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PacMan ist Kunst

Seit einer Woche ist im American Art Museum die Ausstellung "The Art of Video Games" zu sehen. Die Schau, die anschließend durch mehrere Städte in den USA tourt, soll Neulingen und älteren Besuchern die Welt der Games näher bringen.

Von Matthias Kolb | 27.03.2012
    Für viele Gamer sind Videospiele mit ihrer opulenten Grafik schlicht Kunst. Diese Entwicklung ist auch der ehrwürdigen Smithsonian Institution in Washington nicht verborgen geblieben, einer der wichtigsten Forschungs- und Bildungseinrichtungen der USA. Seit einer Woche ist im American Art Museum die Ausstellung "The Art of Video Games zu sehen". Die Schau, die anschließend durch mehrere Städte in den USA tourt, soll Neulingen und älteren Besuchern die Welt der Games näher bringen.

    Es ist eine Explosion aus Farben, mit der die Ausstellung "The Art of Video Games" beginnt. Auf einem riesigen Bildschirm sind Sequenzen aus Spielen wie "Donkey Kong", "Sonic the Hedgehog" oder "Zelda" zusammengeschnitten, dazu läuft Retro-Musik von "8 Bit Weapon". Einige Schritte weiter werden Skizzen aus vier Jahrzehnten ausgestellt, und in Video-Interviews sprechen Pioniere wie Atari-Gründer Nolan Bushnell über die Faszination dieses Mediums. Im zentralen Raum der Ausstellung stehen fünf große Leinwände, an denen die Besucher des Smithsonian selbst Spiele ausprobieren können. Chris Kohler testet Videogames für das Magazin "Wired" und hat die Macher der Ausstellung beraten. Er erklärt, weshalb der Klassiker "PacMan" aus dem Jahr 1981 nicht fehlen durfte:

    "PacMan war tatsächlich eines der ersten Videospiele mit künstlerischem Anspruch. Die Farben sind leuchtend, und es gibt gewisse Charaktere. Toro Iwatani, der Designer, wollte ein Spiel entwerfen, das vor allem Mädchen gefällt, die sich mit ihrem Date in einer Spielhalle treffen. Er dachte, wenn er Mädchen für Games interessieren kann, dann hat er deren Freund gleich mit gewonnen, und sie zocken gemeinsam."

    Für Kurator Chris Mellisinos ist diese Interaktivität sehr wichtig. Er ist überzeugt, dass sich die Faszination von Videospielen nur erschließt, wenn Neulinge selbst einen Controller in die Hand nehmen. Der 41-Jährige hat eine einfache Erklärung für die Popularität des neuen Mediums:

    "Der Spieltrieb ist etwas zutiefst Menschliches. Seit den Anfängen der Zivilisation wurden Spiele dazu genutzt, um mehr über uns selbst zu lernen, Kameradschaft zu erfahren und Konflikte zu lösen. Und jetzt leben wir erstmals in einer Zeit, in der Kinder, die mit Videospielen aufgewachsen sind, ihre eigenen Kinder erziehen. Spieler erziehen Spieler."

    Es sind auffallend viele Familien unter den 22 000 Besuchern, die am Eröffnungswochenende zum "Game Fest" ins Smithsonian gekommen sind. Der 33-jährige Brad Smith muss seinen Söhnen nicht erklären, welches Ziel die zwei Klempner bei Super Mario Brothers haben:

    "Ich habe zwei Kinder, der eine ist drei, und der andere ist fünf. Mit dem Älteren habe ich begonnen, Super Mario zu spielen, als er drei war, und der Kleinere fängt gerade an. Sie dürfen nur eine halbe Stunde am Abend spielen, nachdem sie draußen waren. Meine Frau und ich wollen nicht, dass sie den ganzen Tag Spiele zocken."

    Die Beispiele aus den neunziger Jahren – "The Secret of Monkey Island" und "Myst" – zeigen die Entwicklung. Schnellere Prozessoren ermöglichen komplexe Erzählstrukturen und 3D-Effekte. Auch die Menschen an den Controllern ändern sich: In Amerika ist der Durchschnittsgamer 37 Jahre alt und bereit, viel Geld für innovative Spiele wie "Flower" auszugeben. Sein Schöpfer Jenova Chen wuchs in Shanghai auf und war von Kaliforniens Natur überwältigt. In "Flower" spielt man den Wind und muss möglichst viele Blumenblätter sammeln:

    "Nur ein Videogame ermöglicht es mir, den Spieler mit dem Gesicht voran durch eine Wiese fliegen zu lassen, so dass er denkt, die Blumen riechen zu können. Kurz darauf kann der Spieler nach oben fliegen und die ganze Landschaft bewundern. Du kriegst das Gefühl, dass du überallhin gelangen kannst, wohin du willst. So etwas schafft kein Gemälde."

    Ganz klar: Jenova Chen fühlt sich als Künstler. Chris Mellisinos, den Kurator von "The Art of Video Games", wundert dies nicht: Ein guter Spiele-Designer muss Musik mit exzellenter Animation und Film-Elementen zu einer packenden Story vereinen.

    "Wenn du die Perspektive eines Autors oder Designers verstehst, wenn du seine Botschaft aufnimmst, sie dich berührt und du sie mit deinem eigenen Moralempfinden füllst, dann entsteht Kunst. Und ich muss sagen, dass mich keine Kunstform mehr bewegt als Videospiele."

    Solche Argumente haben das American Art Museum überzeugt, seine Räume für Videospiele zu öffnen. Mellisinos präsentiert 20 Spielekonsolen aus seiner Privatsammlung, so dass sich die Entwicklung vom Atari VCS bis hin zu X-Box und Wii nach verfolgen lässt. Für jedes Gerät wird je ein Spiel aus den Bereichen Action, Abenteuer, Angriff und Strategie vorgestellt. Die endgültige Auswahl blieb der Gamer-Gemeinde überlassen: 119 000 Menschen aus 175 Ländern wählten online ihre Favoriten.

    Die Smithsonian-Mitarbeiter leugnen nicht, dass die Schau junge Leute anlocken soll, doch zugleich wollen sie Vorurteile abbauen. Es klappt: Ein Neuling, der "The Art of Video Games" besucht oder sich durch den exzellenten Web-Auftritt klickt, bekommt große Lust, ein modernes Spiel wie "Heavy Rain" zu testen. Es bleibt ihm selbst überlassen, ob er dies dann als Kunsterlebnis oder Vergnügen empfindet. Aber das ist bei einem Kinobesuch nicht anders.