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„Our Pathetic Age“ von DJ Shadow
Der Welt abhanden kommen

Seit seinem Debutalbum „Endtroducing“ gilt Joshua Paul Davis alias DJ Shadow als einer der versiertesten Produzenten. Auf seinem neuen Doppelalbum „Our Pathetic Age“ bringt der Kalifornier in Instrumentals und Rap-Tracks seine zunehmende Verzweiflung an der Welt zum Ausdruck.

Von Florian Fricke | 16.11.2019
DJ Shadow zur Seite blickend, mit grünem Hoodie und weißem Basecap; im Hintergrund eine Brücke
Nachdenklich: DJ Shadow (Derick Daily)
Als 1996 "Endtroducing" von DJ Shadow erscheint, ist Trip Hop à la Massive Attack eigentlich schon ein alter Hut. Aber wohl kaum jemand lebt dieses Genre in seiner wörtlichen Bedeutung so intensiv wie Josh Davis. "Endtroducing" besteht nur aus Samples, aus gefundenen Versatzstücken, die Davis seiner gigantischen Plattensammlung entnimmt und daraus neue Stücke bastelt, indem er die Sampels neu zusammensetzt und loopt. Eine Technik, die auch im Hip-Hop zum Einsatz kommt. "Endtroducing" wird zu einem der wichtigsten Alben der 90er Jahre, ein schier endlos mäandernder musikalischer und hypnotischer Trip.
Umzingelt von Waldbränden
Auf seinen drei weiteren Studioalben wandelt sich DJ Shadow immer mehr vom Sample-Wizard zum Produzenten und Komponisten alter Schule. Melodien selber zu schmieden, das ist nun sein Anspruch. Handwerklicher Höhepunkt dieser Entwicklung ist das Orchester-Arrangement für "Firestorm" auf dem aktuellen Album "Our Pathetic Age". Der Songtitel bezieht sich auf die immer häufiger auftretenden Naturkatastrophen in seiner Heimat Kalifornien.
"Wir sind quasi umzingelt von Waldbränden. Als ich vier war, lebten wir in Middletown. Diese Stadt wurde vor vier Jahren über Nacht ausradiert."
Damit ist auch das Hauptthema des Albums umrissen: der bemitleidenswerte Zustand der Welt in all seinen Facetten. Seine beiden vierzehnjährigen Zwillingstöchter inspirierten ihn dazu, sich damit auseinanderzusetzen.
"Die Menschheit scheint es nicht auf die Reihe zu bekommen, gemeinsam all diese ernsten Probleme anzugehen, egal auf welcher Ebene, ob weltweit oder da, wo ich lebe, zum Beispiel um Amokläufe an Schulen zu verhindern. Die gehören nun zum Alltag. Als ich am Album arbeitete, konnte ich mich vor Schuldgefühlen kaum konzentrieren."
"Our Pathetic Age" ist ein Doppelalbum geworden – ein höchst ungewöhnliches. Der erste Teil besteht komplett aus Instrumentals, der zweite aus Hip-Hop-Tracks mit Gästen aus seiner vierzigjährigen Geschichte, von De La Soul über Run The Jewels bis zum siebzehnjährigen Infamous Taz.
"Die Instrumentals stammen zu 100% von mir. Bei den Kollaborationen ist mein Anteil naturgemäß etwas kleiner, da geht es um Kommunikation. Ich wollte die Gesang-Tracks nicht an den Anfang stellen, weil die Hörer sonst vielleicht eher die Instrumentals übergehen würden."
Was man sich nicht so recht vorstellen will, denn Instrumentals sind seine Kerndisziplin. Auf einem Track wie "Weightless" hört man seine Inspirationsquellen der letzten Jahre heraus, Dubstep in seiner überbordenden amerikanisierten Form und Trap. Vor allem die musikhistorische Übergangsphase zwischen diesen Stilen interessiert ihn aus Produzentensicht.
Unruhe als Leitmotiv
Die Kombination aus Subbässen und Klapperschlangen-Hi-Hats sorgt für diese diffuse Nervosität, die über den Instrumentals liegt. Unruhe als Leitmotiv, und paradoxerweise wirkt hier DJ Shadow so fokussiert wie lange nicht. Bei den Rap-Kollaborationen dann ein etwas anderes Bild. Hier gibt es auch einige konventionellere Uptempo-Nummern wie das schon veröffentlichte "Rocket Fuel" mit De La Soul. Interessant wird es eher bei den neuen Namen. "Jojo’s Words" featured zum Beispiel Stro, dessen Karriere aus dem Gewinn einer Casting-Show hervorging. DJ Shadow hatte für diesen Track nur Absagen bekommen und war am Verzweifeln.
"Der Track klingt nicht nach Drake oder Nicki Minaj. Ältere Künstler können sich ziemlich konservativ verhalten, weil sie glauben ihr Erbe beschützen zu müssen – aber jüngere genauso, wenn der Track nicht der Musik entspricht, aus denen ihre Playlisten bestehen. Ich will mit Künstlern an Tracks arbeiten, die es so noch nie gab. Und Stro hat es begriffen."
DJ Shadow auf höchstem Niveau
"Our Pathetic Age" ist DJ Shadow auf höchstem Niveau, ein Album, das bei allen politischen Anspielungen keinen plakativen Weg einschlägt, sondern sich unterschwellig und mit viel Feinsinn an der Wirklichkeit reibt.