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"Over the Hill"

"Over the Hill" zu sein, also eher zu den Alten, als zu den Jung zu zählen, das ist für viele ein schmerzliches Gefühl. Und dies gilt nicht nur für unsere heutige Fitness-Gesellschaft. Schon in der Antike suchte die Menschheit nach Mitteln, den Alterungsprozess aufzuhalten - und träumte vom Jungbrunnen.

Von Inge Breuer |
    "Wenn Sie bei Google eingeben, das erste was rauskommt, ist Geburtstagstorten, dieses Bild 'Over the Hill'. Da sind kleine Grabsteine drauf. Diese Redewendung ist eine Wendung, für das permanente, ja fast schon manische Suchen nach Altersgrenzen. Wo ist die Grenze zwischen jung und alt?"
    Manche Menschen beginnen mit 30, sich zwei Jahre jünger zu machen So unerträglich finden sie die Vorstellung, "over the Hill" zu sein. Andere verschweigen hartnäckig ihr Alter. Noch andere joggen durch Parks, um fit zu bleiben. Frauen lassen Falten unterspritzen, Männer nehmen Viagra, um dem natürlichen Alterungsprozess ein Schnippchen zu schlagen.

    Nie war das Alter eine Nebensache. In der Antike galt das Einreiben mit Eselsmilch als vorzügliches Mittel, Falten zu bekämpfen. Oder man träumte von magischen Quellen, die schlaffen Körpern zu ewiger Jugend verhelfen sollten. Dr. Sabine Kampmann, Kunsthistorikerin und Mitveranstalterin des Symposiums:
    "Ein Beispiel ist das Beispiel des Jungbrunnens, und das ist die Vorstellung, dass alte Menschen in ein Bad gehen und verjüngt wieder herauskommt. Und in der Kunst der frühen Neuzeit ist das sehr präsent. Und diese Idee ist eine Utopie des Alters."
    Zahllose Bilder veranschaulichen diesen Traum von der ewigen Jugend, zum Beispiel Lucas Cranachs Gemälde "der Jungbrunnen" von 1546. Auf der linken Seite werden alte Frauen auf Karren und Bahren herbeigetragen und steigen in ein Wasserbecken. Auf der anderen Seite steigen sie in kraftvoller Jugend, umschmeichelt von schönen Männern wieder hinaus. Allerdings, so erfuhr man in einem Vortrag über den Traum von der ewigen Jugend, findet sich oft in solchen Jungbrunnenbildern ein Narr; Symbol dafür, wie töricht, ja sündhaft dieses Verlangen nach ewiger Schönheit der frühen Neuzeit erschien. Dr. Miriam Haller, vom Zentrum für Altersstudien der Universität Köln:
    "Wenn wir gerade in dem Vortrag gehört haben, wie eine alternde Körperlichkeit, die sich noch an Jugend orientiert, noch als verwerflich dargestellt wird, moralisch anstößig, so erleben wir heute in den Altersbildern in Werbung, Film oder Literatur die Hochwertung des jugendlichen Alters, gerade die Wertschätzung eines so lange wie möglich mit Jugend zu assoziierenden Körpers, die Rechtfertigung von chirurgischen Eingriffen und so weiter - also auch mit Sport, Kosmetik. Damals wäre das des Teufels gewesen."
    Welkt der Körper auch dahin, so bleibt doch die innere Reife. Der Geist sammelt Lebenserfahrungen, die ihn im Alter weise machen. Bis heute gilt dieses Klischee, das der Philosoph Demokrit schon vor annähernd 2400 Jahren in Worte fasste: "Stärke und Schönheit sind Vorzüge der Jugend, des Alters Blüte aber ist die Besonnenheit."
    "Dann sehen wir, dass das Alter verortet wird zwischen: auf der einen Seite Defizit und auf der anderen Seite Kompetenz, Erfahrung, Weisheit, also binär strukturiert. Heißt, dass es ganz starke negative und starke positive Positionen gibt. Und das ist ein Indiz, wenn so stark polarisiert ist zwischen Negativ- und Positivschablonen, dass es sich dann um einen stereotypen Diskurs handelt."
    Gegenüber solchen Schablonen und Stereotypen gebe es heute, so Miriam Haller, ein Unbehagen. Ist es nicht diskriminierend, wenn Alter, wie so oft, als Abweichung vom Normalen, vom erwachsenen, vitalen Menschen beschrieben wird?

    Doch auch die neuen Vorstellungen von den fitten Alten werfen Fragen auf, ob hier nicht nützliche "junge Alte" gegen kostenintensive - "alte Alte" ausgespielt werden? Wurde früher über das Verhältnis der Geschlechter zueinander gestritten, streitet man heute über das Verhältnis der Generationen zueinander.
    "Deshalb spreche ich auch ganz gern von 'Aging trouble'. Ich denke, dass in den letzten zehn, 20 Jahren sich viel getan hat, und dass es eine Irritation hinsichtlich dieser stark codierten Altersvorstellung gibt und dass da ein Aufbegehren oder eine Unruhe, ein Unbehagen herrscht, gegenüber den sozialen Kategorien, wie wir Alter definieren."
    Unbehagen äußert sich aber auch, wenn die Demografie die Alten auf eine ökonomische Last für die Jungen reduziert. Wenn die Politik die wachsende Zahl der Alten in die Zahl der in Zukunft zu bauenden Pflegeheime umrechnet. Die Veranstalter der Tagung wollten zeigen, wie sehr die Bedeutung von Alter sich je nach Zeit, Gesellschaft und Politik wandeln kann. Professor Thomas Küpper, Kulturwissenschaftler an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und Mitveranstalter des Symposiums:
    "Uns ist wichtig, dass das Alter nicht nur ein Thema ist für die Gerontologen oder die Biologie oder die Medizin, sondern: Die Kulturwissenschaften sind gefordert, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Das Spannende ist ja auch zu sehen, wie unterschiedlich Altersbilder sich ausprägen, je nach kulturellem Kontext, in jeder Epoche. Auch in jeder Kultur gibt es neue Altersbilder. Das zeigt ja noch einmal, wie wenig biologisch vorgegeben ist, wie ein alter Mensch nun zu sein hat, sondern dass die Kultur da ihre eigenen Konstruktionen enthält."

    Der Biologe Dr. Orhad Parnes vom Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung meinte, die vermeintliche biologische Objektivierung, wann ein Körper zu altern beginnt, führe zu einer Naturalisierung von Altersprozessen, die die kulturelle Abhängigkeit solcher Definitionen gerade unterschlage.
    "Auf der einen Seite ist die Lebenserwartung viel höher, leben Leute länger gesünder. Die Biologie hat aber die theoretische Grenze vom Alter nach unten gesetzt. Das heißt, biologisch gesehen werden Alterungsprozesse schon als Prozesse, die mit 20, 30 oder 40 anfangen, definiert. Und insofern ist es wichtig zu fragen, wie weit sind es biologische Dinge, die dann kulturell benutzt werden - und dann als Gegebenheit und Wahrheit angesehen werden?"
    Für Orhad Parnes kann die Biologie heute zwar beschreiben, wie Menschen altern. Doch warum sie altern, was der evolutionsbiologische Sinn des Alterns ist, dies sei bis heute ungelöst. Die Evolutionsbiologie könne nach wie vor nicht erklären, welchen Selektionsvorteil die nachlassende Vitalität des alternden Organismus für die Art bringe.

    "Darwin selbst hat Altwerden ignoriert als etwas, was erklärt werden muss. Und weit bis in der Mitte des Jahrhunderts sind Biologen der Frage nicht nachgegangen: Wenn Altern biologisch als Prozess zu betrachten ist, warum hat die Evolution das zugelassen, dass Menschen solche Eigenschaften entwickeln, die wir als Gebrechlichkeit identifizieren? Die Evolution sollte ja im Prinzip nur solche Eigenschaften zulassen und weitergeben, die für den Erhalt von Arten nützlich sind."

    Alter, so die Botschaft der Kulturwissenschaftler in Braunschweig, ist keine unmittelbare Lebenstatsache. Alter wird gemacht, erfunden, kulturell geformt. Alter - so der kulturwissenschaftliche Jargon - wird zum "Diskurs". Wirklich - nur?

    Oder reagiert die Kultur - in je unterschiedlicher Weise - auf die natürliche Tatsache, dass wir alle - früher oder später - schwächer, kränker, und ja: auch unattraktiver werden? Und bleibt bei aller "Kulturalisierung" doch nicht zu übersehen, dass dies für die meisten zu allen Zeiten ein ziemlich schmerzlicher Prozess war?