Archiv

Osterferien
"Das Gehirn braucht Lernpausen"

Grundsätzlich seien Lernpausen absolut wichtig, sagte die Schulpsychologin Anja Niebuhr im Dlf. Auch Schüler bräuchten Erholungszeiten für Körper und Geist. Nur wenn die Versetzung gefährdet sei, sollten die Ferien ausnahmsweise zum Lernen genutzt werden.

Anja Niebuhr im Gespräch mit Stephanie Gebert |
Ein etwa elfjähriges Mädchen liest ein Buch inmitten einer Blumenwiese in freier Natur.
Lesen, nichts tun, draußen sein: Auch Kinder sollten in den Ferien abschalten (picture alliance / Werner Lang)
Stephanie Gebert: Kein Weckerklingeln morgens, der Ranzen bleibt in der Ecke stehen und die Schulbücher am besten drin verstaut: Es sind Ferien, in den meisten Bundesländern jedenfalls. Und das heißt Lernpause – allerdings nicht für alle Schülerinnen und Schüler, denn es werden durchaus Lerncamps und Ferienkurse angeboten. Wer Defizite hat, kann die freie Zeit nutzen, um Lücken zu schließen, oder schon vorhandene Kenntnisse aufpolieren. Aber ist Lernen in den Ferien überhaupt sinnvoll oder sollten Eltern ihren Kindern einfach diese Ferienpausen gönnen, damit sie sich erholen können? Anja Niebuhr leitet das Zentrum für Schulpsychologie in Düsseldorf. Ich grüße Sie!
Anja Niebuhr: Guten Tag, hallo!
Gebert: Was wissen wir aus der Bildungsforschung: Wie wichtig sind solche Lernpausen wie die Ferien jetzt fürs Hirn?
Niebuhr: Ja, aus meiner Sicht sind diese Lernpausen grundsätzlich absolut wichtig, genauso wie Ferienzeiten für Erwachsene wichtig sind, ist das bei Kindern auch der Fall, bei Kindern und Jugendlichen. Also aus meiner Sicht sollten Ferien erst mal grundsätzlich Ferien sein.
Freizeit und Langeweile wichtig für Kreativität
Gebert: Das heißt, ich kann in der Zeit vielleicht sogar auch Dinge lernen, die ich sonst in der Schule nicht so mitkriege, denn auch der Umgang mit freier Zeit will ja gelernt sein, sprich, Langeweile?
Niebuhr: Das stimmt. Das ist ja auch tatsächlich bekannt, dass Kinder in den ersten Momenten, wenn die Ferien beginnen, auch wirklich erst mal in so ein Langeweile-Loch fallen und so gar nicht richtig wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen und können, und dass aber – so kennen wir Erwachsene das ja auch – ganz oft aus der Langeweile heraus dann ganz kreative Spielideen entstehen oder auch bei Jugendlichen doch auch Ideen kommen, was man mit seiner Zeit außer Schule und möglicherweise Computer oder Handy noch so anfangen kann. Diese Zeiten und auch die Langeweile sind wichtig, um da erst mal, ja, mit der kreativen Energie wieder in Gang zu kommen.
Gebert: Es gibt ja aber auch Schülerinnen und Schüler, deren Versetzung zum Beispiel gefährdet ist, die auf einer Fünf, auf einer Sechs vielleicht sogar stehen. Sollten die auch pausieren oder sehen Sie da durchaus den Bedarf, auch in diesen kurzen Ferien, da ein bisschen aufzuholen und diese Zeit zu nutzen?
Niebuhr: Ja, also das ist tatsächlich eine der wenigen Ausnahmen, die ich sehen würde, wann die Ferien mal nicht nur Ferienzeiten sein sollten. Das ist tatsächlich zum einen der Fall, wenn jetzt schon klar ist oder jetzt klar ist, dass die Versetzung gefährdet sein könnte. Da sind die Ferien jetzt eine gute Gelegenheit, die Klassenarbeiten und Klausuren, die jetzt noch anstehen, möglicherweise durch entsprechenden Lerneinsatz auch zu verbessern. Das ist ja sozusagen die letzte Chance, bevor es jetzt Richtung Versetzung in den Sommerferien geht. Da könnte es sinnvoll sein, Angebote zu nutzen. Und so sind ja auch die Angebote, die durch das Ministerium beworben wurden, gedacht, dass bei Kindern und Jugendlichen, die in der achten und neunten Jahrgangsstufe sind, wo die Versetzungen gefährdet sind, da Angebote vorhanden sein sollen, wenn die sich bereit erklären und die Motivation aufbringen können, zu lernen.
Besser nicht mit den Eltern lernen
Gebert: Wie viel Stoff, wie viel Lernen ist denn da hilfreich? Sind es kleine tägliche Einheiten, die Sinn machen, oder lieber zum Ende hin der Ferien ein bisschen mehr, damit ich mich auch wieder dran gewöhnen kann an den Stoff, an das Lernen?
Niebuhr: Da gibt es sicher unterschiedliche Typen. Es gibt Kinder, die es besser schaffen und wo es auch kontinuierlicher wirkt, wenn sie jeden Tag ein bisschen machen und dann wieder freie Zeit haben. Es gibt andere, die brauchen erst mal wirklich eine Woche Pause und können sich dann für eine Woche oder eine halbe Woche noch mal so richtig auf das Lernen einlassen. Das würde ich vom Kind abhängig machen und auch vom jeweiligen Angebot, was die Eltern nutzen wollen, um mit dem Kind zu lernen.
Gebert: Sind es die Eltern, die da lernen müssen, die sich mit dransetzen sollen, oder sollte ich lieber professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, sprich, von außen einkaufen?
Niebuhr: Es gibt familiäre Konstellationen, wo das gut geht, dass Eltern und Kinder das gemeinsam machen. Dann sollte aber Schule auch wirklich ein grundsätzlich streitfreies, stressfreies Thema innerhalb der Familie sein. Es gibt Konstellationen in Familie, wo das gut klappt, miteinander zu lernen. Üblich ist es aber eher oder normal ist es eher, dass Schule ein Streitthema ist in den Familien, und dann macht es durchaus Sinn, darüber nachzudenken, ob man einen Experten, eine externe Person mit dem Kind lernen lässt, damit die Ferien nicht auch Konfliktzeit sind. Das wäre nicht gut.
"Gehirn braucht Lernpausen"
Gebert: Jetzt haben Sie gesagt, dass es besonders für die Schüler, deren Versetzung gefährdet ist oder die sehr schlechte Noten haben, sinnvoll ist. Da entnehme ich auch, dass es für die Schüler, die ganz gut dabei sind, nicht sinnvoll ist, jetzt in die Bücher zu gucken. Dabei kann doch Vokabeln lernen, um es wieder präsent zu haben und präsent zu halten zum Beispiel, ganz sinnvoll sein, oder nicht?
Niebuhr: Wenn die Schüler das freiwillig machen und von sich aus die Motivation da ist, kann das nicht schaden, wobei es ja auch das Extrem gibt, dass auch Kinder und Jugendliche es nicht schaffen, einfach mal abzuschalten und die Pflicht mal Pflicht sein zu lassen. Denen würde ich tatsächlich eher raten, auch in den Ferien mal aufzuhören zu lernen und einfach mal zu versuchen, wie es ist, freie Zeit zu haben. Man kann ja auch zu viel des Guten tun. Und die Kinder, die nicht versetzungsgefährdet sind, sollten sich eigentlich mal eine Zeit lang keinen Lernstress machen.
Gebert: Warum?
Niebuhr: Ja, weil wir das ja alle wissen, dass der Körper und der Geist mal wirklich Erholungszeit brauchen, das wissen auch wir Erwachsenen. Einfach mal in eine ganz andere Zeit, eine ganz andere Welt auch einzutauchen, die mit Lernen und Pflicht und Schule nichts zu tun hat. Das kann nur gut tun. Das Gehirn braucht das auch, einfach mal Lernpausen. Wir wissen das ja aus der Forschung, dass allein schon der Schlaf nachts und die Pause nachts hilft, Lerninhalte auch erst mal im Gehirn zu verankern. Und genauso gilt das auch für die Ferienzeit. Wir kennen ganz viele Kinder, die nach sechs Wochen Sommerferien wirklich wieder gut in der Schule starten können und alles gut abrufen können, was vorher war, weil das Gehirn einfach Zeit hatte, das in Ruhe auch fest zu verankern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.