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Outsider House
Rauschen an allen Ecken und Enden

Am Rande der House-Szene finden sich experimentierfreudige Musiker, die sich abseits von digitaler Hochglanzmusik bewegen. Produzenten wie Ron Morelli, Karen Gwyer, Low Jack, S Olbricht oder Huerco S gehören zu diesen Außenseitern der House-Szene. Häufig haben ihre Produktionen etwas Unverbindliches sowie Unfertiges und werden mitunter auf Kassetten veröffentlicht.

Von Raphael Smarzoch | 21.06.2014
    Eine grüne Kassette aus den 1970er-Jahren liegt auf einem Terrazzo-Steinboden.
    Die Kassette ist nicht nur ein günstiges Medium, sondern steht in der heutigen digitalbeeinflussten Zeit für eine analoge Lo-Fi-Ästhetik. (dpa - picture alliance / Maximilian Schönherr)
    "Die interessantesten Dinge einer Klub-Nacht, an die ich mich erinnern kann, passieren außerhalb des Klubs, fern der Tanzfläche. Wenn man einen Track auf der Toilette hört oder durch einen Korridor geht."
    Stephen Bishops Beschreibung einer gelungenen Klubnacht artikuliert buchstäblich eine Außenseiterperspektive. Der britische Produzent und Labelbetreiber fühlt sich in der Peripherie des Klubs am wohlsten. Die Tanzfläche, der Mittelpunkt des Geschehens, interessiert ihn nicht. Er hält sich lieber in den Außenbereichen auf. In Zonen, in denen die Musik seltsam klingt. Dort, wo sie durch die Architektur reflektiert wird und in skurrilen akustischen Mutationen zu vernehmen ist.
    Die Sounds, die Stephen Bishop auf seinem Label Opal Tapes veröffentlicht, werden von der Musikpresse mit dem Stiletikett Outsider House belegt. Den Begriff prägte der britische DJ Ben UFO. Er legte Tracks von Produzenten auf, die nicht ursprünglich aus dem House-Genre stammten, sondern ihren Weg dorthin auf Umwegen gefunden hatten. So wie zum Beispiel Delroy Edwards, der in seine Stücke die musikalische Sozialisation seiner Jugend einfließen lässt. Er komponiert eine Musik, die an den Grenzen von House, 80er-Jahre Wave-Sounds und Black Metal verläuft.
    Die amerikanische Musikerin Karen Gwyer wuchs mit klassischer Musik auf. Als Teenager interessierte sie sich sehr für experimentellen Rock und Orgelmusik. Die Essenz dieser Einflüsse hört man in ihrem heutigen Sound. Vierviertel-Bassdrums werden mit hypnotischen Synthesizer-Melodien zu akustischen Trips vermischt, psychedelischen Erzählungen von epischer Länge.
    Keine digitale Hochglanzmusik
    Ein Markenzeichen des Outsider House ist seine brüchige Klangqualität. Es rauscht an allen Ecken und Enden. Hinzu kommt, dass die Musik vorwiegend auf Kassetten veröffentlicht wird. Ein Medium, das nicht nur sehr günstig ist, sondern auch für eine analoge Lo-Fi-Ästhetik in Zeiten digitaler Hochglanzmusik steht. Zudem haben viele Produktionen etwas Unverbindliches und Unfertiges. Sie erinnern an Klangskizzen, musikalische Rohentwürfe. Karen Gwyer erkennt in dieser unbekümmerten Experimentierfreude eine Protesthaltung. Outsider House ist für sie der Punk des 21. Jahrhunderts.
    "Diese Produzenten sind 18 Jahre alt. Es sind Kinder. Sexy ist nicht das richtige Wort dafür, aber es ist so wie Punk mal war. Es gibt da dieses Gefühl von Freiheit und Gefahr. Man muss sich lediglich ein paar Kisten mit Knöpfen kaufen, um House oder Outsider House zu machen. Es ist so einfach. Und es gibt so viele großartige Produzenten da draußen, die das machen."
    Die rauschenden Produktionen von S Olbricht, Patricia oder Ron Morelli sind allerdings nicht bloß ein akustischer Widerstand gegen überproduzierte Tanzmusik, die mit Interpreten wie Skrillex oder Diplo mittlerweile riesige Konzerthallen füllt. In ihren akustischen Unschärfen manifestiert sich womöglich ein Zeitgeist-Gefühl. Das glaubt zumindest der amerikanische Produzent Alexis Georgopoulos, der zusammen mit Maxwell Ravitz das Projekt Masks betreibt.
    "Das Wort Benebelung kommt mir in den Sinn, Dinge, die begraben und verhüllt werden. Wir leben in einer Zeit, die nicht klar ist. Es gibt keine Klarheit. Wir sind umgeben von Kriegen. Es fühlt sich so an, als gebe es mehr Betrug und Korruption wie nie zuvor in der Geschichte. Vielleicht spiegelt sich dieser Verlust von Klarheit in der Musik wieder."
    Lust am Experimentieren
    Vielleicht funktionieren die körnigen Texturen auch wie ein Filter, der das weiße Rauschen des Alltags überlagert, die Vielzahl an Informationen, Signaltönen und Benachrichtigungen sanft ausblendet. Eine Überlegung, die von dem Großteil der sogenannten Outsider-House-Produzenten nicht bestätigt wird. Ihre Musik transportiert für sie keine gesellschaftskritischen Informationen. In der Regel stehen rein ästhetische Belange im Vordergrund, die Lust am Experimentieren und die Freude an der Arbeit mit neuen und unverbrauchten Sounds.