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"Othello" in Griechenland

Im antiken Theater von Epidaurus werden beim Hellenic Festival meist antike griechische Stücke gezeigt. In diesem Jahr hat sich Thomas Ostermeier erstmals nach Epidaurus gewagt - zwar nicht mit einem Stück aus der griechischen Antike, aber dafür mit Shakespeares Othello.

Von Hartmut Krug | 08.08.2010
    Im antiken Theater von Epidaurus werden beim Hellenic Festival meist antike griechische Stücke gezeigt. Groß die Gesten, sparsam die zeichenhaften Bühnenbilder für ein kulturvolles Theater in erhabener und behaglicher Stimmung, bei dem der Blick, hinweg über die Reste der Skene und des Proskenions über die Hügel des Peleponnes schweifen kann. Doch seit Yorgos Loukos im Jahr 2006 die Leitung des ab 1955 in Athen und Epidaurus stattfindenden Festivals übernahm, öffnete sich dieses auch dem internationalen Startheater-Gastspielbetrieb und moderneren Theaterformen.

    Thomas Ostermeier gastierte mit etlichen Inszenierungen in Athen, und vor zwei Jahren kam sein "Hamlet" in einer Fabrikhalle zur Premiere. In diesem Jahr hat er sich erstmals nach Epidaurus gewagt. Nicht mit einem Stück aus griechischer Antike, sondern mit einem aus elisabethanischem Kosmos, mit Shakespeares "Othello":

    "Es gibt zwei Möglichkeiten, zwei Möglichkeiten, mit dem Ort umzugehen. Das eine ist, ihn komplett wahrzunehmen und zu belassen. Das heißt, da nichts rein zu bauen. Und die zweite Variante ist, in diese wunderschöne Natur und Landschaft etwas rein zu setzen, was wie ein Fremdkörper wirkt, und das ist der Versuch, da einen ganz klaren Kontrapunkt zu setzen. Wir haben da das Bühnenhaus quasi ersetzt, was ja früher auch hinter der Orchestra, die Skena war, eine Rückwand gesetzt, in deren Maßen, und das haben wir da rein gesetzt, und dieses Bühnenhaus nutzen wir auch sehr stark als Projektionsfläche, arbeiten mit Live-Musik. Es ist schon eine Aufführung, die auch teilweise sehr vielen Effekten arbeitet."

    Zwar bleibt die einzigartige Atmosphäre des Ortes erhalten, aber zugleich schafft Jan Pappelbaums Bühnenbild, unterstützt von der Bühne und Zuschauerraum einhüllenden nächtlichen Dunkelheit, Intimität im offenen Raum. Das laut schrillende Konzert der Zikaden ist verstummt, wenn die Aufführung mit einem Trompetensolo von Nils Ostendorf beginnt. Ein flaches Wasserbecken dient als Spielfläche. Schwarz schimmert sie im Licht von Neonröhren, die von einer Schiebewand im Hintergrund Lichteffekte und goldfarbene Lichtspritzer von einem Lamellenvorhang liefern. Die von Nina Wetzel heutig eingekleideten Schauspieler sitzen auf Stühlen im Wasser um ein strahlend weißes Bett, und das Trompetensolo geht in eine lange jazzige und balkanpoppige Musik der kleinen Live-Band über. Othello entkleidet sich, schwärzt sich mit Erde, wobei ihm Desdemona hilft, und sie vereinen sich unterm Bettuch. Dann wird das Bett heraus geschoben, und Platz ist für eine große Jago-Show. Jago steht bei Ostermeier im Zentrum, - als ein in seiner (nicht sexuellen) Liebe zu Othello Enttäuschter.

    Die neue Prosa-Übersetzung von Marius von Mayenburg gibt mit ihrem nüchtern coolen Ton Jago viel Raum und Wirkungsmöglichkeiten, und sein Darsteller Oliver Stern nutzt dies kräftig. Stern agiert im weißen Glitter-Sacko wie ein Showmaster vor bunten Nachtclub-Leuchtreklamen, oft mit dem Mikrofon in der Hand. Dazu spielt die Band auf, eine Bar steht bereit und gelegentlich wird auch Golf gespielt. Allerdings treibt Stern seinen Jago, während dieser sich und dem Publikum seine Intrige gegen Othello erklärt, in eine allzu zappelige gestisch-mimische Überdeutlichkeit.

    "Signor, Signor, ist ihre ganze Familie drin? Sind ihre Türen abgeschlossen?"

    "Warum, wozu fragen Sie das?"

    "Verdammt Sir, sie sind beraubt. So eine Schande. Ziehen Sie Ihren Morgenmantel an. Ihr Herz ist zerrissen, sie haben ihre halbe Seele verloren. Jetzt gerade, jetzt, genau jetzt rammelt ein alter schwarzer Bock ihr weißes Lämmchen."

    Gegen Jago wirkt Sebastian Nakajews kahlköpfig massiger Othello unbeweglich, wenn er nicht gerade ausführlich durch einen epileptischen Anfall rast. Die verdruckste Körperhaltung dieses Aufsteigers, kein Schwarzer, sondern ein Weißer, signalisiert die Unsicherheit eines Mannes, der seinem Glück nicht traut. Wenn Othello sich in Raserei steigert, verliert die Figur leider jede Form, auch ihre darstellerische. Der Mord an Desdemona, die von Eva Meckbach als unauffälliges Seelchen gegeben wird, verrutscht mit Wassergeplatsche und Bettstrampeleien zur unfreiwillig komischen Verfolgungsorgie. Die Jago-Show rückt die anderen Figuren in Ostermeiers Inszenierung an den Rand. Obwohl sie alle ihre Geschichten und ihr Scheitern in der Liebe erzählen, bleiben sie Nebenfiguren von geschäftiger Blässe. Ostermeiers pausenloser, zweieinhalbstündiger "Othello" beginnt mit Schwung und Witz, fällt jedoch in immer tiefere Spannungslöcher und wirkt inszenatorisch noch unfertig. Da nicht viel Probenzeit zur Verfügung stand, wird an ihm sicher vor der Berliner Premiere am 9. Oktober noch gearbeitet werden.