Freitag, 17. Mai 2024

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OSZE-Mitarbeiter in Ostukraine
"Ich kann keine Freilassung bestätigen"

Der stellvertretende Leiter der OSZE-Mission in der Ukraine, Alexander Hug, sagte im Deutschlandfunk, dass er keinen direkten Kontakt zu den beiden vermissten OSZE-Teams habe. "Ich kann ihnen nicht bestätigen, dass wir eine Freilassung haben", sagte er über die neun vermissten Mitarbeiter in der Ostukraine.

Alexander Hug im Gespräch mit Bettina Klein | 31.05.2014
    Ukrainischen Soldaten zielt mit einem Gewehr auf eine im Vordergrund ebenfalls mit einem Gewehr bewaffneten Person. Im Hintergrund ist eine Allee zu sehen.
    Ukrainische Soldaten bewachen einen Check Point in der Nähe des Dorfes Dovgenke (picture-alliance/epa/Anastasia Vlasova)
    Er ergänzte, dass die OSZE zu den selbst ernannten Behörden und allen Gruppen in der Ostukraine Kontakt halte. "Wir halten alle Kanäle offen, zu den Personen, die unsere Leute festhalten". Es bleibe aber die Hoffnung, einen direkten Kontakt zu den vermissten Kollegen zu bekommen, sagte Hug weiter. Er sei guter Hoffnung, dass diese freigelassen werden.
    Dass die Mitarbeiter festgehalten werden konnten, liege daran, dass man täglich an den Checkpoints aufgehalten werde. Die OSZE habe als Hauptaufgabe, den Kontakt mit allen Parteien herzustellen und zu pflegen - sowohl mit administrativen ukrainischen Einrichtungen als auch mit den selbst ernannten militärischen Rebellenführern, erläuterte Hug. Das diene zur Einschätzung der Lage im Nordosten.
    Zu aktuellen Lage in der Ukraine sagte er: "Zur Zeit ist die Ostukraine sehr angespannt, die Frontlinie ist unklar." Das Vor-Ort-Sein der OSZE entschärfe aber die Lage.

    Lesen sie das gesamte Interview hier:
    Bettina Klein: Sie konnten es in den Nachrichten bei uns hören: Russische Truppen ziehen sich offenbar von der Grenze der Ukraine zurück. Das melden inzwischen verschiedene Quellen. Doch es ist schon das zweite Team der OSZE-Mission in der Ukraine gewissermaßen abhandengekommen, entführt. Meldungen über eine Freilassung der Entführten hat heute Mittag für Verwirrung gesorgt, bestätigt werden konnten sie bisher nicht. Ich habe darüber gerade mit dem stellvertretenden Leiter der OSZE-Mission in der Ukraine gesprochen und wollte von Alexander Hug wissen, was er über das Schicksal seiner Mitarbeiter sagen kann.
    Alexander Hug: Eine Freilassung können wir nicht bestätigen. Wir vermissen nach wie vor zwei verschiedene Teams, das eine, das am 26. Mai 2014 nachmittags an der Oblastgrenze zwischen dem Oblast Donezk und Luhansk abhandengekommen ist und wo wir seitdem keinen direkten oder indirekten Kontakt hatten, das sind vier Kollegen der Mission, die seit dem 26. vermisst sind, und dann seit dem 29. weitere fünf Kollegen, die im nördlichen, nordwestlichen Teil des Luhansk-Oblastes angehalten wurden und mit denen wir auch seit dem Abend des 29. Mai keinen direkten oder indirekten Kontakt hatten.
    Wie gesagt, eine Freilassung kann ich nicht bestätigen. Wir sehen die Presseberichte in diese Richtung ebenfalls und setzen alles daran, jeweils nach diesen Berichten festzustellen, ob unsere Leute sich bewegen, wenn Telefone wieder eingeschaltet sind. Aber ich kann Ihnen nicht bestätigen, dass wir eine Freilassung erreicht haben oder dass eine solche erfolgt ist.
    Klein: Sie sagen, Sie haben gar keinen Kontakt mehr, auch zu der zweiten Gruppe nicht mehr. Laufen denn Vermittlungsbemühungen im Hintergrund oder Versuche, sie zu befreien?
    OSZE hat Kontakte zu allen Gruppen
    Hug: Wir sind eine zivile Mission, wir sind hier seit nun fast zwei Monaten in der Ukraine, wir haben verschiedene Kontakte zu den formellen Behörden oder auch zu den selbst ernannten Behörden, den bewaffneten Separatisten, allen Gruppen, wir öffnen und halten Kanäle offen zu den Gruppen, den Personen, die unsere Leute festhalten, aber wie schon gesagt, wir haben keinen direkten oder indirekten Kontakt zu den Personen oder Gruppen, die unsere Leute zurzeit festhalten.
    Klein: Und wenn ich es richtig verstehe, sind Sie da im Grunde genommen machtlos und außer dem, was Sie gerade genannt haben, nämlich Kanäle offenzuhalten, sind Ihnen die Hände gebunden. Sie müssen zusehen, wie Ihre Leute da festgehalten werden.
    Hug: Unsere Hände sind nicht gebunden. Wir sind in beiden Oblasten noch mit Personal vor Ort. Wir beschäftigen uns direkt mit den verschiedenen Splittergruppen. Wir sind die einzige internationale Organisation, die immer noch Zugang hat zu diesen Regionen. Und dementsprechend bleibt die Hoffnung, dass wir denn den Kontakt direkt oder indirekt herstellen können, um dann eine Freilassung zu erwirken.
    Klein: Herr Hug, wie ist das eigentlich möglich, dass Mitarbeiter der Mission jetzt schon zum zweiten Male mir nichts, dir nichts verschwinden? Schweben sie alle dort in der gleichen Gefahr, entführt zu werden?
    Hug: Diese zwei Fälle, die ich anfangs erwähnt habe, das sind zwei von mehreren. Unsere Leute werden täglich an diesen Checkpoints aufgehalten. Es ist wiederum die Erfahrung, dass unsere Vertretung vor Ort und unsere Verbindung mit allen Parteien uns nötigen Rückenhalt gibt, uns durch diese Gegend frei zu bewegen. Diese zwei Gruppen, die jetzt festgehalten wurden, die wurden festgehalten durch Gruppen, zu welchen wir, wie ich schon erwähnt habe, keine direkten Kontakte haben. Dementsprechend wird es dann noch weitere Zeit benötigen, um eine Freilassung zu bemühen, alsbald wir den Kontakt haben, sind wir guter Dinge und guter Hoffnung, dass das für alle zufriedenstellend und durch Freilassung gelöst wird.
    OSZE-Hauptaufgabe: Kontakte herstellen und pflegen
    Klein: Könnte es ein Beispiel geben, wie genau Sie vor Ort arbeiten? Wie müssen wir uns Ihre Tätigkeit vorstellen?
    Hug: In den Oblasten wird ... Die Hauptaufgaben sind, diese Kontakte herzustellen und zu pflegen mit allen Parteien, das heißt, mit den noch vorhandenen formalen ukrainischen administrativen Einrichtungen, die in beiden Oblasten zum gewissen Teil noch dort sind, durch alle Ministerien, die dort vertreten sind.
    Aber dann auch durch die Kontaktaufnahme mit den selbst ernannten militärischen Rebellenführern oder den politischen Führern, sodass die Lage in den beiden Oblasten eingeschätzt werden kann und unser Mandat, das ja dahin lautet, dass wir über die Lage in den beiden Oblasten objektiv und transparent berichten können, umgesetzt werden kann.
    Natürlich wird die Sicherheitslage jeden Tag oder stündlich oder fortlaufend neu eingeschätzt, und wenn die Lage das dann nicht erlaubt, uns weiter oder frei zu bewegen, dann schränkt das natürlich unsere Möglichkeit ein, das dort umzusetzen. Aber diese Einschränkung wird täglich geprüft und dann neu bedacht und dann wieder auch neu umgesetzt.
    Klein: Wir hören von zunehmenden militärischen Handlungen in der Ostukraine. Wie würden Sie denn die Situation im Augenblick beurteilen?
    Lage über Frontlinie ist unklar
    Hug: Die Situation zurzeit im Osten der Ukraine ist sehr angespannt. Die Situation ist auch unklar in Sachen Frontlinie. Aber es ist die Kombination zwischen der militärischen Operation der Regierung und der Operation und der Tätigkeit der verschiedenen militanten Gruppen im Osten, die die Lage sehr undurchsichtig machen und unsere Arbeit erschweren und das Umsetzen unseres Mandates erschweren.
    Klein: Inwiefern haben Sie denn den Eindruck, dass Sie etwas dazu beitragen können, dass die Lage nicht weiter eskaliert?
    Hug: Wiederum ist hier unsere Rolle als neutrale Beobachter in dieser Region ausschlaggebend. Es ist immer schwierig, zu sagen, was man erreicht in Sachen Konfliktverhütung, weil die Absenz von mehr Konflikt kann man nicht beweisen, man kann nur beweisen, welcher Konflikt vor Ort ist.
    So ist es schwierig zu sagen oder zu beweisen, wie viel und wie groß unser Einfluss ist. Aber wir sind der Meinung, dass unser Mandat, das ein starkes Mandat ist, das gestützt wird durch 57 Mitgliedsstaaten, die Lösung ist, die richtig ist für den Osten der Ukraine und für die Ukraine als Ganzes. Und unsere Vertretung vor Ort bestätigt, dass unser Vor-Ort-Sein mithilft, die Lage punktuell, dann aber auch über die Region hinaus zu begleiten, zu beobachten und dann auch entschärfend einzuwirken, wo das dann möglich ist.
    Eskalation ist nicht auszuschließen
    Klein: Gehen Sie davon aus, dass die Situation noch unter Kontrolle zu bekommen ist und sich wieder stabilisieren wird in der näheren Zukunft?
    Hug: Das ist schwierig einzuschätzen. Aufgrund der Situation, wie wir sie heute einschätzen, kann davon ausgegangen werden, dass der Konflikt noch weiter andauern wird. Eine Eskalation ist nicht auszuschließen. Wir sind natürlich der Hoffnung, dass diese Situation eine Kehrtwende erfährt und dass die Situation sich verbessern wird und die Region befriedigt wird.
    Klein: Alexander Hug, der stellvertretende Leiter der OSZE-Mission in der Ukraine. Wir haben ihn telefonisch in Kiew erreicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Die OSZE
    Frieden, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind die Hauptziele der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Zu den 57 Teilnehmerstaaten gehören alle Länder Europas, die USA, Kanada, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie die Mongolei. 2014 hat die Schweiz den OSZE-Vorsitz, davor war es die Ukraine. Die OSZE fördert die humanitäre, wirtschaftliche, ökologische und technische Zusammenarbeit und entsendet häufig Wahlbeobachter. Das wichtigste Exekutivgremium ist der Ständige Rat. Das Sekretariat in Wien hat etwa 200 Mitarbeiter. In Missionen und Büros in 17 Ländern arbeiten mehr als 2500 weitere Menschen für die OSZE. Der Jahresetat belief sich 2013 auf etwa 145 Millionen Euro.

    Vorläufer der OSZE war die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Die Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte 1975 in Helsinki sorgte für eine allmähliche Entspannung im Ost-West-Konflikt. 1994 wurde die KSZE in OSZE umbenannt.