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Paganini

Am Mikrofon begrüßt Sie Norbert Ely. Herzlich willkommen zu sommerlich unterhaltender Musik von zwei neuen CDs. Wer diese Art von - sagen wir's rundweg heraus - Salonklang mag, der sollte sich diese Scheiben reinziehen. Zugleich geht es um mehr. Es gilt einen jungen erstaunlichen Geiger zu entdecken, und es gilt die wunderbar parfümierte Klaviermusik des kubanischen Komponisten Ernesto Lecuona zu genießen. Zunächst zu dem neuen Stern am Geigerhimmel. Er heißt Ilya Gringolts, stammt aus Sankt Petersburg, hat im vergangenen Jahr den Paganini-Wettbewerb in Genua gewonnen und er spielt natürlich auch auf dieser CD Paganini. * Musikbeispiel: N. Paganini - "Introduzione e variazioni sul tema "Nel cor più non mi sento" für Violine solo Soweit erst einmal Ilya Gringolts mit Introduktion und Thema aus den Variationen über "Nel cor più non mi sento" von Nicolò Paganini. Das Thema stammt aus der Komischen Oper "La Molinara - Die Müllerin" von Giovanni Paesiello und war schon zu Beethovens Zeit ein Schlager; die Wiener Erstaufführung der Oper fand 1790 statt, und noch der ursprünglich ja ironisch gemeinte Gedichtzyklus "Die schöne Müllerin" von Wilhelm Müller spielt im Titel mit der Beliebtheit der Paesielloschen Operette. Für Paganini bot das von allen möglichen Komponisten variierte Thema Gelegenheit, sein revolutionäres Verständnis von Geigenspiel anhand einer sattsam bekannten Melodie zu exerzieren. Doch zu der CD von Ilya Gringolts, die bei der schwedischen Firma Grammofon AB BIS erschienen ist, normalerweise nur unter dem Kürzel BIS bekannt. Es ist eine typische Debut-CD. Darauf finden sich das erste Violinkonzert von Paganini, der Campanella-Satz aus dem zweiten Konzert, arrangiert für Violine und Klavier, das Cantabile, die Moses-Fantasie und die erwähnten Variationen über "Nel cor più non mi sento". Gringolts ist siebzehn Jahre alt. Als er geboren wurde, hieß Sankt Petersburg noch Leningrad. Bereits 1994, also mit zwölf Jahren, gewann er einen Wettbewerb in Moskau. Im vergangenen Jahr, in dem er den Paganini-Concorso in Genua gewann und noch zwei Sonderauszeichnungen errang, war er auch Preisträger eines Kompositionswettbewerbs in seiner Heimatstadt Sankt Petersburg. Tatsächlich ist sein Spiel von einem erstaunlichen Wissen um kompositorische Details geprägt. Gringolts entpuppt sich auf dieser CD als jemand, der mit Klängen experimentiert. Für einen jungen Geiger wirkt er erstaunlich introvertiert; jemand, der in den Klang der Geige hineinhört und auf neue Farben, auf ungewöhnliche Ausdrucksmittel sinnt. Vor dem Hintergrund einer geläufigen Tradition könnte man monieren, daß seine Spiccati bisweilen zu wenig Körper, zu wenig Ton haben. Offensichtlich geht es Gringolts aber um einen anderen Ausdruckswert, so wie ja auch auf der spanischen Gitarre, der das Spiccato abgehört ist, andere Formen der Artikulation, eben das Tonlose, eher Sprechende denn Singende, durchaus üblich ist. Ein Virtuose ist Gringolts auf jeden Fall, und dazu einer, der sich jetzt schon entschieden von der relativ großen Schar gut trainierter junger Geiger unterscheidet. Das Finale der erwähnten Paesiello-Variationen von Paganini. * Musikbeispiel: N. Paganini - Introduzione e variazioni sul tema "Nel cor più non mi sento" für Violine solo, 7.Variation 7. Coda Auf der gleichen CD findet sich, wie gesagt, auch die Moses-Fantasie von Nicolò Paganini. Es sind Bravour-Variationen für Violine mit Begleitung durch das Klavier über ein Thema aus der Oper "Moses" von Gioacchino Rossini - auch diese Oper war seinerzeit hochberühmt und weit verbreitet, während heute der Rossini der großen, tragischen Oper fast ganz in Vergessenheit geraten ist. Der Clou der Moses-Variationen ist, daß der Geiger bitteschön alles auf einer einzigen Saite, nämlich der G-Saite zu spielen hat. Auch da geht es nicht nur um Virtuosität, die freilich in hohem Maß gefordert ist; vielmehr war es Paganini um die Klangmöglichkeiten der G-Saite, der tiefsten Saite der Violine, zu tun. Paganinis "Kanone", eine Gurneri del Gesù, verfügt freilich gerade auf der G-Saite über eine unvergleichliche Wucht. Gringolts spielt eine Stradivari von 1737, also aus dem Todesjahr des Cremonenser Meisters. In der dritten Variation zeigt sich die ganze Experimentierlust des jungen russischen Virtuosen. Am Klavier begleitet wird er von Irina Ryumina. * Musikbeispiel: N. Paganini - Moses-Fantasie für Violine und Klavier, 3.Variation Man darf wirklich auf die weitere Entwicklung dieses jungen Geigers Ilya Gringolts aus Sankt Petersburg gespannt sein. Nicht zuletzt kann man erwarten, daß für ihn neue Violinwerke geschrieben werden. Vielleicht trägt er, da er sich nun einmal auch fürs Komponieren interessiert, selbst mit ein paar Stücken zur Bereicherung der Geigenliteratur bei.

Norbert Ely |