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Oxfam: Faire Landwirtschaft ist notwendig

Marita Wiggerthale von der Entwicklungsorganisation Oxfam sagt, dass eine ökologisch nachhaltige Landwirtschaft die Lebensmittelproduktion insgesamt steigern würde. Die EU könne einen Beitrag dazu leisten, indem sie die Biospritförderung abschaffe. Ackerflächen könnten so für Nahrungsmittel frei werden.

Marita Wiggerthale im Gespräch mit Jule Reimer | 31.10.2011
    Jule Reimer: Heute wird der siebenmilliardste Mensch geboren. Besser gesagt, er wurde bereits geboren. Aber derzeit beanspruchen noch mehrere Länder, Indien, Philippinen und Russland, die Heimat des neuen Erdenbürgers zu sein. Bevölkerungsexperten treiben die Wachstumszahlen der Menschheit Schweiß auf die Stirn, weil sich alle fragen, wie noch mehr Menschen satt werden sollen.
    Ein Verteilungsproblem, so sagen es die Vereinten Nationen. Aber wie ließe sich die Versorgung mit Nahrungsmitteln besser verteilen? Das habe ich kurz vor dieser Sendung Marita Wiggerthale von der Entwicklungsorganisation Oxfam gefragt.

    Marita Wiggerthale: Es geht vor allen Dingen darum, dass diejenigen, die wenig zu essen haben, die schlecht ernährt sind, mehr Einkommen haben, mehr verdienen. Das ist zum einen möglich, indem sie besseren Zugang zu Land, zu Wasser und anderen Ressourcen haben, oder eben faire Löhne erhalten, wenn sie angestellt sind.

    Reimer: Die Preise für Grundnahrungsmittel haben weltweit stark angezogen in den letzten Jahren, dann haben sie zwischendurch auch mal wieder nachgegeben, aber die Tendenz ist eindeutig steigend. Wie stark schlägt sich das in unseren, in Europa vorherrschenden Nahrungsmittelpreisen nieder?

    Wiggerthale: Auch bei uns merken wir, dass die Nahrungsmittelpreise steigen und auch diese Preissteigerungen bei den Rohstoffen von den Lebensmittelkonzernen und den Supermarktketten an die Verbraucher weitergegeben werden. Der Unterschied ist nur, dass bei uns um die zehn Prozent des Haushaltseinkommens für Lebensmittel aufgebracht werden, während es in Entwicklungsländern 70 bis 90 Prozent sind.

    Reimer: Die Europäische Union will die Förderung der Landwirtschaft ja abbauen. Das wird auch von Oxfam befürwortet. Heißt das nicht, dass uns dann die Nahrungsmittelpreise noch stärker weglaufen werden?

    Wiggerthale: Es geht ja vor allen Dingen darum, dass wir diesen grundlegenden Wandel in der Landwirtschaft hinbekommen, sowohl bei uns als auch in den Entwicklungsländern.

    Reimer: Welchen Wandel?

    Wiggerthale: Den Wandel hin zu einer ökologisch nachhaltigen und fairen Landwirtschaft. Und die EU kann einen Beitrag dazu leisten, indem sie entsprechend zum einen die Subventionen sozial und ökologisch gestaltet, die Biospritförderung abschafft, die Handelspolitik gerecht gestaltet, aber wir wissen ja, dass die Hauptaufgabe, Lebensmittel zu produzieren, einfach in den Ländern selbst erfolgen muss, denn Hunger wird nur dann abgeschafft oder reduziert werden können, wenn auch diejenigen, die unter Hunger leiden, diejenigen sind, die am Ende mehr Lebensmittel produzieren für die Versorgung der einheimischen Bevölkerung mit Lebensmitteln.

    Reimer: Wenn Sie sagen, stärker auf eine ökologische Landwirtschaft umstellen, bedeutet das ja unter Umständen auch niedrigere Hektarerträge. Wenn die Menschheit jetzt noch stärker wächst, ist denn dann absehbar, dass wirklich alle ernährt werden können?

    Wiggerthale: Die Frage ist ja, wie sie die Flächen hier verwenden. Wenn jetzt beispielsweise die Biospritförderung abgeschafft wird, jegliche Anreize nicht mehr da sind, dann haben wir auf jeden Fall viel mehr Flächen, die grundsätzlich schon wieder für die Lebensmittelproduktion hier zur Verfügung stehen. Auf der anderen Seite ist es so, dass durch eine ökologisch nachhaltige Landwirtschaft in Entwicklungsländern enorme Produktionssteigerungspotenziale liegen, gerade weil dort die Bodenfruchtbarkeit so gering ist, in Afrika natürlicherweise beispielsweise, und deswegen durch eine ökologisch nachhaltige Landwirtschaft verbessern sie die Bodenfruchtbarkeit, verbessern sie die Wasserhaltefähigkeit der Böden und damit steigen dann auch die Lebensmittelproduktionen insgesamt.

    Reimer: Die Europäische Kommission will jetzt die starken Preisausschläge bei den Nahrungsmitteln durch mehr Kontrollen, durch mehr Transparenz im Agrarhandel abdämpfen. Reicht Ihnen, was da geplant ist?

    Wiggerthale: Das ist auf jeden Fall ein richtiger und wichtiger Schritt. Sorge habe ich nur damit, dass am Ende die Getreidekonzerne nicht dazu aufgefordert werden zu berichten, wie hoch ihre Lagerbestände sind. Von daher wird das Bild, was man am Ende haben wird, immer nur ein Teilausschnitt sein und uns am Ende vielleicht gar nicht so viel weiterhelfen wie gehofft.

    Reimer: Warum? Was müsste geschehen?

    Wiggerthale: Im Moment wissen wir ja gar nicht, wie viel der Lagerhaltung von Staaten erfolgt und wie viel in privater Hand erfolgt. Aber aufgrund des Abbaus der staatlichen Lagerhaltung in den letzten Jahrzehnten ist davon auszugehen, dass dies mehrheitlich von den Konzernen erfolgt, und wenn die jetzt nicht berichten, wie groß ihre Lagervorräte bei Mais, bei Weizen beispielsweise sind, dann wissen wir eben auch nicht, wie gut die Versorgungslage weltweit insgesamt ist, und das ist natürlich für sie auch eine Art gut gehütetes Geheimnis. Sie können dann natürlich damit in einer Nahrungsmittelkrise spielen. Beispielsweise wenn sie wissen, A die Preise steigen, dann verknappen sie künstlich die Marktsituation, indem sie eben nicht ihre Getreidevorräte abbauen und sie auf den Markt bringen, sondern warten noch ein bisschen länger und können damit höhere Gewinne machen.

    Reimer: Wie werden sieben Milliarden Menschen satt? Das Gespräch mit Marita Wiggerthale von Oxfam haben wir aufgezeichnet.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.