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Outing als Bibliomanin

Die Persönlichkeit eines Lesers spiegelt sich in seiner Bibliothek wieder. Wird jene aufgelöst und die Bücher verschwinden in den Regalen eines Antiquariats, ist es auch um die Faszination geschehen, welche die von eigener Hand geordnete Bibliothek besessen hatte. Als Inspirationsquelle ihrer Geschichten zieht die US-Autorin ihr privates Umfeld heran.

Von Andrea Gnam | 07.12.2005
    Zu unverbrüchlicher Gemeinschaft bekennt sich ein Paar nicht durch den Bund der Ehe oder gemeinsame Kinder, richtig ernst wird es in einer Beziehung erst, wenn die mitgebrachten Bücherbestände miteinander vereinigt werden. Und sind im Zuge der Zusammenlegung die doppelt vorhandenen Exemplare aussortiert, die Dubletten verschenkt, dann gibt es keine andere Wahl mehr als auf Gedeih und Verderb zusammenzubleiben, hat man doch alle Brücken zur Rückkehr in das alte Leben hinter sich abgebrochen. Wer sich bei diesen Bedenken oder gar im finalen Vertrauensbeweis der vereinten Bibliotheken wieder erkennt, wird die "Bekenntnisse einer Bibliomanin" von Anne Fadiman zu goutieren wissen, die im Schirmer/Graf Verlag erschienen sind.

    Die lose miteinander verbundenen Essays widmen sich dem Leben mit Büchern. Die Autorin ist Amerikanerin und wie es die Leserschaft in den USA gewohnt ist, dient das private Umfeld, die eigene Familie und der recht beeindruckende Bekanntenkreis der Autorin als Anschauungsobjekt, Beweismaterial und Inspirationsquelle. Gut die Hälfte des Buches beschäftigt sich mit den Interna der Organisation einer privaten Bibliothek und den unterschiedlichen Ordnungsvorstellungen ihrer Inhaber. "Nach welchen Gesichtspunkten ordne ich meine Bibliothek?" ist eine Frage von geradezu philosophischer Relevanz. Fadiman findet schöne Bilder, um die unterschiedlichen Einstellungen zum Halten und Pflegen von Büchern zu beschreiben: da gibt es zum Beispiel den Naturgarten und den Barockgarten. Während ihr Partner unbekümmert Wildwuchs auf den Regalen zulässt, eine demokratische Gemeinschaft unter der "umfassenden Flagge der Literatur" vereint, sind für sie Bücher, Landkarten, Scheren und Tesafilmabroller "allesamt unzuverlässige Landstreicher". Bücher haben deshalb in ihrer Bibliothek ein Kasernenleben zu führen und sich Reglements und Zuordnungsverfahren zu unterwerfen. Genauer betrachtet erweisen sich diese als recht harmlos: Übergreifende Sachgebiete und eine Einteilung nach Nationalliteraturen, wenn möglich chronologisch geordnet, bestimmen die Systematik. Der Teufel liegt im Detail: wenn sie Shakespeares Werke nach dem Jahre der Entstehung ordnen will, ist das für ihn intellektuelle Überheblichkeit.

    In jeder Bibliothek gibt es prominente und weniger ehrenvolle Plätze wie zum Beispiel das Regal neben dem Schreibtisch, in dem sich auch das Telefonbuch befindet. Es gibt Sammelgebiete, die gewisse Rückschlüsse auf ihre Besitzer zulassen. Fadiman liebt den erlesenen Minimalismus polarer Breitegrade und begeistert sich für Polarliteratur, während ihr Mann, wie könnte es anders sein, sich den üppigen Tropen zuwendet. Die Persönlichkeit eines Lesers spiegelt sich in seiner Bibliothek wieder. Wird jene aufgelöst und die Bücher verschwinden in den Regalen eines Antiquariats, ist es auch um die Faszination geschehen, welche die von eigener Hand geordnete Bibliothek besessen hatte. Dies erklärt auch, weshalb professionell mit dem Verkauf von Büchern beschäftigte Menschen, der Welt der Bücher nicht die gleiche Begeisterung entgegenbringen wie der künftige Leser, der beabsichtigt den Büchern in der eigenen Bibliothek "ein Zuhause" zu bieten.

    Spätere Kapitel behandeln das weite Feld, auf das sich einer begibt, der eine bestimmte Anzahl von Essays über Bücher zu schreiben hat: der Verbindung zwischen Schreibwerkzeug und literarischem Stil ist ein Kapitel gewidmet und dem Lesen von Versandhauskatalogen. Dargelegt wird auch die Angewohnheit des passionierten Lesers ein Faible für das Auffinden von Druckfehlern zu entwickeln, das sich auf jede Sorte Gedrucktes hin ausweiten kann bis hin zur Speisekarte. Ein satirisches Kapitel über ausufernde Fußnoten, in dem wahllos die Herkunft noch der banalsten Information in einer Anmerkung nachgewiesen wird, ist allerdings nicht nur langweilig, sondern schlicht missraten. Zwar schmeichelt sich die Autorin wahrhaftig eine Erbsenzählerin zu sein, wenn es um die Korrektur von Rechtschreib- und Grammatikfehlern geht, die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln wissenschaftlichen Zitierens scheinen ihr indes kaum vertraut zu sein.

    Fadiman ist eine Leserin, die zu Büchern ein leidenschaftliches, kein intellektuelles Verhältnis unterhält: einzelne Begebenheiten und Geschichten, Helden und Abenteuer sind ihr wichtig. Eine Schwierigkeit für den deutschen Leser, dem Übersetzer und Verlag mit einem Anhang hätten Abhilfe schaffen können, ist die Tatsache, dass es sich bei Fadimans Bibliothek um eine amerikanische Bibliothek handelt. Oft ist von literarischen Helden und prägenden Leseerfahrungen die Rede, die dem Leser, der mit der deutschsprachigen Literatur aufgewachsen ist, kaum oder gar nicht vertraut sind. Um Entdeckungen zu machen und Anregungen aus der Fadimanschen Bibliothek zu beziehen, wäre ein Literaturverzeichnis schön gewesen. Das Buch besitzt übrigens ein deutsches Pendant, das Fadiman nicht erwähnt, Walter Mehrings "Die verlorene Bibliothek. Autobiographie einer Kultur", das von den Büchern des Vaters handelt, dessen Erbe er auf der Flucht vor den Nazis nicht antreten konnte.

    Anne Fadiman: "Ex libris. Bekenntnisse einer Bibliomanin"
    Schirmer/Graf Verlag