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Ostukraine
Angst vor Anarchie in Odessa

An offenen Särgen nehmen die Bürger von Odessa seit Montag Abschied von ihren Toten. In der Stadt brodelt die Gerüchteküche. Angst geht um vor dem 9. Mai: Der Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland ist auch in der Ukraine ein Feiertag und könnte von den prorussischen Kräften für pompöse Auftritte genutzt werden.

Von Sabine Adler | 07.05.2014
    Odessa gedenkt der Toten mit Blumen vor dem ausgebrannten Gewerkschaftshaus
    Odessa gedenkt der Toten mit Blumen vor dem ausgebrannten Gewerkschaftshaus (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Die Maidan-Aktivistin und Publizistin Soja Kasanschi:
    "Für den 9. Mai wurden alle Veranstaltungen der Schulen und Hochschulen abgesagt, die Geschäfte öffnen nicht. Man spricht nicht mehr Ukrainisch, weil man Pogrome fürchtet. In dieser Situation reden erschreckend viele von Rache."
    Besetzungen und Überfälle
    Und immer wieder bricht Anarchie aus, wie gestern in einer Bankfiliale, die von einer Menge gestürmt wurde, oder vorgestern, als prorussische Kräfte die Regionalverwaltung zu besetzen versuchten. Vitali Switschinski von der Bürgerwehr lobte das Vorgehen der Polizei, die habe umsichtig und rechtzeitig agiert, sogar die Nachbarhäuser evakuiert. Der neue Chef gehe viel professioneller mit der Bedrohung um als der alte. Dass Kiew ein Sonderbataillon entsandt hat, sei vollkommen richtig.
    "Gut, jeder zusätzliche Schutz für die Verteidigung von Odessa ist gut."
    Die Bürgerwehr versteht sich als Verstärkung der Polizei, arbeitet mit ihr eng zusammen, will die Einwohner vor Gewalt schützen, was ihr am Freitag nicht gelang. Für den Chef der 150 Mann starken Truppen sind die Menschen, die im Gewerkschaftshaus ihr Leben verloren haben, aber eher einem tragischen Unfall zum Opfer gefallen als einem Frontenkrieg zwischen prorussischen und proukrainischen Kräften.
    Keine Fotos mehr von Aktivisten im Netz
    Das sehen nicht alle so, eine Hatz auf Vertreter des einen und des anderen Lagers begann, die Bürgerwehr bat die sozialen Netzwerke im Internet, keine Fotos von Aktivisten mehr zu veröffentlichen und sie wurden erhört.
    Die große Sorge ist, dass sich in Odessa das Szenario von Donezk und Lugansk wiederholt. Um das zu verhindern, müssten auch die Verantwortlichen in Kiew ihren Teil betragen und Verhandlungen mit den Separatisten beginnen.
    "Der Dialog zwischen der Regierung und den Separatisten muss sein. Aber nur mit den ukrainischen Separatisten, nur mit denen, die die ukrainische Staatsbürgerschaft haben. Mit den russischen Staatsbürgern unter ihnen gibt es nichts zu bereden, mit denen muss Wladimir Wladimirowitsch reden."
    Wahlzettel für das anstehende Referendum in Donetsk.
    Wahlzettel für das anstehende Referendum in Donetsk. (dpa / Natalia Seliverstova)
    Putins Propagandamaschinerie
    Gemeint ist der russische Präsident Putin. Das Russland einmal derart feindlich agiert, wundert ihn nicht. Wladimir Putin habe schon lange von den Ukrainern als Menschen zweiter Klasse ohne eigenen Staat gesprochen, gegen die er seine ganze Propagandamaschinerie angeworfen habe. Wenn in Odessa irgendwo ein russisches Fernsehteam auftauche, sei Gefahr im Verzug, sagt Vitali Switschinski.
    "So war es am 2. Mai, wir haben die Kameras gesehen und wussten, dass gleich etwas geschehen würde und so war es auch. Es begannen die Kämpfe zwischen den Fußballfans und pro-russischen Provokateuren. Und das haben wir schon mehrfach erlebt: Wenn ein Café oder Geschäft mit Molotow-Cocktails angezündet wurden. Wie schaffen es die russischen Journalisten, immer genau in dem Moment die Kamera startklar zu haben, wenn ein Brandsatz fliegt?"
    Auch in Kiew wurden für den 9. Mai sämtliche Veranstaltungen abgesagt, das Referendum gemeinsam mit der Präsidentschaftswahl am 25. Mai wird nicht stattfinden, das hat die Werchowna Rada gestern beschlossen. Ein Abgeordneter twitterte: Dafür ist nicht die Zeit, wir sind im Krieg.