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Osterfestspiele Baden-Baden
Wagners "Parsifal" zum Abschied von Simon Rattle

Seit 2013 finden die Osterfestspiele Baden-Baden mit den Berliner Philharmonikern statt, in diesem Jahr das letzte Mal unter der Leitung ihres Chefdirigenten Sir Simon Rattle. Zum Abschied spielten sie Wagners "Parsifal" - für unseren Autor ein krönender Abschluss.

Von Karsten Umlauf | 02.04.2018
    Sir Simon Rattle
    Der Vertrag als Chefdirigent bei den Berliner Philharmonikern von Sir Simon Rattle läuft 2018 aus (Imago)
    Herzstück der Festspiele war die Operninszenierung, die einzige Opernarbeit der Philharmoniker im Jahr, die sie tatsächlich aus dem Orchestergraben bestreiten, und nicht "nur" konzertant. Mit Wagners "Parsifal" ist es 2018 auch tatsächlich ein Herzensstück des scheidenden Chefdirigenten Simon Rattle gewesen. Ganz bewusst haben er und der Baden-Badener Festspielhausintendant Andreas Mölich Zebhauser Wagners letzte Oper an das Ende von Rattles Amtszeit gesetzt. Für Rattle ist das Festspielhaus geradezu ideal, um Parsifal aufzuführen. Die Oper liebt er, weil sich Wagner darin als Vater des modernen Orchesters zeige. Und das, obwohl oder gerade weil Wagner ein außergewöhnlicher Autodidakt war, ohne "normale" musikalische Ausbildung.
    "Ich bin froh, 'Parsifal' an diesem Haus zu machen, ich liebe das Stück schon lange. Als Orchesterdirigent steigt die Bewunderung mit jedem Mal, wenn man entdeckt, wie sich das ganze moderne Orchester entfaltet, erfunden von diesem außergewöhnlichen Autodidakten. Könnte jemand mit einer normalen musikalischen Ausbildung so etwas produzieren oder erfinden? Ich bezweifle es!"
    Fulminante Sängerriege
    "Parsifal" gerät für Rattle und die Philharmoniker tatsächlich zu einem krönenden Abschluss. Anders als in den Vorjahren, als ihm bei Mozarts "Zauberflöte" oder Puccinis "Tosca" vorgeworfen wurde, zu breit und zu symphonisch zu dirigieren, gelingt ihm hier ein großartiger Bogen. Unter ihm scheinen die Philharmoniker noch einmal jeden Klang bis ins letzte ausleuchten zu wollen, ohne die Sänger mit ihrer Brillanz zu übertrumpfen. Bei der fulminanten Sängerriege, allen voran Gerald Finley als Amfortas und Franz-Josef Selig als Gurnemanz wäre das allerdings auch geradezu eine "reine Torheit" gewesen.
    "Interessant zu sehen, dass diese Gesellschaft kein Ziel hat, sondern sich immer im Kreis bewegt. Von Titurel über Amfortas bis zu dem reinen Toren, der genau so auf dem Thron sitzt und hockt wie seine Vorgänger. Es wird über nichts geredet, was eigentlich wichtig wäre. Spannend, das von uns aus zu betrachten, wo das nicht sehr viel anders ist in der Gesellschaft", sagt Regisseur Dieter Dorn über die Idee seiner Inszenierung.
    Regie tut der Musik nicht weh
    Am überzeugendsten scheint sie durch in der japanisch inspirierten Bildsprache: Der Wald, die Natur, die Burg der Gralsritter sind nur als Skizze auf große Holzelemente gemalt. Auf Rädern werden die gezimmerten Einzelteile gegeneinander verschoben, stehen verschränkt über die ganze Bühnentiefe. Wenig Farbe, kaum Zusammenhang. Als wollte die Bühne sagen: der christliche Ritus der Gralsritter, aber auch das Theater an sich, schafft es nicht, sich zu erneuern, geschweige denn, noch einen echten "Karfreitagszauber" zu entfachen. Dorn versucht, gegen diese müde Männerwelt das weibliche Zauberwesen Kundry in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist in diesem ganzen erlösungsschwangeren Wagner-Männer-Privatmythos vielleicht sympathisch, durch die Musik aber kaum motiviert und auf der Bühne allenfalls so schwach zu erkennen wie die verblassten Naturskizzen auf Holz. So kommt man bestenfalls zu dem Schluss: Die Regie tut der Musik nicht weh.
    Seit 2013 Osterfestspiele mit den Berliner Philharmonikern
    Das ist allerdings seit Jahren schon Prinzip bei den Baden-Badener Opernproduktionen: musikalisch so opulent wie möglich, die Inszenierungen aber ohne allzu großes Aufregerpotenzial. Vielleicht wäre das Festspielhaus mit dieser eher konservativen Ausrichtung sogar irgendwann einmal baden gegangen. Aber spätestens seitdem die Berliner mit ihren Osterfestspielen nicht mehr Salzburg, sondern Baden-Baden beglücken, ist das anfangs schlingernde Haus von Andreas Mölich-Zebhauser in ruhigem Fahrwasser.
    "Der Durchbruch kam mit den Berlinern 2013. Ein Festival zu klauen war natürlich verwegen, aber die Berliner waren unglücklich in Salzburg. Für Baden-Baden war das ein Quantensprung, der das Haus stabil in die Zukunft gehen lassen wird"
    Was sich unter dem neuen Festspielhaus-Intendanten Benedict Stampa ab 2019 ändern wird, kann man noch nicht sagen. Bis 2022 ist die weitere Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern jedenfalls fest vereinbart. Gut möglich, dass deren neuer Chefdirigent Kirill Petrenko ab 2020 gerne neue, eigene Akzente setzen möchte.
    Dass die Philharmoniker auch mit anderen Dirigenten ordentlich auf die Tube drücken können, haben sie in Baden-Baden mit Daniel Harding und Strauss’ Alpensinfonie eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Dass aber ihr Einverständnis mit Sir Simon nach 16 Jahren schon fast in eine Art symbiotische Beziehung übergegangen ist, die mit Routine sehr wenig zu tun hat, konnte man im Konzert mit Leonard Bernsteins 2. und Beethovens 7. Symphonie beobachten.
    Viele Seiten präsentierten die Berliner eine Woche lang
    Ein berserkerhaftes Stürmen und Drängen, voller bewegungs- und Spielfreude und ein überschäumendes Argument gegen das gängige Kritikervorurteil, Osterfestspiele seien langweilig und vorhersehbar. Was die Opernprogrammierung angeht, hat zwar Baden-Baden in den letzten Jahren wenig Mut bewiesen, Publikum von weiter her in den Schwarzwald zu locken. Aber im nächsten Jahr gibt es immerhin schon mal Verdis "Othello" und gerade in Baden-Baden bestehen die Festspiele ja längst nicht nur aus großer Oper und Symphoniekonzerten.
    Eine gute Woche präsentierten sich die Philharmoniker von vielen Seiten, traten in Kammermusikformationen auf, spielten auch da viel mehr als nur Schubert oder Mendelssohn, sondern Darius Milhaud im Casino, John Cage im Museum Frieder Burda oder Olivier Messiaen im Bürgerhaus Bühl. Das Bundesjugendorchester traf sich, musizierte mit Simon Rattle, eine Kinderoper wurde produziert. Und so waren es nicht nur die originellen Blumentaschen, die zur Festspielzeit die Baden-Badener Straßen mit ihrer Blütenpracht bunt färbten. In Baden-Baden kam auch ein Kern der Arbeit von Simon Rattle noch einmal in Konzentration zu voller Blüte: Die Arbeit mit Jugendlichen und die Öffnung des Elite-Orchesters zur Gesellschaft.