Schade eigentlich: Nach seinem Riesenerfolg "Bullshit" hat der amerikanische Philosoph und Autor Harry G. Frankfurt jetzt einen Essay vorgelegt, der in der Quintessenz dem Titel seiner letzten Veröffentlichung nahe kommt. Seine Ein- und Auslassungen "Über die Wahrheit" sind leider eine einzige Ansammlung an Binsenweisheiten und Banalitäten. Ein großes Thema der heutigen Zeit wurde verschenkt, Erwartungen an den Autor enttäuscht und Versprechungen des Verlags leider nicht erfüllt. - Doch der Reihe nach: Der Verlag verspricht:
Frankfurt argumentiert klar und konzentriert - ein entschiedenes Plädoyer für die Wahrheit.
Der Autor habe ein leidenschaftliches Manifest geschrieben, das der Wahrheit zu ihrem Recht verhelfe. Und weiter wörtlich:
[...] die Wahrheit verflüchtigt sich im alltäglichen Geschwätz; Werbung, Politik und Medien arbeiten ganz bewusst daran, die Grenze zwischen falsch und wahr zu verwischen. Aber wer sich von der Möglichkeit, Wahres von Falschem zu unterscheiden, verabschiedet, verliert auch die Fähigkeit zur Erkenntnis, die Perspektiven vernünftigen Handelns und am Ende die Grundlage allen Zusammenlebens.
So weit so gut, diese Verlagsankündigung macht neugierig. Aber, ein Schuft der Böses dabei denkt, schon dies entspricht nicht einmal im Kern dem Inhalt der vermeintlichen Wahrheitssuche des Autors. Und Frankfurt selbst, er stellt seinem Essay den Anspruch voraus, etwas Versäumtes aus einem vorherigen Werk nachzuliefern:
Ich habe den Unterschied zwischen Bullshit und Lügen untersucht, der von grundlegender Wichtigkeit ist, wiewohl er im allgemeinen nicht untersucht wird [....] Ich hatte nicht erklärt, warum Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit, von der ich behauptet hatte, dass sie für Bullshit charakteristisch sei, etwas derart Schlechtes ist.
Dabei entschuldigt sich Frankfurt eingangs schon in weiser Voraussicht, dass er keine allgemeingültige Interpretation von Wahrheit versuchen werde. Das setze er als Allgemeingut voraus. Richtig oder falsch seien in diesem Zusammenhang keine wichtigen Größen. Es gehe ihm um Wert und Wichtigkeit von Wahrheit.
Mein Thema ist nicht der Forschungsprozess und auch nicht der Zeitpunkt seines erfolgreichen Abschlusses, sondern sein Ziel. [...] Ist Wahrheit etwas, woran uns wirklich besonders gelegen ist - und gelegen sein sollte. Oder ist die Liebe zur Wahrheit [...] selbst nicht mehr als ein weiteres Beispiel für Bullshit?
Woran es Frankfurt wirklich gelegen ist, das wird sehr schnell klar: An einer unnachsichtigen Kritik der Postmoderne, oder genauer der Vertreter dieses Zeitgeistes. Dabei bedient sich der Autor in schönster Tradition reaktionärer Dialektik eines Popanz, den er aus freien und nicht bewiesenen Annahmen aufbaut, um dann anschließend kräftig auf ihn einzudreschen. Beispiel:
Diese schamlosen Widersacher der Alltagsvernunft - Mitglieder einer gewissen sinnbildlichen Untergruppe dieser Kategorie nennen sich "Postmodernisten" - bestreiten rebellisch und selbstgerecht, dass die Wahrheit überhaupt eine wirkliche objektive Realität besitze. Daher bestreiten sie auch weiterhin, dass die Wahrheit irgendeine obligatorische Wertschätzung oder Achtung verdient [...]. Es hängt einfach davon ab, so behaupten sie, wie man die Dinge sieht.
Und so geht es munter weiter. Ohne Zitatenbeleg, ja selbst ohne Referenzversuche polemisiert Frankfurt in der ärgerlichen Attitüde eines Alles- und Besserwissers gegen diese, wie er sie sieht, "schamlosen Widersacher der Alltagsvernunft". Ganz nebenbei stempelt er sie damit auch noch als Fälscher jeglicher rationalen Erkenntnis ab. Überhaupt die Vernunft: Auch hier zunächst einmal Verallgemeinerungen, die dann mit Berufung auf Spinoza belegt werden sollen:
Wir Menschen sind dafür berüchtigt, dass wir über ein häufig demonstriertes Talent verfügen, die Erfordernisse der Rationalität zu ignorieren und ihnen auszuweichen. Wie kann man es denn überhaupt als wahrscheinlich ansehen, dass wir das rationale Gebot, die Wahrheit ernst zu nehmen, respektieren und uns ihm fügen werden?
In einer ziemlich krude anmutenden Argumentations- und Interpretationskette zu Spinozas Ausführungen über Lust und Liebe sowie Selbstverwirklichung schlussfolgert Frankfurt:
So kam Spinoza zu dem Schluss, dass nahezu jeder - jeder, der sein Leben schätzt und dem an ihm gelegen ist - die Wahrheit, ob wissentlich oder nicht, liebt. [...] Und insofern wir erkennen, was es heißt, die Probleme des Lebens erfolgreich zu bewältigen, können wir nicht umhin, die Wahrheit zu lieben.
Spätestens hier wird klar, warum Frankfurt seinen Wahrheitsbegriff im Dunkeln lässt und lieber über Kollateralwirkungen wie Nützlichkeit, Vernunft oder auch Liebe räsoniert. Ganz davon abgesehen, dass der Autor sich immer wieder in Redundanzen ergeht, die irgendwann ärgerlich werden.
In dem Maße, wie wir genauer lernen, auf welche Weise wir begrenzt sind und welche Grenzen unsere Begrenzung hat, gelangen wir dahin, unsere Grenzen abzustecken und so unsere eigene Gestalt zu erkennen.
Alles klar? Nein, diesmal hat Frankfurt leider nicht einmal seine eigenen Ansprüche erfüllt. Von seinen Fähigkeiten ganz zu schweigen. In Wahrheit kann er es besser, das hat er mit seinem Bestseller Bullshit bewiesen. Es war gut, dass er in Bullshit etwaige Einlassungen über die Wahrheit ausgelassen hat. Sie wären dann das, was der andere Titel besagt und dieses Buch leider enthält: Bullshit. Hätte er doch nur auf Jean Jacques Rousseau geachtet, der anno 1762 in einem Brief an Erzbischof Beaumont schrieb:
Ich suchte die Wahrheit in den Büchern und fand darin nichts als Irrtum und Lügen. Ich fragte die Schriftsteller selbst, und ich fand nur Marktschreier, die sich ein Vergnügen daraus machen, die Menschen zu täuschen, ohne ein anderes Gesetz als ihren Eigennutz, ohne einen anderen Gott als ihren Ruf.
Es ist zu hoffen, dass es bei diesem einzigen Ausrutscher dieses interessanten und klugen Amerikaners bleibt.
Harry G. Frankfurt: Über die Wahrheit. Hanser. München 2007. 96 Seiten. 10,00 Euro.
Frankfurt argumentiert klar und konzentriert - ein entschiedenes Plädoyer für die Wahrheit.
Der Autor habe ein leidenschaftliches Manifest geschrieben, das der Wahrheit zu ihrem Recht verhelfe. Und weiter wörtlich:
[...] die Wahrheit verflüchtigt sich im alltäglichen Geschwätz; Werbung, Politik und Medien arbeiten ganz bewusst daran, die Grenze zwischen falsch und wahr zu verwischen. Aber wer sich von der Möglichkeit, Wahres von Falschem zu unterscheiden, verabschiedet, verliert auch die Fähigkeit zur Erkenntnis, die Perspektiven vernünftigen Handelns und am Ende die Grundlage allen Zusammenlebens.
So weit so gut, diese Verlagsankündigung macht neugierig. Aber, ein Schuft der Böses dabei denkt, schon dies entspricht nicht einmal im Kern dem Inhalt der vermeintlichen Wahrheitssuche des Autors. Und Frankfurt selbst, er stellt seinem Essay den Anspruch voraus, etwas Versäumtes aus einem vorherigen Werk nachzuliefern:
Ich habe den Unterschied zwischen Bullshit und Lügen untersucht, der von grundlegender Wichtigkeit ist, wiewohl er im allgemeinen nicht untersucht wird [....] Ich hatte nicht erklärt, warum Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit, von der ich behauptet hatte, dass sie für Bullshit charakteristisch sei, etwas derart Schlechtes ist.
Dabei entschuldigt sich Frankfurt eingangs schon in weiser Voraussicht, dass er keine allgemeingültige Interpretation von Wahrheit versuchen werde. Das setze er als Allgemeingut voraus. Richtig oder falsch seien in diesem Zusammenhang keine wichtigen Größen. Es gehe ihm um Wert und Wichtigkeit von Wahrheit.
Mein Thema ist nicht der Forschungsprozess und auch nicht der Zeitpunkt seines erfolgreichen Abschlusses, sondern sein Ziel. [...] Ist Wahrheit etwas, woran uns wirklich besonders gelegen ist - und gelegen sein sollte. Oder ist die Liebe zur Wahrheit [...] selbst nicht mehr als ein weiteres Beispiel für Bullshit?
Woran es Frankfurt wirklich gelegen ist, das wird sehr schnell klar: An einer unnachsichtigen Kritik der Postmoderne, oder genauer der Vertreter dieses Zeitgeistes. Dabei bedient sich der Autor in schönster Tradition reaktionärer Dialektik eines Popanz, den er aus freien und nicht bewiesenen Annahmen aufbaut, um dann anschließend kräftig auf ihn einzudreschen. Beispiel:
Diese schamlosen Widersacher der Alltagsvernunft - Mitglieder einer gewissen sinnbildlichen Untergruppe dieser Kategorie nennen sich "Postmodernisten" - bestreiten rebellisch und selbstgerecht, dass die Wahrheit überhaupt eine wirkliche objektive Realität besitze. Daher bestreiten sie auch weiterhin, dass die Wahrheit irgendeine obligatorische Wertschätzung oder Achtung verdient [...]. Es hängt einfach davon ab, so behaupten sie, wie man die Dinge sieht.
Und so geht es munter weiter. Ohne Zitatenbeleg, ja selbst ohne Referenzversuche polemisiert Frankfurt in der ärgerlichen Attitüde eines Alles- und Besserwissers gegen diese, wie er sie sieht, "schamlosen Widersacher der Alltagsvernunft". Ganz nebenbei stempelt er sie damit auch noch als Fälscher jeglicher rationalen Erkenntnis ab. Überhaupt die Vernunft: Auch hier zunächst einmal Verallgemeinerungen, die dann mit Berufung auf Spinoza belegt werden sollen:
Wir Menschen sind dafür berüchtigt, dass wir über ein häufig demonstriertes Talent verfügen, die Erfordernisse der Rationalität zu ignorieren und ihnen auszuweichen. Wie kann man es denn überhaupt als wahrscheinlich ansehen, dass wir das rationale Gebot, die Wahrheit ernst zu nehmen, respektieren und uns ihm fügen werden?
In einer ziemlich krude anmutenden Argumentations- und Interpretationskette zu Spinozas Ausführungen über Lust und Liebe sowie Selbstverwirklichung schlussfolgert Frankfurt:
So kam Spinoza zu dem Schluss, dass nahezu jeder - jeder, der sein Leben schätzt und dem an ihm gelegen ist - die Wahrheit, ob wissentlich oder nicht, liebt. [...] Und insofern wir erkennen, was es heißt, die Probleme des Lebens erfolgreich zu bewältigen, können wir nicht umhin, die Wahrheit zu lieben.
Spätestens hier wird klar, warum Frankfurt seinen Wahrheitsbegriff im Dunkeln lässt und lieber über Kollateralwirkungen wie Nützlichkeit, Vernunft oder auch Liebe räsoniert. Ganz davon abgesehen, dass der Autor sich immer wieder in Redundanzen ergeht, die irgendwann ärgerlich werden.
In dem Maße, wie wir genauer lernen, auf welche Weise wir begrenzt sind und welche Grenzen unsere Begrenzung hat, gelangen wir dahin, unsere Grenzen abzustecken und so unsere eigene Gestalt zu erkennen.
Alles klar? Nein, diesmal hat Frankfurt leider nicht einmal seine eigenen Ansprüche erfüllt. Von seinen Fähigkeiten ganz zu schweigen. In Wahrheit kann er es besser, das hat er mit seinem Bestseller Bullshit bewiesen. Es war gut, dass er in Bullshit etwaige Einlassungen über die Wahrheit ausgelassen hat. Sie wären dann das, was der andere Titel besagt und dieses Buch leider enthält: Bullshit. Hätte er doch nur auf Jean Jacques Rousseau geachtet, der anno 1762 in einem Brief an Erzbischof Beaumont schrieb:
Ich suchte die Wahrheit in den Büchern und fand darin nichts als Irrtum und Lügen. Ich fragte die Schriftsteller selbst, und ich fand nur Marktschreier, die sich ein Vergnügen daraus machen, die Menschen zu täuschen, ohne ein anderes Gesetz als ihren Eigennutz, ohne einen anderen Gott als ihren Ruf.
Es ist zu hoffen, dass es bei diesem einzigen Ausrutscher dieses interessanten und klugen Amerikaners bleibt.
Harry G. Frankfurt: Über die Wahrheit. Hanser. München 2007. 96 Seiten. 10,00 Euro.