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Ostsee in Gefahr

In Russland gilt bei Umweltverschmutzung nicht das Verursacherprinzip. Das führt dazu, dass Firmen ihre Schadstoffe unbehelligt in die Flüsse pumpen. Mit einem Expeditionsschiff hat sich nun Greenpeace aufgemacht, um russische Flüsse zu untersuchen.

Von Robert Baag |
    Moskau, "Retschnoj Voksal", der sogenannte "Flußbahnhof" im Nordosten der russischen Hauptstadt. Soeben hat der Greenpeace-Zweimaster Beluga II aus Hamburg an Kai 17 festgemacht. Das erste Mal, dass ein westliches Umweltschützerboot die Flussgewässer von St. Petersburg an der Ostsee bis hierher hat befahren und dabei Wasserproben nehmen dürfen. Obwohl - ganz reibungslos sei diese Aktion im Vorfeld der aktuell in Moskau tagenden Helsinki-Ostsee-Kommission nicht von Anfang an verlaufen. "Beluga"-Besatzungsmitglied Wolf Wichmann:

    "Na, ja - es gab schon hin und wieder den Eindruck, gerade im Hinblick darauf, dass unsere Abfahrt verzögert worden ist, da gab es Gerüchte, dass es Anweisungen von oben - von wem auch immer - gegeben haben könnte, die Beluga nicht nach Moskau zu lassen."

    "Ja", bestätigt der russische Greenpeace-Kampagnen-Chef Aleksej Kiseljov und meint dann ironisch: "Vielleicht wollten sie nicht 'stören' sondern nur irgendwelche Aufträge erfüllen." - Schnelltests an Bord der Beluga II hätten schon nachweisen können, dass die zahlreichen Flüsse überall auf ihrem Weg zur Ostsee durch Schad- und Giftstoffe, durch Chemikalien und Schwermetalle aus Industriebetrieben in teils sehr hohen Konzentrationen belastet seien. Der Grund hierfür sei klar, meint Wichmann:

    "Das System ist problematisch. Das System läuft so, dass nämlich anders als im restlichen Europa, wo Industrieunternehmer oder Produktionsanlagen quasi verpflichtet sind, ihre Abwässer selbst zu reinigen, die industriellen Abwässer erst einmal in die städtischen Kläranlagen getan werden. Und das ist ein Problem. Städtische Kläranlagen können Tenside, Phosphate, Nitrate, düngende Substanzen halt mitentfernen, aber keine chemischen Vergiftungen erst mal erkennen und dann noch entfernen. Dafür sind die gar nicht ausgestattet."

    Aleksej Kiseljov ist im Übrigen sehr skeptisch, ob sich daran sehr schnell etwas ändern wird - auch wenn erst vor ein paar Monaten Premierminister Wladimir Putin angekündigt hat, dass zum Beispiel die Kläranlagen der Millionenmetropole St. Petersburg am Finnischen Meerbusen bis zum Jahr 2015 so nachgerüstet würden, dass sie dann mindestens zu 95 Prozent den europäischen Normen entsprechen würden, bevor ihre Abwässer ins Meer gelangen. - Kiseljov:

    "Sobald die Rede davon ist, wie viel Geld die EU schon ausgegeben hat, um die Umweltsituation in St. Petersburg zu verbessern, fange ich - ehrlich gesagt - an zu lachen. Denn die EU hat Geld dafür investiert, dass die Schadstoffentsorgung der Stadt dann lediglich jenseits ihrer Grenzen direkt in die Ostsee erfolgen kann. Mehr bekommt die EU nicht für ihr Geld."

    Kiseljov und Wichmann plädieren für einen neuen Denkansatz - Stichwort: "Verursacherprinzip". Denn in Russland gelte heute immer noch:

    "Der Unternehmer reibt sich die Hände und sagt: 'Ich bin die Verantwortung los und derjenige, der das Wasser letztendlich in die Flüsse lässt, ja, das sind die städtischen Abwasseranlagen. Insofern hab ich keine Schuld.' - Da muss man dringend was ändern."

    Erschwerend komme hinzu, dass russlandintern einige Schadstoffe offiziell gar nicht als umweltschädlich anerkannt und damit auch auf entsprechenden Verbotslisten nicht aufgeführt seien. Um die gesamte russische Abwasserproblematik mit ihren Folgen für alle Ostseenachbarn endlich in den Griff zu bekommen, sei die derzeit in Moskau tagende HELCOM-Konferenz eine günstige Gelegenheit. Denn nur internationaler Druck auf den russischen Gastgeber habe Aussicht auf Erfolg, findet Wichmann:

    "Ja, das ist die einzige Möglichkeit. Und deswegen ist die HELCOM-Konferenz ein starkes Werkzeug die russische Politik dazu zu bewegen, hier etwas zu tun."

    Sein russischer Greenpeace-Kollege Aleksej Kiseljov hofft außerdem darauf, gemeinsame Aktionen wie diese Wolga-Ostsee-Expedition auch künftig fortzusetzen. Dies werde die russischen Behörden und die Politik vielleicht dazu bewegen, sich endlich konkret und zielführend für den Schutz russischer Binnengewässer zu interessieren. Er wisse allerdings nicht, lächelt Kiseljov, ob auch die deutschen Kollegen angesichts der ganzen bürokratischen Schwierigkeiten noch mal Lust zu so einer Aktion haben würden.