
Sascha Ziehn: Automat ist ein Trio aus Berlin, unter anderem Jochen Arbeit von den Einstürzenden Neubauten ist dabei und Georg Zeitblohm, toller Hörspielmacher, von dem auch immer wieder Produktionen im Deutschlandfunk laufen. Gestern ist das Album "OstWest" von Automat erschienen und schließt eine Trilogie ab, die versucht, elektronische Instrumentalmusik politisch aufzuladen. Wir haben Georg Zeitblohm von Automat zum Corso-Gespräch getroffen und erst mal nach dem Albumtitel gefragt. Warum denn "OstWest"?
Georg Zeitblom: Das war ein längerer Prozess. Wir saßen - ich glaube, es war Frühjahr letztes Jahr - in einem Café am Checkpoint Charlie mit unserem Gunther Buskies von unserer Plattenfirma und wir haben ein bisschen, einfach Brainstorming gemacht, was uns für die nächste Platte so interessieren könnte. Und da hing das Cover von "Heroes" von David Bowie an der Wand, was natürlich mit der Low für uns alle eine sehr wichtige Platte ist und wir haben das dann so für uns ein bisschen vertieft, was heißt OstWest jetzt, welche Thematiken uns interessieren. Und sind dann eben über, wir haben ja eine Trilogie jetzt mit unseren drei Veröffentlichungen, die sich ja auch immer mit den Flughäfen, mit Tempelhof beschäftigen, wo wir immer aufnehmen und wollten einfach "OstWest" in Bezug auf die neue Situation jetzt in Berlin ein bisschen münzen.
Ziehn: Kriegen diese beiden Pole, Ost und West, gerade auch eine ganz neue, beziehungsweise alte Bedeutung, eben mit Putin im Osten und bald mit Trump im Westen?
Zeitblom: Ja wir hatten letztes Mal auch eine bandinterne Diskussion darüber, was es jetzt alles bedeutet und auch Jochen zum Beispiel, Jochen Arbeit lebt ja schon seit 35 Jahren in Berlin, ich selbst seit 22. Berlin war ja auch so eine Art Freiheit für Musiker, so in den 80ern, auch noch bis in die 90er, auch Techno-Bewegung und so. Und mittlerweile ändert sich das alles sehr massiv. Und auch mit der ganzen Situation mit den Regierungen jetzt, auch in Europa, wo man einen sehr starken Rechtsruck, jetzt auch mit der Wahl in Amerika, bemerkt. Und auch die ganze Veränderung in der Stadt auch, also das hat uns halt so jetzt thematisch beschäftigt mit dem neuen Album.
Trump als "Fuck Off" gegen das Establishment
Ziehn: Sehen Sie auch so eine gewisse Ironie darin, dass Sie, ja eine Trilogie über das Versagen des Neoliberalismus gemacht haben und jetzt eben mit dem abschließenden Teil wird zeitlich ein US-Milliardär zum US-Präsidenten gewählt?
Zeitblom: Ne. Es war aber irgendwie auch vorauszusehen. Also, weil jetzt alle so ganz überrascht tun, dass Trump zum Präsident gewählt wurde. Ich war vor vier Wochen in Amerika unterwegs und, es ist ja nicht nur die Ost- und die Westküste. Es gibt auch noch ziemlich viel dazwischen und wenn man auch sieht, wie marode teilweise das Land ist, wie marode die Infrastruktur ist, wie viel, ja, Armut auch in diesem Land herrscht, kann man nicht ganz überrascht sein, dass viele so ein "Fuck Off" zum Establishment sagen. Und Hillary Clinton war ja auch mehr als ungeliebt oder, man kann schon fast sagen, verhasst in Amerika. Also, wie gesagt, mich wundert es nicht wirklich, dass es so ausging, wie es ausging.
Authentische Produktion
Ziehn: "OstWest" ist eben der Abschluss dieser Trilogie über das Versagen des Neoliberalismus. Wie genau ist diese Trilogie eigentlich strukturiert auf diesen drei Alben?
Zeitblom: Also, es hat nicht alles mit Neoliberalismus zu tun. Die erste Platte war ja so eine Findungsplatte für uns, wo wir uns kennengelernt haben und die auch vom Aufnahmeprozess bis zum Mischprozess sehr lange gedauert hat, die wir auch mit den meisten Titeln nach Berliner Flughäfen benannt hatten. Der zweite Teil war eine reine Produktion, die nur in unserem Studio in Tempelhof - also das ist das Studio von Ingo Krause, unserem Produzenten, Candy Bomber heißt das - hat eben sehr stark mit der Situation im Studio zu tun. Und die neue jetzt, "OstWest", ist ja auch in Candy Bomber entstanden, und zwar zu dem Zeitpunkt waren, glaube ich, 2000 Flüchtlinge untergebracht in den Hangars. Und wir haben das ja jeden Tag hautnah mitbekommen, was das für eine, ja, für eine schwierige Situation für die Menschen damals war. Jetzt ist er mittlerweile geräumt und ich glaube es ist auch niemand mehr da. Aber zu dem Zeitpunkt sah das ganze aus wie eine, fast wie eine Theaterinstallation, ganz eng aufeinander abgestimmte Boxen, wo fünf, sechs Leute auf ein paar Quadratmetern untergebracht waren, alles mit Graffitis beschmiert. Eine schwierige Lebenssituation, also das muss man auch sagen, das hat uns sehr, sehr inspiriert auch für die ganze Produktion.
Ziehn: Wie genau haben Sie denn versucht, diese Situation mit den vielen, vielen geflüchteten Menschen, ja musikalisch zu verarbeiten und zu bearbeiten?
Zeitblom: Naja, das ist halt so ein Input, den man bekommt. Also musikalisch kann man jetzt natürlich nicht sagen, das ist jetzt so ein Flüchtlingsstück, sondern es ist eine authentische Situation, die einem begegnet im Studio, also um das Studio rum, wir sind jeden Tag quasi dort angekommen, haben die, alles hautnah mitbekommen und setzt sich natürlich in Diskussionen und auch in den Titeln, auch im Pressetext und wie man einfach rangeht an die ganze Produktion. Also setzt sich irgendwie ab.
Politische Musik ohne Texte
Ziehn: Politische Musik, die funktioniert ja oft und meistens über die Texte eben. Siehe eben diesen Politrock der 70er-Jahre und da eben auch Punk. Worin sehen Sie genau das politische Potenzial von instrumentaler, elektronischer Musik?
Zeitblom: Naja. Es ist natürlich auch so, dass uns, weil wir ja keine Texte schreiben, wir haben natürlich Interviews zur Verfügung, wir haben die Songtitel zur Verfügung, wir haben einen Pressetext zur Verfügung und versuchen natürlich auch unseren Input nach außen zu trage. Und da ist es natürlich selbstverständlich auch politische Musik. Also man kann natürlich auch jetzt komplett sagen, es hat mit Politik nix zu tun, die reinen Tracks jetzt, ja. Aber wie wir natürlich damit umgehen und wie wir es präsentieren, das ist eine politische Musik.
Ziehn: Und welche Rolle spielen die Titel der Stücke, eben auf dem aktuellen Album, "Tempelhof" oder "Tränenpalast"? Also wie viel Tempelhof steckt in dem Stück Tempelhof drin und wie viel Tränenpalast in dem Stück Tränenpalast?
Zeitblom: Tränenpalast war eigentlich der Flughafen Tempelhof für uns. Also die ganze Situation für die Menschen, für die Kinder, die wir gesehen haben, das war für uns wie ein Tränenpalast. Das war ja, geplant war es ja allerdings für eine kurzzeitige Unterbringung und die Menschen waren glaube ich mindestens ein halbes, dreiviertel Jahr da unten. Es waren kaum Duschen da, die konnten sich nicht die Hände waschen nach den Toiletten, das waren auch nur so aufgestellte Boxen. Das beeinträchtigt natürlich auch unsere Situation und wir haben halt versucht, das so umzusetzen. Also musikalisch sind auch so Vocal-Einspielungen, die natürlich auch immer ein bisschen mit den Titeln zu tun haben.
Ziehn: Ist das so eine Art assoziatives Spiel, was Sie da dann auch betreiben?
Zeitblom: Ja. Auf alle Fälle.
Düsteres Bild von Europa
Ziehn: Bei Kraftwerk hat Europa ja noch so was wahnsinnig romantisches. So der Transeuropa-Express, der fuhr durch Europa endlos. Das hatte auch irgendwie so ein Versprechen. Wie sieht das Europabild auf "OstWest" für Sie aus?
Zeitblom: Eher düster im Moment. Auch nach dem Brexit der Engländer, was ja auch eine Abstimmung gegen das Establishment war. Die Situation in Ungarn, in der Türkei. Was jetzt auch in Frankreich nächstes Jahr passieren kann mit Le Pen verdüstert das ganze Europabild für uns schon sehr. Aber es ist eigentlich, "Europa" als Track ist positiv gemeint. Eine Besinnung auf die Werte und die Stärke von Europa, was machbar wäre und was auch wirklich in den nächsten Jahren notwendig ist, sich dagegenzusetzen, also gegen diesen extremen Rechtsruck, der überall passiert, auch in Holland, wo man hinsieht, auch in Deutschland natürlich mit der AfD.
"Wichtige Themen werden zu wenig diskutiert"
Ziehn: Sie haben eben schon gesagt, dass Sie alle Drei schon sehr, sehr lange in Berlin leben, schon ganz viele Veränderungen in der Stadt auch so mitbekommen haben. Was ist Ihr Gefühl? In welche Richtung bewegt sich diese Stadt jetzt gerade?
Zeitblom: In die totale Kommerzialisierung. Man merkt jetzt auch, also ich habe so ein bisschen mitbekommen auch wie die zukünftige Koalition über Themen diskutiert, die teilweise wirklich vorbeigehen an den Leuten, an den Menschen, die hier leben. Es gibt einfach zu wenig Wohnungen, es gibt zu viele überteuerte Wohnungen und es wird darüber diskutiert, ob Unter den Linden jetzt eine Fußgängerzone wird oder mit den Radwegen, okay, kann man drüber streiten, ob das wichtig ist. Aber ich denke, man sollte erst mal in erster Linie auf die Leute gucken, die hier leben und nicht nur die, die hier ihren Urlaub verbringen.
Ziehn: Was ich mich ja tatsächlich gefragt habe eben, auch als ich das gelesen habe, diese Hintergrundgeschichte mit den Flüchtlingen, die eben um ihr Studium herumgelebt haben. Warum haben Sie das Album nicht NordSüd genannt? Weil darum geht es ja eher bei der "Flüchtlingskrise".
Zeitblom: Das stimmt. Nein, aber es war natürlich, es hatte natürlich mit der alten Situation zu tun Ost-West, deswegen wollten wir natürlich auch die Koordinaten so belassen, wie Berlin auch so. Also eben die Verbindung zu den 70er-Jahren auch in Berlin.
Ziehn: Georg Zeitblohm, ganz herzlichen Dank.
Zeitblom: Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.