten gegenüber Massenorganisationen, und nach dem Fall der Mauer haben sie diesen gleichen Standpunkt und messen damit auch die Kollektivgemeinschaft der Konsumisten in der Bundesrepublik. Also Konsumgewohnheiten werden sehr stark kritisiert.

    Schäfer-Noske: Können Sie da mal ein Beispiel nennen?

    Neyer: Wir haben einen wunderbaren Titel neben dem eigentlich titelgebenden: ein Bild von Reiner Ehrt, eine riesige Welle in der Manier von Courbet oder Hokusai, in der unglaublich viel Warenartikel auf eine junge Frau runterstürzen, die davor mit einem leeren Einkaufskorb steht und gar nicht weiß, wie sie diese Masse auffangen soll. – Regelrecht erdrückend.
    Oder das ewige Wiederholen von Freiheit, Freiheit, Freiheit, das ein etwas frustrierter junger Mann an einer Mauer gehend abläuft, und im Hintergrund sieht man immer durchgestrichen "Gleichheit, Brüderlichkeit". Das korrespondiert so ein bisschen mit einer neuen "Stern"-Umfrage, dass 61 Prozent der Menschen in den neuen Ländern unzufrieden sind mit der Demokratie in Deutschland.

    Schäfer-Noske: Zeigt sich denn diese ostdeutsche Prägung auch noch in den späteren, bis hin zu den aktuellen Arbeiten?

    Neyer: Wir haben eine wunderbare Serie zu den Müttern vom Kollwitzplatz, die ja inzwischen auch in der Presse vertreten sind. Da fragt eine, "Libyen, Japan, FDP, ich weiß gar nicht mehr, was ich noch anziehen soll." Also die Probleme, die neuen Probleme am Prenzelberg.
    Aber auch die Rückschau von Prüstel, der dann sagt, "40 Jahre in Ketten, aber was haben wir gelacht." Also das sind so die, finde ich, sehr souveränen Rückblicke, aber auch die Blicke auf die aktuelle Gesellschaft.

    Schäfer-Noske: Das war der Direktor des Wilhelm-Busch-Museums, Hans Joachim Neyer, über die Ausstellung "Test the West" in Hannover.

    Die Ausstellung ist noch bis zum 27.11.2011 in Hannover zu sehen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.