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Ostkunst besser als ihr Ruf?

Als Sigmund Freud versuchte, das Gefühl der Trauer zu analysieren, bediente er sich des Bildes von einem Spaziergang durch schöne, frühlingshafte Landschaft, die alle froh machte. Nur einen jungen Dichter stimmte die Landschaft traurig, weil er immer wieder an ihre Vergänglichkeit denken musste. Die anderen versuchten, ihm begreiflich zu machen, dass es doch die Vergänglichkeit sei, die der Schönheit erst ihren Wert gebe und man sich gerade deshalb, weil alles in der Natur so vergänglich sei, so sehr an ihr freuen könne. Doch der Dichter ließ sich nicht umstimmen. Kurz darauf brach der Krieg aus und zerstörte alles Schöne.

Ein Beitrag von Carsten Probst |
    Wieland Förster erkannte sich in dieser Freudschen Figur des jungen Dichters wieder, nicht nur aufgrund seiner eigenen schriftstellerischen Begabung, die er neben seiner Bildhauerei auch pflegt, sondern vor allem in jener Mischung aus Trauer und drohender Vorahnung der Katastrophe, die ihn zeitlebens begleitet hat. Försters Figuren sind fallende oder gefallene Gestalten, trauernd zusammengekauerte Körper, fragmentierte, bisweilen auf den Kopf gestellte Leiber. Nicht von ungefähr hat er eine 1999 gehauene Allegorie des geschundenen Marsyas auch als seine "Jahrhundertbilanz" bezeichnet, einen über zwei Meter hohen, persönlichen Schmerzensmann, der einen langgezogenen Torso darstellt, dem Füße, Arme und Kopf fehlen und der mit dem Kopfende nach unten zu hängen scheint. Die Haut schält sich in breiten Placken vom Körper ab, der mit tiefen Kerben versehen ist und beinah wie ein abgebrochener Baumstamm aussieht. Die "Jahrhundertbilanz" im Zeichen des gefolterten Marsyas faßt zugleich Försters eigenes Werk zusammen: Spätestens seit den siebziger Jahren ist das Schründige, Verrenkte, Geschundene der menschlichen Figur sein Hauptmotiv. Aber schon Mitte der sechziger Jahre findet er in Figuren wie "Die Opfer", "Passion" und "Martyrium" sein traumatisch besetztes Grundthema, doch wirkt die Oberflächenbehandlung in dieser frühen Phase noch vergleichsweise harmonisch. Die "Passion" von 1966, die auch am Anfang der Rheinsberger Ausstellung steht, zeigt einen fragmentierten, andeutungsweise auf ein Kreuz gespannten Körper und bringt damit den religiösen Grundton ins Spiel, der ebenso bei Förster eine Bedeutung hat wie seine Skepsis gegenüber allen Heilslehren des 20. Jahrhunderts – sicher ein entscheidender Grund dafür, weshalb er sich von seinem bekennend kommunistischen Lehrer Fritz Cremer innerlich distanziert hat und im Gegensatz zu diesem niemals zum Staatskünstler der DDR aufsteigen konnte.

    Zwischen 1968 und 73 hatte Förster Arbeitsverbot, weil er den offiziellen Vertretern des DDR-Kunstbetriebes nicht mehr ganz geheuer war, das Menschenbild, das seine Figuren verkörperten, war nicht zukunftsträchtig, nicht positiv genug im Sinne der Staatslehre. Erst durch Vermittlung von Freunden wurde es schließlich zunehmend in seiner künstlerischen Bedeutung gewürdigt.

    Doch vor allem haben frühere Ereignisse sein Werk geprägt, denn wie bei allen Künstlern seiner Generation spielt auch bei Förster das Kriegserlebnis in jungen Jahren die entscheidende Rolle. Der 1930 in Dresden Geborene war als 14jähriger Zeuge der Bombardierung der Stadt, die Erlebnisse bezeichnet er selbst als unauslöschbar: "Noch zu jung, um das alles zu begreifen, jedoch nicht mehr so jung, um den Verlust eines eben erst beginnenden Lebens mit Entsetzen zu spüren", sagte er einmal in einem Interview. Nach Kriegsende war er zudem aufgrund einer fragwürdigen Verurteilung jahrelang im berüchtigten NKWD-Lager Bautzen inhaftiert.

    "Bilder zu finden, die sich dem Sterben entgegenstemmen", unzerstörbare Formen zu schaffen, war von vornherein das Ziel in Försters künstlerischer Laufbahn, die er 1953 in Dresden bei Walter Arnold begann. Vor allem in seinem Frühwerk zeigt er sich von Brancusi und dessen idealisierter Ei-Form beeinflußt, die in Portraitbüsten und kleinen Vollfiguren auftaucht wie auch dem "Trauernden Mann" von 1975, der die Knie an die Stirn gezogen hat und in quasi embryonaler Haltung jene Ei-Form perfekt bildet. Doch im Vergleich zu späteren Arbeiten wirken diese idealistisch-abstrakten Figuren alles in allem noch delikat.

    Seit dem Fall der Mauer lebt Förster zurückgezogen in der Nähe von Berlin, wodurch sein Werk eine neue Radikalität zu gewinnen scheint. "Das Opfer" von 1994 nimmt das Passionsthema aus den sechziger Jahren wieder auf, nur zeigt sich der Gekreuzigte diesmal als zerhackter und aufgeschlitzter Leib, der wie eine skulpturale Ergänzung zu Goyas "Desastres de la Guerre" erscheint. Der Krieg und das Trauma haben Förster gaz offensichtlich nicht verlassen, im Gegenteil.

    Auf beengtem Raum leistet diese Ausstellung in Rheinsberg Erstaunliches. Die Räume in diesem Seitenflügel des pittoresken Schlosses sind klein, niedrig, man muss sich vorsichtig in den engen Gängen zwischen den zahlreichen, teils großen Skulpturen bewegen, deren gewaltsam-gebrochene Schönheit in so massiertem Auftreten eigentlich den Besucher erschlagen müßte. Kurator Peter Böthig ist in Zusammenarbeit mit dem Künstler jedoch eine ebenso dichte wie sich gegenseitig ergänzende Aufstellung gelungen, die man unter diesen Bedingungen nur als virtuos bezeichnen kann und die Försters Werk in seiner Eigenheit und Unabhängigkeit kongenial behauptet.

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