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Ostenholz in der Lüneburger Heide
Bund Schuld am langsamen Tod eines Dorfes?

In den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts war die Gemeinde Ostenholz in der Lüneburger Heide ein Hotspot. Die feinere Gesellschaft aus Hannover reiste an, um dort zu feiern. Heute steht ein Großteil der Häuser leer. Der Bund als Eigentümer lässt sie lieber verfallen als sie zu verkaufen. Ein Grund, so vermuten Anwohner: der nahe Truppenübungsplatz.

Von Torben Hildebrandt | 06.12.2016
    Der Truppenübungsplatz in Ostenholz.
    Aus Angst, Neuanwohner könnten gegen den nahen Truppenübungsplatz klagen, lässt der Bund Häuser in Ostenholz lieber verfallen, statt sie zu verkaufen. (picture alliance / dpa / Werner Baum)
    Ostenholz ist eine andere Welt: In das 200-Seelen-Dorf führt eine Betonplattenstraße; alte Fachwerk- und Backsteinhäuser prägen das Ortsbild; genauso wie die militärischen Verkehrsschilder und die Hinweise auf Schießbahnen. Nicht selten hört man das Donnern der Panzer, nur wenige 100 Meter vom Ort entfernt schießen sie mit scharfer Munition. Eine beliebte Wohngegend ist das nicht. Ostenholz stirbt aus, weil der Bund immer seltener Pächter für seine Häuser findet. Erst stehen die Höfe leer, dann kommt der Verfall, danach der Abriss. Seit Jahren geht das so, sagt Seben Arjes. Er vertritt die Interessen der Einwohner gegenüber dem Bund.
    "Alle alten Fachwerkhäuser sind nach und nach auf diese Weise verschwunden. Der Bund vermietet sie so lange, wie sie vermietbar sind. irgendwann sind sie nicht mehr vermietbar, und dann sagt er: Jetzt lohnt es nicht mehr, jetzt müssen wir sie abreißen."
    Dörfliches Kulturgut, Erinnerungen, architektonische Schätze – alles geht verloren, beklagt Arjes. Das Problem in Ostenholz: Der Bund als Eigentümer verkauft die Häuser nicht, auch wenn sich Privatleute darum bemühen – weil die neuen Besitzer gegen den Schießlärm auf dem Truppenübungsplatz klagen könnten. Der Staat will dieses Risiko nicht eingehen, deswegen behält er die Immobilien und verpachtet sie nur – jeweils für einige Jahre.
    Das hält viele davon ab, in Ostenholz zu wohnen oder gar zu investieren – wer saniert schon ein Haus, das ihm nicht gehört? Und so droht jetzt auch dem Wünninghof der Abriss – das Bauernhaus mit markantem Fachwerk und jahrhundertealter Geschichte war früher eines der größten Ausflugslokale der Lüneburger Heide.
    Jahrelange Vernachlässigung
    Heute plätschert Wasser aus der verstopften Regenrinne, auf den Holzdielen im Saal liegt zentimeterdick Staub und die Fenster sind zerschlagen. "Betreten verboten, Lebensgefahr", steht auf einem Schild. Auch für Arne Hilbich ist am Bauzaun Schluss – mit einer Gruppe Bürgern kämpft er für den Erhalt des Hofes.
    "Das ist ein Schaden am Dach ... hier ist die Dachrinne defekt, es leckt runter, dadurch sieht man auch unten: Das Fachwerk ist nass und fängt an zu gammeln und dadurch sieht man: Die jahrelange Vernachlässigung schädigt die gute Substanz des Gebäudes."
    Der Heidedichter Hermann Löns war hier oft zu Gast; in den 20er-Jahren reiste die feinere Gesellschaft aus Hannover an, um zu feiern. Doch jetzt steht der Wünninghof seit Jahren leer – wie bei anderen Häusern findet sich auch hier kein Pächter, der die Anlage saniert. Weil der Zustand immer schlechter wird, soll der Hof nun weichen – der Bund prüft den Abriss, und Arne Hilbich kann es nicht fassen:
    "Eigentlich ein ganz ortsbildprägendes Gebäude, was auf dem Kirchberg neben der Kirche geht, ein einzigartiges Ensemble überhaupt. Man würde ein ganz tolles Gebäude, mit einem tollen Saal, mit Jugendstilelementen verlieren."
    Ein Investor wäre die Rettung. Die Bürgerinitiative zum Erhalt kann sich einiges vorstellen; ein Hochzeitshaus, ein Info-Zentrum, ein Hotel oder einen Handwerkerhof – vieles war in den vergangenen Jahren im Gespräch. Draus geworden ist nichts, sagt der Bezirksvorsteher des gemeindefreien Bezirks Osterheide, Andreas Ege:
    "Man findet dann Gehör, wenn man eine wirtschaftliche Lösung anbieten kann – wenn man einen Investor an der Hand hat, der die notwendigen Mittel mitbringt und ein kluges Konzept. Ich habe leider keinen an der Hand und kann mir auch keinen schnitzen."
    Bezirksvorsteher Ege ist zwar Beamter bei der Bundesbehörde, die die Immobilien verwaltet – aber sein Einfluss ist begrenzt. Über die Zukunft des Hofes entscheidet die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in Hannover, kurz Bima. Emotionen und Erinnerungen sind für Behörde kein Maßstab, erläutert Ege:
    "Steuergelder müssen wirtschaftlich eingesetzt werden – und dann muss ganz genau abgewogen werden, ob es sinnvoll ist, das Geld einzusetzen oder nicht einzusetzen. Das ist der Grundsatz der Bima schlechthin."
    Das erklärt, warum der Bund nicht einfach Geld in die Hand nimmt und den Wünninghof selbst saniert. Während die Bürger die Kosten auf zehn bis 20.000 Euro beziffern, um den Hof erst einmal wieder sicher zu machen, geht die Bundesanstalt von deutlich höheren Kosten aus.
    Ein trauriges Beispiel
    Das alte Gasthaus – es steht beispielhaft für die Situation in Ostenholz. Viele Bewohner wollen nicht glauben, dass es wirklich nur ums Geld geht. Der Bund lässt das Dorf sterben, mutmaßt Einwohnersprecher Seben Arjes, damit die Nato-Streitkräfte freie Bahn für ihre Panzerübungen haben.
    "Wir sehen als Bürger hier unseren Lebensraum gefährdet."
    Wenn das so weiter geht, sagt Seben Arjes verbittert, wird von Ostenholz irgendwann nur noch der Friedhof übrig sein.
    Korrekturhinweis:
    In einer früheren Version dieses Beitrags war in der Überschrift fälschlicherweise von der Bundeswehr die Rede; wir haben das korrigiert in "Bund".