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Palmwein oder Die Liebe zu Afrika

Adriaan van Dis wirft zu Beginn seiner Erzählung "Palmwein" einen Köder aus: Wir erfahren, Susan, die Hauptfigur im Buch, wird sterben. Ein distanzierter Beobachter erzählt uns nun davon, wie es zu dem - in der Anzeige steht: tragischen - Tod gekommen ist. Van Dis schildert souverän die Ereignisse auf einer afrikanischen Insel, welche zu der verheißenen Tragik führen werden. Doch im Verlauf der Lektüre fühlt man sich bisweilen wieder ans Angeln erinnert, denn dort braucht man Geduld. Die Geschichte um Susan ist keinesfalls ein Fischen im Trüben - Geduld aber schadet auch hier nicht.

Volkmar Mühleis |
    Susan ist eine U.S.-Amerikanerin, die an der afrikanischen Westküste gestrandet ist und dort auf einer Insel durch politische Wirren neuen Mut zum Leben findet, bevor sie sich nach dem Scheitern ihres Engagements der Selbstzerstörung überläßt. Das Mittel der Zerstörung ist Palmwein, eine hochprozentige Droge, die zum Verfall der Einheimischen wie Fremden das ihre tut. Denn Resignation und Stillstand prägen das Leben auf der Insel. Das Regime des Landes exportiert die heimischen Produkte für Devisen, die vor Ort nicht mehr ankommen, sondern in militärischen Auseinandersetzungen aufgebraucht werden. Daß der Schauplatz nicht genauer benannt wird, ist eine Folge der Bilder, die sich von Afrika gleichen: Das Grundmuster könnte auf jeden Staat zutreffen, in dem Elend und Krieg herrschen. Adriaan van Dis beschreibt eine Parabel - zum einen auf Afrika und zum anderen auf westliches Helfen dort. Der weiße Geliebte von Susan auf der Insel sagt - ganz im Tenor des Buches:

    "Afrika ist ein einziges großes Labor, voller faszinierender Prozesse und Kettenreaktionen. Man muß es brodeln und dampfen lassen, aber nicht eingreifen. Wir haben schon zuviel verdorben."

    Daß vermeintliches Helfen ins Verderben führen kann, verdeutlicht "Palmwein oder Die Liebe zu Afrika" - wie das Buch im Deutschen vollständig heißt - insbesondere anhand zweier Gleichnisse. Zunächst durch ein Erlebnis des Geliebten: Er wäre einmal in einem von insgesamt vier Booten auf einem Fluß gefahren, in dem Krokodile schwammen. Zwei Boote seien gekentert, er hätte Leute retten wollen, doch das eigene Boot drohte selbst dabei unterzugehen. Also stießen seine schwarzen Mitreisenden die Hilfesuchenden in den Fluß zurück. ‘Das Boot ist voll’, war ihm somit eine Lehre. Der Autor nimmt sie als Vorraussetzung für Susans persönliches Schicksal. Sie versucht Separatisten mit einem Schiff in Sicherheit zu bringen. Aber zu viele drängen an Bord. Als Einzige geht sie daraufhin instinktiv wieder an Land - als U.S.-Bürgerin wird sie auch nicht mit dem Tode bedroht. Das Schiff geht unter, niemand überlebt. Geächtet lebt sie fortan auf der Insel, und innerlich zerfressen stirbt sie dort. Der Beobachter, der uns ihre Geschichte erzählt - übrigens in der Rolle eines neutralen, ausländischen Berichterstatters für das Krisengebiet - , beendet seine Schilderung mit einem Kommentar der Ereignisse - oder unverblümt gesehen: Der Autor schließt mit einer Interpretationshilfe für die Leser:

    "Susans Geschichte hatte mich nachdenklich gemacht. Sie hatte sich die Insel zum Sterben ausgesucht, aber sie wurde wiedergeboren. Sie klammerte sich an die Insel, ich wollte meine Verbundenheit dadurch zeigen, daß ich sie losließ. Denn auch mein Leben wandelte sich mit dem Aufenthalt auf der Insel. Durch den Abschied von der Illusion, ich müsse andere retten, verlor ich meinen Hochmut und wurde für meine Mitmenschen zugänglicher. Weniger einsam. Die Leiden anderer hatten mich bescheidener gemacht. Trotz aller Rückschläge ließen sich die Menschen nicht entmutigen. Sie versuchten, ihre Lebensbedingungen zu verbessern, und wurden mit Fehlschlägen konfrontiert. Sie stürzten, standen auf und machten sich wieder auf die Suche nach dem Fortschritt. Nur wenige begingen Selbstmord, die meisten kämpften und machten weiter. Vielleicht ist das die Schönheit des Lebens."

    Mit dem letzten Satz dieses Zitates haben wir den tatsächlichen Schluß nicht verraten, denn der letzte Satz im Original steht nicht in der Übersetzung. Adriaan van Dis wendet das Pathos noch durch ein wenig Ironie, aber für Pathos hat man bei seinem deutschen Verlag offenbar mehr Sinn, denn im Original trägt das Buch auch nicht den Untertitel Die Liebe zu Afrika - was nicht weiter zu beanstanden wäre, wenn es nicht doch um die autoagressive Haßliebe entwurzelter Weißer zu diesem Kontinent ginge.

    Aber wofür gebraucht van Dis die Metapher "Das Boot ist voll"? "Palmwein" erschien in den Niederlanden 1996. Einige Jahre zuvor hatte Hans Magnus Enzensberger hierzulande in Texten wie "Bosnien, Uganda" oder "Aussichten auf den Bürgerkrieg" die These vertreten: Wovon man in ausländischen Angelegenheiten nichts verstehe, solle man die Finger lassen, und wenn das Boot voll sei, nicht christliche Nächstenliebe oder moralische Imperative beschwören, sondern eben den Krisen und Kriegen ins Auge sehen - nüchtern und klar. Adriaan van Dis thematisiert zwar ebenfalls die Metapher des Bootes und sieht auch keinen Weg im engagierten Mitleid, er möchte aber die teilnahmsvolle Mitmenschlichkeit gewahrt wissen - die Vorstellung ‘Das Boot sei voll’ führt bei ihm also nicht zum strengen Entweder-Oder; dieses wird lediglich in Aussicht gestellt, als drohendes Unheil für Afrika. Die ganze Argumentation hinterläßt jedoch den Eindruck eines unergiebigen Manövers um eine zweifelhafte Metapher. Ihr in der Handlung auch noch Leben einhauchen zu wollen, ist wenig überzeugend.