Donnerstag, 28. März 2024

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Pakistan im Blick

Zu den Kennern des Nahen und Mittleren Ostens gehört der Journalist Ulrich Ladurner, seit Jahren für die Wochenzeitung "Die Zeit" als Reporter in der Region unterwegs. Ladurner vereint analytische Fähigkeiten mit Empathie und dem Versuch, die Verhältnisse zu verstehen. Solche Qualitäten sind besonders wertvoll, wenn es um ein Land wie Pakistan geht, einem Schlüsselstaat im Kampf gegen den islamistischen Terror. Und doch ein Land, von dem wir oft nur Schlagworte und Stereotypen zur Kenntnis nehmen: Atomstaat, Militärherrschaft, radikaler Islam, Brutstätte militanter Taliban. In seinem Reportageband aus Pakistan zeichnet Ulrich Ladurner dagegen ein Bild der Vielfalt, der Vielschichtigkeit. Marc Thörner stellt es vor.

03.03.2008
    "Wie hältst du es mit der Musik? Ist es dir erlaubt Musik zu hören?"

    "Es ist so, dass ich Musik nicht vertrage. Sie bereitet mir Unbehagen."

    Er zog die Schultern nach oben und verzerrte das Gesicht, so als würde er in etwas Saures beißen. "

    Zakaria, Student einer Koranhochschule, hat ein Problem: Immer wieder ist er gezwungen, sich der öffentlichen Transportmittel zu bedienen. Dort, in den buntbemalten, ebenso vollen wie stimmungsvollen Bussen, ist er mit etwas konfrontiert, wovor ihn die Madrassa-Mauern schützen: Musik. Musik bedeutet: Gedankenabschweifung; Fantasie, Gefühl - mit einem Wort: sie bedeutet all das, wovor ihn seine Lehrer täglich warnen.

    " "Wenn ich in den Bus steige und Musik ertönt, dann frage ich den Fahrer, ob er sie denn nicht ausschalten könnte. Ich sage ihm: Musik hören ist unislamisch."
    "Und? Hören die Fahrer auf dich?"
    "Nein, eigentlich niemals."
    Das konnte ich mir gut vorstellen, denn es mochte ja sein, dass Pakistan qua Verfassung ein islamischer Staat war, aber jeder Bus war nach guter alter Tradition eine fahrende Diskothek, ein Sündenpfuhl auf vier Rädern.


    "Die Fahrer", berichtete Zakaria weiter, "schauen mich nur mit großen Augen an. Ich glaube, sie verstehen gar nicht, was ich meine."
    "Und was machst du, wenn die Fahrer sich weigern, deinem Ansinnen Folge zu leisten?"
    "Was soll ich machen? Alle haben ihre Fahrkarte bezahlt. Alle haben die gleichen Rechte. Ich kann nichts machen. Ich setze mich weit nach hinten, irgendwohin, wo ich die Musik nicht so deutlich höre."

    Im Alltag des sensiblen Madrassa-Studenten Zakaria, so wie ihn Ulrich Ladurner beschreibt, zeigen sich wie in einem Vexierbild viele der Erscheinungen, die zu Pakistan gehören: Armut, Sehnsucht nach Erlösung, der Puritanismus des Taliban-Islam... aber eben auch die andere Tradition, die genauso pakistanisch ist: Musik, Poesie, ein Hang zur Träumerei - und schließlich eine im Alltag weit verbreitete Toleranz, die es den Anhängern all dieser unterschiedlichen Strömungen ermöglicht, miteinander auszukommen. Für dieses bunte, dieses vielfältige Land wirbt Ulrich Ladurner um Verständnis.


    " Pakistan wird ja permanent von außen bedroht. Wir haben einen Präsidentschaftskandidaten Barak Obama, der sagt: Wenn ihr nicht die Taliban bombardiert, dann machen wir das.
    Es gibt Präsident Bush, der sagt: Die CIA soll da hin. Also das meine ich, das muss mal aufhören! Man kann nicht immer sagen: Wir bombardieren euch, wenn ihr nicht tut, so wie wir wollen, ich glaube, das ist kontraproduktiv. "

    Von den jüngsten Wahlen über die Koranhochschulen und die Taliban, die Atombombe, die Rolle der Militärs bis zum Kaschmir-Konflikt: Ulrich Ladurner fasst alle heißen Eisen an. Dabei gibt er sich weder als Prophet, noch als Geostratege, noch als warnender Experte, der es schon immer gewusst hat. Auf schnelle Antworten verzichtet Ladurner. Stattdessen beobachtet er Menschen: Uni-Rektoren., Militärs, Madrassastudenten und Juristen. Und nach einer Weile stellt der Leser fest, dass sich viele Antworten auf aktuelle Fragen im Lauf dieser Portraits erschließen.

    Zum Beispiel in dem über einen säkular orientierten Uni-Rektor. Obwohl der Professor Angebote aus dem Ausland hat, hält er in einem zunehmend islamistisch orientierten Umfeld eisern die Stellung - so zumindest erscheint es Ladurner erst. Bis der Rektor freimütig den eigentlichen Grund einräumt, der ihn zum Hierbleiben bewegt: die alte kranke Mutter.

    " Ich war enttäuscht über diese private Bemerkung des Rektors. Gerade eben war er mir fast heldenhaft erschienen und nun erzählte er von seiner kranken Mutter als einziger Ursache für sein Engagement. Doch das war ungerecht, denn seine irritierende Offenheit sprach für, nicht gegen ihn. "

    Und, so lässt sich hinzufügen, sie spricht auch für die pakistanische Gesellschaft.

    Als vor drei Monaten die Oppositionsführerin Benazir Bhutto ermordet wurde, mochte es so scheinen, als hätte hier wieder einmal das Prinzip des Islamismus einen Angriff auf das Prinzip des Säkularismus gestartet. Aber so einfach ist es eben nicht, meint Ulrich Ladurner und beschreibt einige der Führer säkularer pakistanischer Parteien - meist große Feudalherren, die sich in Wahrheit weniger für Politik als für den Erhalt ihrer Pfründe interessieren.

    Da wäre zum Beispiel Aftab Khan Sherpao, bis zur Einsetzung des Übergangskabinetts Innenminister und noch immer wichtiger Berater Präsident Musharrafs.

    " General Pervez Musharraf hat die Grundhaltung eingenommen, sich an der internationalen Koalition zu beteiligen. Wir wollen keinen Terrorismus in unserem Land. Wir wollen nicht, dass unschuldige Menschen getötet werden. Das ist nicht im Interesse des Landes, nicht im Interesse des Islam, nicht im Interesse der Menschheit.
    Terrorismus ist die Nummer eins auf unserer Agenda, und wir werden in unseren Anstrengungen nicht ruhen, bis wir nicht den Terrorismus mit Stumpf und Stil ausgerottet haben. "

    " Minister Sherpao gab mir eine Antwort, die aus lauter Sentenzen bestand:
    Ich unterbrach ihn nicht. Ich hörte ihm zu. Je länger er sprach, desto mehr kam er mir vor wie ein alter Papagei, der vor langer Zeit gefangen worden war. In der Gefangenschaft hatte man ihm Sätze eingetrichtert, die er nun immerfort wiederholte.
    "Der General hat nach dem 11. September Pakistan aus der internationalen Isolation geführt."

    "Der General hat die falsche Politik seiner Vorgänger gegenüber den Taliban beendet." "Der General hat die Verbindungen mit den Terroristen gekappt." "Der General hat Pakistan entschlossen in die Weltgemeinschaft zurückgeführt." "Der General hat einen Friedensprozess mit Indien in Gang gesetzt." "Der General hat das Wirtschaftswachstum ausgelöst." "Der General hat eine Vision für Pakistan."
    Ich verabschiedete mich bald. "

    Minister Sherpao ist ein besonders gutes Beispiel dafür, dass die Trennungslinien eben nicht messerscharf zwischen den Säkularen und den Religiösen verlaufen, sondern dass sich beide immer wieder gegenseitig korrumpieren: Gestartet als Gefolgsmann des säkularen und sozialistischen Zulfiqar Ali Bhutto, des Gründers der Pakistan's People's Party, spaltete Sherpao sich mit einer eigenen PPP-Untergruppe von der Hauptpartei ab, verbündete sich in der Nordwestlichen Grenzprovinz mit der islamistischen MMA-Allianz und wurde daraufhin ins pakistanische Parlament gewählt - wo er auf einmal zum Bündnispartner Präsident Musharrafs mutierte, der Sherpao, ebenso überraschend, zum Innenminister erhob.

    Nur kurze Zeit, so Ulrich Ladurner, habe einmal ein säkular orientierter Politiker in Pakistan eine echte Aufbruchstimmung bewirken können.

    " Es gab damals den Zulfiqar Ali Bhutto, der eine charismatische Figur war, der 1967 die Pakistan Peoples Party gegründet hat und es war eine Phase, wo Massen von armen und ärmeren Leuten in die Politik reingeholt wurden. Er hatte natürlich Slogans, die waren islamisch, nationalistisch, sozialistisch - es gab eine Gemengelage und das war sehr attraktiv damals, es hat - wie auch immer man zu den einzelnen Dingen steht - dazu geführt, dass sich viele Leute als politische Wesen entdeckt haben. "

    Aber mit dieser Atmosphäre sei es längst vorbei. Einen wirklich überzeugenden Nachfolger habe Zulfiqar Ali Bhutto nie gefunden. Und eigentlich, so meint Ladurner, habe der Säkularist Bhutto selber seine Ideen korrumpiert. Schließlich sei während seiner Amtszeit das Scharia-Recht Bestandteil der Verfassung geworden. Und Bhuttos Tochter Benazir habe als Premierministerin die Taliban mit aufgebaut. Aber nicht der Islam, so Ladurner, sei das Problem:

    " Die Verfassung, die muss man auslegen und umsetzen, und wenn da auch drinsteht, dass Pakistan ein islamischer Staat ist - das heißt nicht, dass morgen Frauen nicht mehr zur Schule gehen können. Das ist eine Auslegungsfrage. Ich sehe da nicht das Problem, dass diese Verfassung verhindern würde, dass in Pakistan demokratische Zustände einziehen. Das Problem sehe ich nicht. "

    Und das erinnert daran, wie viel in Pakistan möglich ist und wie viel mehr in diesem Land steckt, als Schwarz-Weiß-Malerei und Horrorgemälde es vermuten lassen. Für diese Möglichkeiten öffnet Ulrich Ladurners Buch den Blick.

    Viel Lob von Marc Thörner für das Buch mit dem Titel "Bitte informieren Sie Allah!" mit Reportagen von Ulrich Ladurner aus Pakistan, erschienen im Herbig Verlag, 256 Seiten dick. Der Preis: EUR 19,90.