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Pack' die Badehose ein ...

Ganz am Ende des langen Holzsteges vom Strand in den Wannsee: Axel Ott, Chef von zwei Dutzend Rettungsschwimmern, Strandkorbverleihern, Putzfrauen und Kassierern, schließt die Bademeisterkabine auf, setzt sich auf einen Stuhl, blinzelt in die Morgensonne und genießt die Ruhe vor dem Ansturm der Badegäste. Zwei Rettungsboote schaukeln friedlich in den Wellen. Ertrunken ist dem 56-jährigen Ott hier am flachen Ufer noch nie einer.

Von Vanja Budde |
    "Also ich arbeite seit 36 Jahren jetzt hier am Strandbad Wannsee. Und ich hab's vom ersten Tag an geliebt. Wenn Sie hier reinkommen um sechs, wir fangen um sechs an, Sie kommen hier rein, Sie genießen erst mal die Ruhe, Sie gucken über den Wannsee, das ist die Ostsee, das isses! Das ist die Mutter aller Strandbäder sag ich immer."

    Als es die Mauer noch gab und die Berliner nicht an die Brandenburger Seen konnten, drängten sich im Strandbad an einem Sonntag einmal 35.000 Leute: Rekord! So viele sind es heue nicht mehr, aber so langsam füllt sich der 1200 Meter lange Sandstrand, in Güterwaggons aus Timmendorf angekarrt und zur Feier des Jubiläums fein durchgesiebt. Ganze Familien suchen einen Platz an der Sonne, bepackt mit Liegedecken und Eisteeflaschen.

    Stark tätowierte junge Pärchen, einzelne Männer, dunkelbraun gebrannt, obwohl der Sommer erst anfängt, junge Türken mit Wasserpfeife. Und nicht nur die Berliner sind neugierig auf das frisch sanierte Strandbad Wannsee: Die 22-jährige Claudi ist aus Süddeutschland zu Besuch bei ihrer Schwester. Routiniert baut die junge Frau im weißen Bikini eine Strandmuschel auf, gleich neben einem der frisch asphaltierten Wege, die am Grunewaldhang hinunter zum Wannsee führen.

    " Ich glaube, dass es einfach Kult ist, seit 100 Jahren Kult."

    Die Kinder Maja und Claudia kommen vom Strand angerannt, wo jetzt schon alle 260 original Ostsee-Strandkörbe besetzt sind. Sie flitzen die Treppen zum Hauptgebäude hoch, das 1929 nach Entwürfen des Architekten Richard Ermisch errichtet wurde. Die beiden Freundinnen hopsen über das neu geflieste obere Promenadendeck. Sie schauen über den Wannsee, der blau unter ihnen schimmert. Er macht das alte Strandbad zu einem ganz besonderen Freibad, findet Maja.

    " Hier ist Sand und es ist viel größer und die Landschaft ist schöner. Das Wasser funkelt und glitzert wegen der Sonne, ganz hinten am Horizont ist der Wald, also Grün. Aufm Wasser sind auch Schiffe drauf."

    Das Weiß der Segel passt prima zu den frisch weiß gestrichenen Fensterrahmen am Hauptgebäude aus gelben Klinkern.

    Zwei Jahre dauerte die Renovierung und Max Stehlin ist froh, dass sie jetzt erst mal beendet ist, obwohl noch Vieles zu erneuern wäre. Trubel erleben der ehemalige Oberschwimmmeister und seine Frau Edith auch so genug, denn sie wohnen im Strandbad Wannsee: In einem kleinen Holzhaus am Hang oberhalb des 540 Meter langen Hauptgebäudes. Edith hat eine Schürze um und kocht Kartoffeln zum Mittagessen. Der über achtzigjährige Max Stehlin sitzt im Wohnzimmer auf dem Sofa und zeigt alte Fotos: Seit er fünf Jahre alt war, lebt er im Strandbad. Als er 1983 in Rente ging, erhielt er lebenslanges Wohnrecht. Schon Max Stehlins Vater hat hier gearbeitet.

    " Janz früher, der Bruder und er, der war eene Bohle und n Pfahl und n Rettungsring, nich? 1907 damals. Die Eltern hatten das erste Stoffzelt und Großvater die ersten Toiletten jehabt, die warn dann noch mit Kübeln und allet."

    Im Mai 1907 erlaubte ein sozialliberaler Landrat das bis dahin verbotene Baden im Großen Wannsee. Berliner, die sich eine Reise in die "Sommerfrische" eines der mondänen Ostseebäder nicht leisten konnten, kamen mit Kind und Kegel zum Sonnen und Schwimmen an die Badestelle. Trotz der Proteste von Villenbesitzer aus der noblen Umgebung wurde die dann zum 360.000 Quadratmeter großen Strandbad ausgebaut.

    Max und Edith Stehlin setzen sich an den Mittagstisch. Einen Steinwurf vom Strandbad-Restaurant "Lido" entfernt. Dort isst niemand, das "Lido" steht leer, außen Rost, innen Schutt und abblätternde Tapeten. Weder das Land Berlin noch die Stiftung Denkmalpflege wollten die nötigen Millionen in die Hand nehmen und das Restaurant wieder in Schwung bringen. Uwe und Marina, beide 53, stehen Stirn runzelnd vor der Ruine des "Lido". Schon als Kinder kamen sie ins Strandbad Wannsee

    " Da oben immer jelegen mit Eltern und dann immer runter, baden. Wunderschön! Badewanne Berlins! Jenau. Na jetzt is ja immer noch nich janz komplett renoviert, äh restauriert, dauert noch n bisschen. Fehlt noch ein bisschen Geld, die zanken sich da noch ein bisschen."

    Dass im Jubiläumsjahr ein privater Investor für ihr Strandbad Wannsee gesucht wird, dass ist Marina und Uwe egal. Sie drehen sich um, schultern ihre Badetaschen und machen sich auf den Weg die Treppe runter zum warmen, weichen Ostseesand.

    Hnweis: Zum Jubiläum ist im Nicolai-Verlag das Buch "100 Jahre Strandbad Wannsee", erschienen, mit vielen historischen Fotos. Es kostet 19,90 Euro.