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Palästina
Präsident Abbas unter Druck

Palästinenser im Westjordanland demonstrieren für ein freies Palästina – und gegen ihre eigene politische Führung. Viele Menschen geben der Rivalität zwischen Fatah und Hamas die Schuld an der Abriegelung des Gazastreifens – und wünschen sich eine Versöhnung der Parteien.

Von Julio Segador | 03.07.2018
    Palästinenserpräsident Abbas
    Ist Palästinensterpräsident Machmud Abbas Teil der Lösung oder Teil des Problems? Viele Palästinenser halten die Politik des 83-Jährigen und seinen Kampf gegen die Hamas für kontraproduktiv. (AFP/Abbas Momani)
    Nablus, nach Hebron die zweitgrößte palästinensische Stadt im Westjordanland. Mehrere Hundert Menschen haben sich im Zentrum versammelt, skandieren lautstark Parolen.
    Ja zu einem freien Palästina, Nein zu dem angeblichen Friedens-Deal von US-Präsident Trump. Immer wieder versammeln sich in diesen Tagen Menschen in den palästinensischen Städten. Und Funktionäre wie Jihad Ramadan, der hiesige Fatah-Chef in Nablus, stehen im Mittelpunkt:
    "Die Amerikaner sprechen vom 'Deal des Jahrhunderts' – wir sind dagegen. Das wird die Besetzung durch die Israelis nur noch fester zurren. Wir setzen auf Selbstbestimmung, Freiheit, Unabhängigkeit, und klar ist auch: Jerusalem ist unsere Hauptstadt."
    Die USA und die Israelis sind die Feinde – doch so klar ist die Sache nicht. Denn immer wieder mischt sich bei den Demonstrationen Kritik gegen die eigene Führung.
    Hartes Vorgehen gegen Demonstranten
    Einige Tage zuvor in Ramallah. Palästinensische Sicherheitskräfte gehen mit großer Härte gegen Demonstranten vor. Schlagstöcke werden eingesetzt, es fliegen Blend- und Tränengas-Granaten.
    Der junge Palästinenser Yazan Shrouf war einer der Aktivisten bei dieser Protest-Kundgebung in Ramallah. Er wurde geschlagen, festgenommen, über Stunden verhört. Der 30-Jährige ist sicher: Es war politisch gewollt, mit voller Härte gegen die Demonstranten vorzugehen:
    "Wenn man gesehen hat, wie Zivilbeamte normale Bürger festgenommen haben, während uniformierte Polizisten das Ganze aus sicherer Entfernung beobachtet haben, muss man davon ausgehen, dass die Befehle von der politischen Spitze kamen. Das waren keine untergeordneten Stellen in Ramallah. Solche Dinge geschehen nicht ohne die politische Rückendeckung der Autonomiebehörde."
    "Autonomiebehörde trägt Schuld an Abriegelung Gazas"
    Und der Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde heißt Machmud Abbas. Seit 2005 führt der 83-Jährige die Organisation, doch so sehr in der Kritik wie bisher stand er noch nie. Viele Palästinenser geben ihm die Schuld an den prekären Bedingungen, unter denen die Bevölkerung im Gazastreifen leben muss.
    In der Tat ist Abbas dafür mitverantwortlich, dass es in Gaza pro Tag nur wenige Stunden Strom gibt, ebenso werden die Gehälter der Verwaltungsbeamten nur teilweise bezahlt. Mit diesem harten Kurs wollen Abbas und seine Fatah-Bewegung die rivalisierende Palästinenserorganisation, die islamistische Hamas in Gaza schwächen. Doch der Protest gegen diese Politik wächst – auch im Westjordanland.
    Yazan Shrouf spricht das aus, was inzwischen viele Palästinenser denken:
    "Die Autonomiebehörde trägt Schuld an der Abriegelung Gazas. Sie hat die Zahlungen an die Beamten in Gaza gestoppt, im Glauben, diese würden sich von der Hamas-Regierung dort distanzieren. Aber das kann man so nicht akzeptieren. Man kann nicht Leute bestrafen, die unter der Hamas-Regierung arbeiten."
    Versöhnung zwischen Fatah und Hamas gefordert
    Viele – vor allem jüngere – Palästinenser fordern ein Ende des Konfliktes zwischen Fatah und Hamas. Die Forderung stehe im Zentrum der aktuellen Demonstrationen, meint der Fatah-nahe Analyst Jihad Harb aus Ramallah:
    "Die Leute lehnen die aktuelle Konfrontation der beiden Organisationen ab. Es gibt bei der Demonstration vor allem zwei Slogans. Zum Einen: Die Sanktionen müssen ein Ende haben. Aber auch: Es muss eine Ende der Rivalität von Fatah und Hamas geben. Nach der Niederschlagung der Proteste gab es noch einen Slogan: Die Freiheit muss beschützt werden."
    Nur eine Versöhnung könne die Grundlage bilden, um im Friedensprozess eine gemeinsame palästinensische Position gegenüber Israel und den USA glaubhaft zu vertreten, meint der junge Aktivist Yazan Shrouf.
    "Wird dieser Konflikt gelöst, verlieren viele Leute ihre Pfründe"
    Doch er weiß, dass dies derzeit nur schwer möglich ist. Zu verhärtet scheint der Konflikt zwischen Fatah und Hamas, die beide um die Vorherrschaft unter den Palästinensern ringen:
    "Wenn dieser Konflikt gelöst wird, verlieren eine Menge Leute ihre Pfründe. Daher sind viele auch nicht wirklich daran interessiert, den Konflikt zu beenden. Und jedes Mal wenn es einen Versuch zur Versöhnung gab, scheiterte er, und es hagelte gegenseitige Vorwürfe in den Medien. Daher glauben viele, der Streit hört niemals auf."
    An ein Einlenken Abbas' glaubt kaum jemand
    Dass der greise Palästinenserpräsident Machmud Abbas einlenkt und die Hamas als gleichwertigen Partner anerkennt, glaubt kaum jemand. Viele setzen auf die Zeit nach seiner Regentschaft. Aktivist Yazan Shrouf hat indes Zweifel, dass sich nach der Ära Abbas wirklich etwas ändern wird:
    "Es geht eigentlich gar nicht darum, wer Präsident ist. Irgendwie haben wir es bei der Autonomiebehörde mit einer Art Stiftung zu tun, die nur existiert, um bestimmte Interessen verschiedener Gruppen durchzusetzen. Und wenn der Kopf dieser Stiftung, also der Autonomiebehörde, nicht mehr da ist, wird sich – so glaube ich – gar nicht so viel ändern."
    Der 30-Jährige klingt frustriert. Eines weiß er aber: Er wird weiter auf die Straße gehen, gegen die Isolierung Gazas, gegen die Sanktionen der Fatah, gegen Palästinenserpräsident Abbas.