Breker: Ost und West wächst nicht zusammen, im Gegenteil, driftet auseinander.
Bullerjahn: Es hat den Anschein und viele Menschen empfinden es auch so, ich sehe es von der Analyse ähnlich so wie Herr Schartau, dass wir an einem kritischen Punkt sind, wobei ich die Reduzierung auf die Transfers für schwierig halte. Aber die Unzufriedenheit wächst, die Kritik an der SPD, kein schlüssiges Konzept für den Osten zu haben, nimmt zu und es fällt einem schwer als verantwortlicher SPD-Politiker, dem etwas entgegenzusetzen.
Breker: Mehr als die Hälfte, so hat eine Umfrage ergeben, in Ostdeutschland ist unzufrieden mit dem, was die Demokratie gebracht hat. Das riecht nach einem Versagen der Politiker.
Bullerjahn: Ich glaube, dass die Ostdeutschen in den letzten Jahren anders als die Westdeutschen sich mit dieser Demokratie auch in guten Zeiten nie haben so richtig anfreunden oder sie haben verinnerlichen können. Seit der Wende vor vielen Jahren haben sie letztendlich immer damit zu tun, dass sich Dinge scheinbar verschlechtern. Es gibt also die generelle Problematik der durch Globalisierung veränderten Politik in Deutschland insgesamt und das Problem Ost-West, es gibt aber, das muss man auch als Ostdeutscher fair sagen, natürlich ein Auseinanderdriften der ostdeutschen Gesellschaft, denn da gibt es schon welche, die gewonnen haben, materiell, immateriell, andere, die verloren haben. Das alles mischt sich jetzt, hat durch Hartz IV ein Ventil gefunden und so kommt es dazu, dass jetzt die unterschiedlichsten Menschen auf dem Domplatz stehen und hier demonstrieren.
Breker: SPD-Politiker in Verantwortung in diesen Zeiten in Ostdeutschland zu sein, das ist ein ganz schweres Geschäft.
Bullerjahn: Ich will nur von mir ausgehen. Es macht keinen Sinn, jetzt alles gutzuheißen, was in Berlin gemacht wird, aber auch keinen, sich jetzt irgendwie dagegen zu profilieren. Wir müssen die Probleme zum einen selber lösen, ansprechen, auch strukturieren hier im Land, da ist viel zu tun. Zum anderen müssen wir aber auch - und da wird es auch eine Verteilungsdiskussion innerhalb der SPD geben - natürlich gegen solche Vorwürfe gegenhalten wie: wir sind ja sozusagen ein reiner Kostenfaktor. Das wird sicherlich die gesamte Gesellschaft betreffen, aber auch die SPD und insofern gibt es sicherlich andere, bessere Posten, als ein SPD-Fraktionsvorsitzender zu sein, aber wenn man das seit vielen Jahren hier erlebt, ist das, was hier passiert, jetzt nicht so überraschend. Die Wucht ja, aber die Unzufriedenheit war spürbar. Die SPD muss es hinkriegen, eine andere Alternative haben wir gar nicht, dies wieder einzufangen und den Menschen eben eine Zukunft zu zeigen. Vielleicht auch Dinge aufzuzeigen, die eben nicht gehen.
Breker: Finden Sie denn überhaupt noch den Zugang zu den Menschen, hören die Ihnen noch zu oder haben die sich schon abgewendet?
Bullerjahn: Im Moment, das muss man offen sagen, schlägt einem in vielen Bereichen der blanke Hass entgegen. Da hat es aber auch keinen Sinn, jetzt darüber zu lamentieren, sich zu ärgern. Ärgerlich ist eher, wenn dann in Berlin Politiker auftreten, die das also mit einer Rhetorik abtun wollen, die dann wiederum uns das Problem bringt, das wir am nächsten Tag wieder zu erklären haben. Das mal außen vor gelassen, denke ich, wird neben diesem Frust, wo ich nicht will, dass die Leute einfach vom Domplatz verschwinden, weil sie den Frust sonst wieder mitnehmen, dass man nach der ersten Welle des Frustes dann trotzdem auf die Leute zugeht, ihnen aber offener sagt, so wie wir es hier schon versuchen, was in Zukunft gehen kann und was nicht. Dass man versucht, für Ostdeutschland ein Bild zu skizzieren für die nächsten zehn, fünfzehn Jahre, was realistisch ist. Damit die Leute von diesen hohen Erwartungen auch wegkommen. Und wenn man das paart mit handwerklich vernünftigen Konzepten, sie auch gut verkauft werden, dann kann man wieder vorwärts kommen. Was ist denn die Alternative? Am Ende verlieren wir die Bundestagswahl auch und wären dann flächendeckend als SPD im Osten verschwunden.
Breker: Und die PDS profitiert.
Bullerjahn: Ja, das ist ein Punkt, wo ich sage, sicherlich nutzt die PDS die Chance, aber mittlerweile auf eine Art und Weise, wo ich, der ja mit der PDS sehr vernünftig und sachlich zusammengearbeitet hat, auch kein Verständnis mehr habe. Weil sie dann den Leuten auch wieder Dinge vorgaukelt, die nicht im entferntesten eingelöst werden können und daraus entstehen wieder neue Verwundungen und Enttäuschungen und das müssen sich Gewerkschaften wie auch PDS dann vorwerfen lassen, denn irgendwann wird es ja ein Ende der Demonstrationen geben und dann werden die Leute auch die PDS fragen: Was habt ihr uns eigentlich hier mit auf die Straße getreten?
Breker: Fürchten Sie, dass es am rechten Rand neue Bewegungen geben wird, die auch den Weg, wie schon einmal, in den Landtag in Magdeburg finden werden?
Bullerjahn: Es gibt in verschiedensten Kreisstädten den Versuch der NPD und anderer, davon zu profitieren, aber wahrscheinlich haben die Leute aufgrund der Erfahrung mit der DVU hier im Parlament in diesem Punkt eine gewisse Zurückhaltung. Leichter hat es da die PDS. In anderen Ländern ist die SPD stärker, auch die Rechten insgesamt, etwa in Sachsen. Das ist hier nicht so der Fall. Einzelne Personen ja. Für mich ist das grundsätzlich eine Frage, auf die ich im Moment auch nicht so die richtige Antwort habe, dass die Menschen so in einer großen Anzahl an der Demokratie zweifeln. Und das wird nachwirken. Selbst wenn morgen alle Demonstrationen abgesagt werden und die Leute nehmen es mit nach Hause und das wird schwer, sie da wieder rauszukriegen.
Breker: Wird es denn wirklich dabei bleiben, dass es einfach nur Politik- und Politikerverdrossenheit ist und die Leute nicht zur Wahl gehen?
Bullerjahn: Die Resignation ist teilweise schon sehr groß. Ich nehme meine Region, da habe ich eine Unterbeschäftigung von über 50 Prozent. Ich gebe offen zu, ich habe mich schon immer gewundert, dass die Menschen nicht viel stärker ihren Unmut zum Ausdruck bringen. Sie haben zum Teil auch völlig falsche Vorstellungen von dem, was der Staat kann, aber dieses Gefühl hier im Osten, eben zweitklassig zu sein, das Gefühl, dass alle wichtigen Positionen nur von Westdeutschen besetzt sind, dass selbst bei den Leistungen von Hartz, und wenn es nur wenige Euros sind, immer noch unterschieden wird zwischen Ost und West, was glaube ich nicht nur eine Frage der Finanzen sein kann, das sitzt tief und das wird verstärkt. Ich glaube aber, dass nach diesen ganzen Demonstrationen und dem im Moment anscheinend ziemlich kompromisslosem Handeln der Regierung, die sagt, Hartz IV wird bleiben, was ich grundsätzlich auch unterstütze, dass die Leute dann nach Hause gehen und dann noch resignierter sind. Der Osten wird politisch oder vom demokratischen Empfinden her noch weiter zurückfallen und je mehr Politiker, auch von der SPD aus Westdeutschland heraus, immer nur das Geld nach vorne schieben, wovon wir selber ja vieles wieder zurückbekommen, umso schwieriger wird es. Und Deutschland wird insgesamt in seinem Innersten weiter auseinanderdriften. Das ist vorhin völlig richtig festgestellt und gefragt worden.
Breker: Das war Jens Bullerjahn, er ist der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Magdeburger Landtag. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.
Bullerjahn: Guten Tag noch.
