Thibaut: Nein, nicht die Rückkehr der Lords, aber es ist schon interessant, dass die Labour Party plötzlich einen gewissen Enthusiasmus für das altenglische Feudalerbe entdeckt, das war ja nicht immer so in den ersten fünf Regierungsjahren. Die erste Maßnahme der Labour-Regierung war es, ganz gezielt gegen die Schlossbesitzer und Landbesitzer gerichtet, nämlich das right to roam. Das bedeutet, dass jeder wandern kann, wo er will, auch auf Privatbesitz, und dann gibt es ja noch diese andere Attacke gegen den Feudalismus mit dem Verbot der Fuchsjagd.
Lückert: Die Haltung der Tories war seinerzeit gewesen, wenn ein Eigentümer sein Haus nicht unterhalten kann, soll er es verkaufen. Wie steht man denn heute dazu?
Thibaut: Nun, man will einen Vorschlag der Historic Houses Association aufgreifen, dass man Besitzern von historischen, also denkmalgeschützten Schlössern und Herrenhäusern pro Jahr bis 40.000 Pfund Reparaturen steuerfrei erlaubt. Das ist eigentlich überhaupt nicht viel. Das würde den Schatzkanzler im Jahr 10 bis 15 Millionen Pfund kosten, aber es würde zum Beispiel die fast 1.500 Schlossbesitzer, die in dieser Historic Houses Association zusammengeschlossen sind, in den Stand versetzen, ohne weitere Kreditaufnahme oder Anträge von Fördermitteln ihre Häuser einigermaßen in Stand zu halten, weil es ja nach Jahren geht.
Lückert: Sind denn die Herrenhäuser tatsächlich in der Gefahr zu verfallen, oder handelt es sich, wenn etwa die Times auf Seite drei eine ganze Seite über das Thema macht, einfach um Meinungsmache?
Thibaut: Nein, es ist ein großes Problem, weil die Bausubstanz natürlich alt ist - das ist die Definition der Sache -, und die Einkünfte der Landbesitzer sind im hohen Maße mit der Landwirtschaft verknüpft, und die Landwirtschaft hat in den letzten Jahren sehr gelitten, vor allem in Großbritannien, auch sonst in Europa. Die Einkünfte gehen zurück, und die traditionelle Finanzierung ist sozusagen nicht mehr gewährleistet. Man hat in den letzten Jahren gesehen, wie zunehmend Kunst aus diesen Landhäusern zum Beispiel auf den Markt kommt, die verkauft wird, damit die Lords und die reichen Besitzer ihre Dächer flicken können. Das ist also sehr gefährlich, und man weiß ja, wenn man die Schindel nicht rechtzeitig zurecht rückt und die Dachrinden erneuert, dann kann die Bausubstanz sehr schnell angegriffen werden, und es wird sehr viel teurer. Also es besteht hier ein wirklicher Handlungsbedarf, und es scheint eben so zu sein - das ist das Interessante daran -, dass die Labour-Party diesen Handlungsbedarf jetzt zu akzeptieren scheint. Wenn man zurückdenkt an die letzten zwei, drei Jahren des Coolbritannia, dann war es ja ganz anders. Noch nach dem 11. September hat ja das Bedürfnis, die multiethnische Seite der Gesellschaft herauszukehren, noch zugenommen, so dass dieser Vorschlag und der Enthusiasmus, mit dem die Labour-Partei darauf eingeht, jetzt eigentlich wirklich überraschend ist, und der Grund dafür ist eben, dass trotz Coolbritannia die Briten immer noch begeisterte Schlossbesichtiger sind und das Erbe in einer solchen Vielzahl gepflegt wird. Wenn man an den National Trust denkt, dieser Denkmalschutz, der hat in Großbritannien jetzt mehr als drei Millionen Mitglieder, mehr als der britische ADAC, der AA; das ist eine ganz erstaunliche Zahl.
Lückert: Ist das auch ein Versuch, das Architekturerbe im Land zu lassen, um zu verhindern, dass die x-te Hotelkette, ein Schlosshotel eröffnet, oder die Häuser an Ausländer verkauft werden müssen?
Thibaut: Man wird sehen, wie das geht. Man könnte argumentieren, warum soll man diese Bausubstanz durch die alten Feudalbesitzer schützen lassen? Man könnte sie ja auch verkaufen. Es gibt sicher genug Reiche in Großbritannien, die sich solche Landsitze kaufen würden und sie auch kostspielig renovieren würden. Nur wäre natürlich dann die Besichtigung durch die Öffentlichkeit nicht mehr möglich, und die große Gefahr ist, dass, bevor das passiert, die Kunst verkauft wird. Dann würden die Feudalbesitzer die Kunst in den Schlössern verkaufen, und die britischen Schlösser sind eigentlich die historischen Museen des Landes. Das ist da, wo der ganze Kunstbesitz gelagert ist, und das ist das Schlimme. Man könnte die Bausubstanz vielleicht anders retten, aber nicht die Kunst, die in den Schlössern ist. In diesem Jahr, wenn man vielleicht daran mal erinnert, gab es eine ganze Serie von Auktionen in London, wo wirklich historischer Kunstbesitz verkauft wurde: Kunst für über zwanzig Millionen wurde da zum großen Teil nach Amerika verkauft. Oder diese wunderbare Venus, die sieben Millionen Pfund gekostet hat. Die hat jetzt nun wahrscheinlich ein arabischer Sammler gekauft. Das ist Kunst, die verloren geht, und wenn die mal weg ist, dann kann man überhaupt nichts mehr machen; das wird nie mehr zurück nach England kommen.
Lückert: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: mehr ...
364.html