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Panamakanal sucht Wasser
Klimawandel am Nadelöhr des Welthandels

Am Panamakanal bleibt der Regen immer häufiger aus. Für die Weltwirtschaft verheißt das nichts Gutes. Denn mit ihren globalisierten Lieferketten ist sie auf einen hocheffektiven Güterverkehr angewiesen. Doch der Klimawandel wird die Seewege nicht verschonen - und die Nadelöhre besonders hart treffen.

Von Andrea Rehmsmeier | 30.01.2022
Luftaufnahme von zwei Neo-Panamax Containerschiffen beim Überqueren der dritten Schleuse auf der Pazifikseite des Panamakanals
Nach der Erweiterung des Panamakanals können seit 2016 noch größere Schiffe die Abkürzung zwischen Atlantik und Pazifik passieren (imago/imagebroker/Diego Lezama )
27. März 2021: Der zweite Corona-Winter geht zu Ende. Die Wirtschaft hofft auf wiedererwachende Kauflaune. Da überraschen die Abendnachrichten mit einem Ereignis, das so wohl niemand vorausgesehen hat.

“Das Wetter macht dem Welthandel gerade einen Strich durch die Rechnung. Das 400 Meter lange Containerschiff ist durch einen Sandsturm havariert und steckt nun im Suezkanal fest.”

Die „Ever Given“ ist einer der größten Frachter der Welt: viel Angriffsfläche für die heftig tobenden Böen. In der engen Fahrrinne des Suezkanals ist er ins Schlingern geraten und auf Grund gelaufen. Sechs Tage lang ist das Nadelöhr des Welthandels durch den Ozeanriesen versperrt – an jedem einzelnen Tag sind Waren im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar blockiert.
26.03.2021, Ägypten, Suez: Ein Schlepper nimmt an den Bemühungen zur Freilegung vom Containerschiff «Ever Given» teil, das im Suezkanal festgesetzt ist und die wichtige Schifffahrtsstraße zwischen Asien und Europa blockiert.
Die Havarie im Suezkanal - ausgerechnet während der Corona-Krise - hat die Verletzlichkeit der "Just-in-Time"-Lieferketten deutlich gemacht (Samuel Mohsen/dpa)

Hochgetaktete, extrem verletzliche Lieferketten

Der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig, denn auch der Aufschwung nach den Corona-Lockdowns hat unerwartete Nebenwirkungen: Die Warenzustellung stottert, es gibt Versorgungsengpässe in vielen Branchen. Jetzt hat die Weltwirtschaft ein neues Schlüsselwort: Lieferkettensicherheit.
Martin Peter vom Forschungs- und Beratungsunternehmen Infras in Zürich: “Da wurde der Öffentlichkeit klar, wie verletzlich diese hochgetakteten Wertschöpfungsketten sind, und dass sehr rasch zeitliche Verzögerungen oder Totalausfälle von Vorprodukten oder Lebensmitteln geschehen, die im Inland dann ziemlich stark spürbar sind.”

Wenn Klimaforscher in die Zukunft des globalen Handels blicken, dann sehen sie Orkane, die über wichtigen Schiffsrouten toben, und Hafenanlagen, die im steigenden Meeresspiegel untergehen. Eng werden aber könnte es zuerst in Panama.

Eine zentrale Abkürzung im globalen Güterverkehr

Regenzeit in Panama: Zwischen Mai und November geht das Wasser in Sturzbächen nieder – jeden Tag, und das über Stunden. Die Niederschläge haben dem kleinen zentralamerikanischen Land urwüchsige Tropenwälder, reißende Flüsse und fruchtbares Agrarland beschert. Und sie haben es zu einer mächtigen Drehscheibe im Welthandel gemacht. Denn ohne seine exorbitanten Wasserreserven könnte es den Panamakanal nicht betreiben – diese entscheidende Abkürzung im Seeverkehr, die Frachtern die Umrundung Südamerikas erspart, weil sie Atlantik und Pazifik direkt verbindet.
Etwa fünf Prozent des globalen Güterverkehrs werden über die 82 Kilometer lange Fahrrinne abgewickelt. Doch was geschieht, wenn der Klimawandel die tropischen Regengüsse eines Tages versiegen lässt?

Das noble Anwesen der Kanalbehörde liegt auf einer Anhöhe mit Panoramablick über Panama-City. Die Eingangshalle ist von einer riesigen Kuppel gekrönt. Die monumentalen Gemälde, die das Kuppelinnere zieren, zeigen Szenen von der Erbauung des Panamakanals.

„Hier sehen wir das originale Bauwerk einer Schleusenanlage: Es könnte sich um ‚Miraflores‘, ‚Pedro Miguel‘ oder ‘Gatun‘ handeln, die im Jahr 1914 fertiggestellt wurden. Und dieses Gemälde dort zeigt, wie der Gatun-Damm errichtet wurde. Der staut das Wasser des Rio Chagres, wodurch der Gatun-See entstand – damals der größte menschengemachte See der Welt.“
Bau des Panama-Kanals: Die tiefste Grabungs-Stelle 1907, der Gaillard/Culebra-Durchstich
Der Bau des Panamakanals war technisch ungleich komplizierter als der des Suez-Kanals (imago/United Archives International)

Technische Meisterleistung mit Schleusen-Stafette

Die Erbauung des Panamakanals, begonnen im Jahr 1881, war eine technische Meisterleistung, die den Ingenieur John Langman bis heute beeindruckt. Denn einfach eine Fahrrinne zwischen den Ozeanen graben - so wie beim Suezkanal - erwies sich damals schnell als unmöglich.

“Die Bauarbeiten führten ja quer durch die kontinentale Wasserscheide, und sie brachten die umliegenden Berghänge ins Rutschen. Also musste eine andere Lösung gefunden werden. Und diese war: die Schiffe mit Hilfe von Schleusen über die Landenge hinwegheben. Darum wurde der Staudamm für den künstlichen See Gatun gebaut, der 25 Meter über dem Meeresspiegel liegt.”

Das Prinzip ist bis heute gleich geblieben: Die Schiffe, die den Panamakanal durchfahren, werden in mehreren Stufen die bergige Landenge hinauf und wieder hinab geschleust. Der Gatun-See – fast so groß wie der Bodensee – ist Teil der Kanalstrecke. Zusammen mit dem etwas kleineren Stausee Alajuela deckt er den immensen Wasserverbrauch des Schleusenbetriebs. Und mehr noch: Die Seen speisen nicht nur den Kanal, sie liefern auch das Trinkwasser für eineinhalb Millionen Menschen in den Metropolen Panama City und Colon.

„Damals wurde etwas Wundervolles geschaffen – vor so vielen Jahren. Der Panamakanal macht sich auf die einfachste Weise die Schwerkraft des Wassers zunutze, um die Schleusen zu betreiben. Fast ohne Energieaufwand bietet er eine Dienstleistung, von der die ganze Welt profitiert.“
Feiernde BürgerInnen bei der Erweiterung des Panama-Kanals am 26.6.2016
Der Panamakanal, ein technisches Meisterwerk - mit dem Update 2016 auch wieder auf der Höhe der Zeit (imago/Agencia EFE)

Kanal-Erweiterung für das Zeitalter der Globalisierung

Ein Jahrhundert lang hat dieses Versorgungssystem wunderbar funktioniert, denn jedes Jahr füllten Panamas tropische Regengüsse die Stauseen wieder auf - fast jedes Jahr.
1998, nach einer außergewöhnlich schlechten Regensaison, muss der Panamakanal den Schiffsverkehr begrenzen. 2012 dann sind die Regenfälle so heftig, dass die Dämme der Stauseen Gatun und Alajuela zu bersten drohen. Als auch noch ein Orkan aufzieht, beschließt die Kanalbehörde, über die Schleusen Wasser abzulassen. Die Wasserstraße muss komplett geschlossen werden.
Doch am 26. Juni 2016 ist all das vergessen. “Nach neun Jahren Bauzeit ist heute der erweiterte Panamakanal in Betrieb genommen worden….”
Das Nadelöhr wurde fit gemacht für das Zeitalter der Globalisierung. Die Tagessschau berichtet:
„Für Panama und den Welthandel ist die Erweiterung der Wasserstraße ein wichtiger Schritt in die Zukunft, betont Präsident Varela: Bürger Panamas! Ihr seid zu Recht stolz auf dieses historische Ereignis für Panama, für unsere Region und für die Welt.”

Mit den beiden neuen Schleusenanlagen - eine auf Atlantikseite, eine auf Pazifikseite - kann jetzt so gut wie jeder Ozeanriese über die kontinentale Wasserscheide gehoben werden. Die Fahrrinne führt über den Gatun-See, der etwa 26 Meter über dem Meeresspiegel liegt.

“Nach seiner Erweiterung ist der 102 Jahre alte Kanal wieder konkurrenzfähig. 96 Prozent aller Frachtschiffe können ihn jetzt passieren.”
Krane in der Baugrube für die neuen Schleusen der Kanal-Erweiterung
Auch die Erweiterung 2016 war wieder ein technologischer Kraftakt mit immensem Aufwand (imago/Thomas Koehler)

Extremwetter-Ereignisse bringen Sand ins Getriebe

Größere Schiffe, höhere Frachtmengen, punktgenaue Zustellung: Rohstoffe in allen Aggregatzuständen pulsieren mit hoher Frequenz über die Weltmeere. Die Warenmenge ist gestiegen, Produktionszyklen haben sich verkürzt, arbeitsintensive Produktionsstufen sind in Niedriglohnländer ausgelagert. Der Warenhandel zwischen den Kontinenten läuft wie ein Uhrwerk: rentabel und zuverlässig. Allzu zuverlässig vielleicht, fürchtet Martin Peter:

“Bisher war Verkehr und Transport einfach ein Schmiermittel der Weltwirtschaft. Wichtig ist, dass am einen Ort ein Vorprodukt hergestellt wird und am anderen wird das weiterbearbeitet. Aber die Transportwege dazwischen - das funktioniert und hat in den letzten Jahren auch zunehmend an Dichte, an engen Fenstern und an ‚just in time‘-Zulieferung zugenommen.”

Doch was, wenn in den eng verflochtenen Wertschöpfungsketten plötzlich ein Glied reißt? Im vergangenen Jahr brachten erst die Produktionsausfälle der Covid-19-Pandemie die Weltwirtschaft ins Straucheln, jetzt wird der ersehnte Nachholeffekt von fehlenden Transportkapazitäten ausgebremst.
Mit noch größerer Sorge aber schaut Martin Peter auf die alarmierenden Wetternachrichten, die 2021 aus allen Teilen der Welt kamen: Überschwemmung im Ahrtal, Waldbrände in Südeuropa, Tornados in den USA. 12,5 Milliarden Euro Extremwetterschäden verzeichneten die Versicherer allein in Deutschland - so viel wie in keinem Jahr zuvor.
Auf den Weltmeeren kommt es immer häufiger vor, dass Schiffe in schwerer See Container verlieren: Im Winterhalbjahr 2020/21 gingen laut Versicherungswirtschaft Waren im Wert von mehreren 100 Millionen Euro über Bord. Martin Peter:

“Man merkt jetzt mit zunehmenden Extremwetter-Ereignissen, dass genau diese vorher so selbstverständlichen Transporte eine sehr vulnerable Angelegenheit sind. Wenn die tangiert sind, dann hat das ganze Räderwerk der internationalen Wertschöpfungsverflechtung Sand im Getriebe.”
Steven Paton vom Smithsonian Tropical Research Institute
Steve Paton macht sich Sorgen über die neuen Niederschlagsmuster in Panama und den Anstieg der Meerespiegel (Jan Thönnessen)

Niederschlags-Muster in Panama "völlig verändert"

Auch in Panama nehmen die Extremwetter-Ereignisse zu. Im Januar 2019, keine drei Jahre nach der feierlichen Eröffnung der Kanalerweiterung, ist nach einer Regenperiode, die dem Land kaum Niederschläge gebracht hat, der Wasserpegel des Gatun-Sees auf einen alarmierend niedrigen Stand gesunken. Die Kanalbehörde muss Durchfahrtsbeschränkungen erlassen, diese betrifft all die Schiffe mit großem Tiefgang, die den Panamakanal über die neuen Schleusen passieren wollten: Wer seine Fracht nicht verringern kann, muss sich einen anderen Weg suchen.
War die schlechte Regenzeit – die „Dürre“, wie die Kanalbehörde es nennt – nur eine Wetterkapriole? Oder könnte Wassermangel den zuverlässigen Betrieb des Panamakanals auf lange Sicht gefährden? Den Klimaforscher Steven Paton haben diese Fragen zu einem der meistinterviewten Wissenschaftler Panamas gemacht.

“Früher kam es einmal in 20 Jahren vor, dass der Kanal so wenig Wasser geführt hat, dass die Kanalbehörde die Zahl oder die Größe der durchfahrenden Schiffe beschränken musste. Inzwischen kommt es fast zweimal alle 20 Jahre vor. Wir beobachten bedeutende Veränderungen bei den Regenfällen. Eigentlich galt die Regenmenge in dieser Region immer als sehr stabil. Aber das Niederschlagsmuster hat sich völlig verändert.”

Längste Trockenperiode seit 142 Jahren

Die Klimadaten, die die Wetterstationen im Umfeld des Panamakanals erheben, sind detaillierter als in vielen anderen Weltgegenden, und sie reichen weiter zurück. Panama liegt im Einflussgebiet des wiederkehrenden Wetterphänomens El Niño: Extremwetter voraussehen und seine Folgen beherrschen lernen, das gehört hier zum Alltagsgeschäft. Doch die Daten, die der gebürtige US-Amerikaner Paton für das Smithsonian Tropeninstitut erhebt, gehen in Häufigkeit und Heftigkeit über die gewohnten El Niño-Wetterkapriolen hinaus.

“Acht der zehn schlimmsten Stürme überhaupt hatten wir in den vergangenen 20 Jahren. In diese Zeit fielen auch die zwei trockensten Jahre und eine drei Jahre andauernde Trockenperiode, die längste überhaupt – gemessen an den 142 Jahren, die unsere Aufzeichnungen zurückreichen.”

Der Klimaforscher Steve Paton fürchtet: Für Panama steht sehr viel mehr auf dem Spiel als nur der Erfolg des Prestigeprojekts Kanalerweiterung. „Die Kanalbehörde muss ja nicht nur ihren Verpflichtungen gegenüber den Schiffen nachkommen. Sie ist darüber hinaus gesetzlich verantwortlich für eineinhalb Millionen Menschen: So viele beziehen ihr Trinkwasser aus dem Regen, der über der kontinentalen Wasserscheide fällt. Wie schwerwiegend sind die erst betroffen, wenn zu wenig Regen fällt!“

Meeresspiegel-Anstieg verstärkt Überschwemmungsgefahr

Während sich das Land um den ausbleibenden Regen sorgt, bahnt sich von den Ozeanen her ein ganz anderes Problem an: Der Meeresspiegel steigt. Die Inseln des Archipels San Blas, und mit ihnen die Kultur der darauf lebenden indigenen Völker, sind dem sicheren Untergang geweiht, sagt Steve Paton. Und es ist eine Frage der Zeit, bis das Wasser Panama City erreicht. Die Bevölkerung wächst schnell, und die Stadt dehnt ihre Grenzen aus – auch in Richtung Pazifikküste. Früher, wenn Sturmflut herrschte, dauerte es zwei Stunden, bis das Wasser die ersten Siedlungen erreichte. Heute braucht es gerade mal eine halbe Stunde.
“Die Überflutung der Küsten dürfte insbesondere auf der pazifischen Seite noch zu einem echten Problem werden, weil das Gefälle dort sehr sanft ist. Gegen Ende dieses Jahrhunderts dürfte der Meeresspiegelanstieg etwa einen Meter betragen, und das wird zu schlimmen Überschwemmungen führen, auch in Panama City. Der Rest des Landes wird von Extremwetter und Dürren betroffen sein.”
Dabei ist Panama – verglichen mit anderen Klimawandel-geplagten Weltgegenden – in einer glücklichen Lage, sagt Paton. Denn das Land verfügt über riesige Flächen Wald, und der wächst zu beiden Seiten des Panamakanals besonders dicht: Er schützt die Kanalufer vor Erosion, er ist Wasserspeicher und Wellenbrecher.
Regenwald an den Ufern des Gatun-Sees, Barro Colorado Island, Panamakanal
Bislang ist der Panamakanal durch die urwüchsigen Wälder längs seines Verlaufes gut geschützt (imago/Nature Picture Library/Cyril Ruoso)

Schicksal des Panamakanals hängt von funktionsfähigen Wäldern ab

“Die Wasserversorgung hängt von den Wäldern ab. Diesen Effekt haben wir im Smithsonian Tropeninstitut kürzlich mit Daten hinterlegt. Jetzt können wir genau kalkulieren, wieviel Wasser ein Wald aufsaugt und in der Trockenperiode dem Umland und den Weideflächen wieder zur Verfügung stellt. Jetzt wissen wir, in welchem Maß Wald sturmbedingte Überflutungen reduzieren kann. In Panama gibt es niemanden, der nicht längst begriffen hätte, wie sehr das Schicksal des Panamakanals von funktionsfähigen Wäldern abhängt.”

Wird dieser urwüchsige Grüngürtel seine Schutzfunktionen auch dann noch erfüllen können, wenn die länger werdenden Trockenperioden den Bäumen zusetzen? Das ist die Forschungsfrage, die Paton derzeit zu beantworten versucht. In den Mangrovenwäldern, die den ersten Schutzgürtel gegen den Meeresspiegelanstieg bilden, hat er bereits Dürreschäden festgestellt. Die Tropenwälder des Festlandes scheinen den Klimawandel besser zu verkraften. Veränderungen aber gibt es auch hier.
Die Smithsonian-Forscher verzeichnen ein verstärktes Lianenwachstum, das in Ursache und Wirkung noch nicht erforscht ist. “Kürzlich wurden hier einige sehr strenge Gesetze zum Schutz seiner Wälder verabschiedet: Panama hat Dürren und Stürme frühzeitig vorausgesehen und umsichtig gemanagt. Wenn es also um Klimawandelfolgen geht, dann gehe ich davon aus: Panama wird auf der Seite der Staaten stehen, die vergleichsweise wenig betroffen sind. Andere wird es erheblich schlimmer treffen.”

Panama tut, was es kann. Die Frage ist nur: Wird es reichen?
Bau des Panamakanals: Dampfbagger bei Mindi, Historische Illustration, ca. 1890, Originaldatum nicht bekannt
Wichtige Abkürzung, vulnerables Nadelöhr - die weltweiten Logistikketten hängen davon ab, dass der Panamakanal weiterhin zuverläsig schiffbar ist (imago/H.Tschanz-Hofmann)

Außenhandelsnationen wie Deutschland besonders betroffen

Die zuverlässige Befahrbarkeit wichtiger Schiffsrouten ist insbesondere für Außenhandelsnationen wie Deutschland wichtig. Zuständig ist hierzulande das Umweltbundesamt für den Blick in eine Zukunft, in der Dürren, Orkane und Überschwemmungen zum Alltag gehören könnten. Ein Aspekt jedoch, so merkt die Behörde in einer Studie aus dem Jahr 2019 selbstkritisch an, ist bislang nur wenig beleuchtet worden: Die Frage, wie der Klimawandel über die internationalen Handelsverflechtungen auf die deutsche Wirtschaft wirkt.
Zwar sei längst nicht jede Entwicklung schlecht, heißt es in der Studie: Das schmelzende Meereis könnte die Schifffahrtssaison verlängern und in der Arktis neue Seewege freigeben. Dennoch: Die Chancen des Klimawandels seien für den Außenhandel vergleichsweise klein, die Risiken aber immens. Zitat: “Häufigere Extremereignisse und der Meeresspiegelanstieg werden Hafenanlagen und Containerterminals zu schaffen machen. Wegen zunehmender Starkniederschläge werden zusätzliche Erosionsschäden an Kanälen erwartet. Nadelöhre sind im Schiffsverkehr generell besonders klimavulnerabel, vor allem, was die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln angeht.”

Martin Peter: “Dass wirklich ein Fünftel des Sojas durch den Panamakanal geht? Also die Bottlenecks sind schon von den Satelliten aus sichtbar? Das ist ja ein Wahnsinn, was da zum Teil konzentriert an gewissen Orten durch muss.”

Schiffsverkehr momentan am vulnerabelsten

Durchgeführt wurde die Studie von dem Forschungs- und Beratungsunternehmen Infras in Zürich und der Universität Graz. Sie ist eine der wenigen überhaupt, die sich mit dem Themenkomplex Klimawandelfolgen und Weltwirtschaft beschäftigt. Studienleiter und Mitautor Martin Peter gehört auf diesem Gebiet zu den Pionieren.

“Der Schiffsverkehr scheint aktuell am vulnerabelsten. Zum einen, weil die Transport- und Logistikketten einfach so vernetzt sind und der Markt so hoch kompetitiv ist, auch preislich, dass der Trend zu einer maximalen Auslastung und extrem eng getakteten Abläufen einfach sehr hoch ist. Und wenn dann eine Infrastruktur nicht mehr eine Kapazität abarbeiten kann an den Häfen von den ankommenden Schiffen, dann ist halt kein Plan B möglich. Auf Verkehrsrouten hat man Ausweichmöglichkeiten. Wenn ein Panamakanal zu ist, sind die Ausweichmöglichkeiten relativ umständlich.”

13.000 Kilometer rund um Südamerika anstelle von 82 Kilometern Direkttransit zwischen Atlantik und Pazifik: Wenn das ungeplant kommt, dann verderben die Lebensmittel, das Fehlen von Bauteilen bringt Produktionsprozesse zum Erliegen und Frühjahrsmode trifft bei Sommerhitze ein. Ist das die Weltwirtschaft der Zukunft?

Selbst die globale Energieversorgung hängt am Panamakanal

Die Miraflores-Schleusen, gelegen an der Pazifikküste, sind ein historisches Monument und ein international bedeutendes Logistikzentrum in einem. Es ist früher Morgen. Im Besucherzentrum am Stadtrand von Panama City treffen die ersten Touristen ein. Von der Aussichtsplattform aus eröffnet sich ein weiter Blick über den Kanal. Von Krisenstimmung keine Spur: 2021 war ein sattes Regenjahr, die Stauseen Gatun und Alajuela sind gut gefüllt, die Perspektiven für eine störungsfreie Schifffahrtssaison 2022: hervorragend. Es herrscht reger Schiffsverkehr.
Der Finger von Kanalsprecher Edvin Miranda deutet nach Süden, wo sich am Horizont der offene Pazifik erstreckt. Es nähert sich ein Frachter, groß wie eine Kaserne. “Das ist ein Gas-Tanker. Sogenanntes LPG: Flüssiges Propangas!”

LPG – ebenso wie „Liquified Natural Gas“, LNG – ist ein neuer Hoffnungsträger des Rohstoffmarktes: Die verflüssigten Gase brauchen keine Pipelines, um in ihre Zielmärkte zu gelangen. Häufig von den USA kommend werden sie in riesigen Tankern transportiert, die flexibel jeden geeigneten Hafen anfahren. Diese Spezialschiffe sind eine potente Zielgruppe, die sich der Panamakanal seit seiner Erweiterung im Jahr 2016 neu erschlossen hat. Edvin Miranda:

“LNG- und LPG-Transporte haben zugenommen. Bei uns im Panamakanal ist das jetzt die zweitgrößte Warengruppe. Südkorea, zusammen mit Japan, stand früher an fünfter Stelle unserer größten Kunden. Seit das Land viel LNG importiert, ist es auf Platz vier aufgerückt. Eine Menge Schiffe starten jetzt im Golf von Mexiko und fahren über den Panamakanal in Richtung Südkorea, Japan, Singapur, Taiwan oder China weiter. All das hätten wir Panamesen verpasst, wenn wir uns nicht entschieden hätten, den Kanal zu erweitern.”
Die "Tres Felices" in der Miraflores-Schleuse; im Hintergrund das Containerschiff
Nach der Erweiterung des Panamakanals läuft der Schiffsverkehr sogar über mehrere parallele Schleusen mit unterschiedlichen Niveaus (Jan Thönnessen)

Parallele Schleusen mit unterschiedlichen Hebehöhen

Der LPG-Tanker nimmt Kurs auf die neue Schleusenanlage „Esclusa de Cocoli“, die ein Stück südwestlich von Miraflores liegt. Von der Aussichtsplattform des Besucherzentrums aus ist die Einfahrt nicht zu sehen. Von hier aus ist lediglich der Blick in die Schleusenkammern der alten Miraflores-Anlage frei. Der aber ist imposant.
“Wir sehen, wie das Wasser aus dem Gatun-See in die Schleusenkammer strömt - nur durch Schwerkraft. In den Wänden gibt es ein System aus hunderten Tunneln und Schächten. Um ein Schiff zu heben, braucht es nicht mehr als acht bis zehn Minuten.”

Jetzt gerade hebt es ein Containerschiff aus Südamerika in die Höhe - als der Wasserstand in den Kammern sich angeglichen hat, öffnet sich das schwere Schleusentor, und die „Tres Felices“ gleitet in die zweite Schleusenkammer hinüber.

“Darin erreicht sie den Wasserstand des künstlichen Sees Miraflores: 16 Meter über dem Meeresspiegel. Aber schauen Sie doch in Richtung Westen! In der Cocoli-Schleuse, die parallel zur Fahrrinne der Miraflores-Schleuse verläuft, wird das Schiff gerade um 27 Meter angehoben!”
Tatsächlich: Über dem Miraflores-Gelände schwebt jetzt die Silhouette des riesigen LPG-Tankers. Langsam, aber stetig steigt sie weiter auf. “Sehen Sie? Das Schiff liegt höher als das Schiff in der Miraflores-Schleuse! Bis sie den Gatun-See erreichen, verlaufen beide Fahrrinnen parallel zueinander – Richtung Norden, mit Kurs auf die Karibik.”

Bei jedem Schiffstransit fließt Süßwasser in die Ozeane

Riesige Schiffe, moderne Anlagen, neue Märkte. Doch was nützen all die vielversprechenden Perspektiven, wenn der Klimawandel die Regenfälle unberechenbar macht?
Diese Frage beschäftigt den Ingenieur John Langman, der in der Kanalbehörde den Bereich „Hydraulische Projekte“ stellvertretend leitet. In seinen Aufgabenbereich fällt alles, was mit der Nutzung des Wassers aus den Stauseen Gatun und Alajuela zu tun hat. Seit den Krisenjahren 2015 und 2019 ahnt er die immense Verantwortung dieses Jobs.
“Nach beiden Dürreperioden mussten wir Durchfahrtsbeschränkungen verhängen. Und sie folgten sehr dicht aufeinander. Das war ein Augenöffner für uns.”
Während die Wassermenge sinkt, ist der Verbrauch des Kanals seit seiner Erweiterung erheblich gestiegen. Bei jedem Schiffstransit fließen rund 200 Millionen Liter in die Ozeane ab. Dass der Wasserverbrauch der neuen Anlagen Cocoli und Agua Clara nicht noch viel höher ist, das ist einem speziell entwickelten Sparsystem zu verdanken, das das Wasser mehrfach nutzbar macht: Jede der riesigen Schleusenkammern ist seitlich mit Auffangbecken verbunden. Dadurch fließt das Wasser auf jeder Stufe in das niedriger gelegene Becken, wo es für den nächsten Schleusungsgang zur Verfügung steht.
Aber dennoch: Bei fünf Schleusenanlagen und etwa 35 Schiffspassagen pro Tag kommt da eine immense Menge Süßwasser zusammen, die ständig aus den Stauseen abfließt.

“Die Bevölkerung wächst, und sie wird weiter wachsen, das kommt dazu. Der Trinkwasserbedarf steigt beträchtlich – und das hat Vorrang vor dem Kanalbetrieb. Wir sind gesetzlich verpflichtet, der Bevölkerung hochwertiges Trinkwasser zur Verfügung zu stellen. Es gibt einen steigenden Wettbewerb um eine knappe Ressource.”
Edwin Miranda zeigt ein Victory-Zeichen
Edwin Miranda, Sprecher der Panamakanal-Betreibergesellschaft, ist auf jeden Fall noch optimistisch (Jan Thönnessen)

Wassermanagement-System für Panama heikler als gedacht

Woher also Wasser nehmen, wenn die Pegel der Stauseen wieder einmal unter Betriebsniveau zu sinken drohen? Mit dieser Frage hat sich die Kanalbehörde im September 2020 an die Industrie gewandt. Ziel der internationalen Ausschreibung: Entwicklung und Bau eines robusten Wassermanagementsystems, das ökologisch, sozial und wirtschaftlich vertretbare Schutzmaßnahmen vor Extremwetter bietet, und das dem Kanal wie auch der Bevölkerung für die kommenden 50 Jahre eine ausreichende Wasserversorgung garantiert.
Doch die Aufgabe ist schwierig, so stellte sich schnell heraus: Noch in der Vorphase zog die Kanalbehörde die Ausschreibung wieder zurück. “Wir hatten gehofft, dass Unternehmen ihre eigenen Lösungen entwickeln würden, echte Innovationen! Aber die teilnehmenden Unternehmen hatten wohl das Gefühl, dass wir das Risiko auf sie abwälzen wollten. Wir haben selbst gespürt, dass wir so nicht die effektivste Lösung erhalten würden. Auch wir haben uns damit am Ende nicht mehr wohl gefühlt.”
Jetzt liegt die Aufgabe also wieder auf Langmans Schreibtisch: Derzeit arbeitet sein Team an einer Machbarkeitsstudie, die den Unternehmen in einer neuerlichen Ausschreibung das Grundkonzept für das neue Wassermanagementsystem vorgeben soll. Woher also soll das zusätzliche Wasser kommen? Noch mehr Wasserspeicher bauen? Unterirdische Quellen nutzen? Weitere Seen anzapfen? Flüsse umleiten? Ozeanwasser entsalzen? Ideen gibt es viele – doch bislang zeichnet sich nichts ab, das nicht mit massiven Umwelteingriffen, verringerter Trinkwasserqualität oder schwer finanzierbaren Investitionen verbunden wäre.
Welche Lösung am Ende auch immer gefunden wird – Langman weiß: Es geht um viel. Um die Zukunft einer der wichtigsten Handelsrouten der Welt und um das Wohlergehen seines Landes. “Die meisten Panamesen identifizieren sich mit dem Kanal. Auch wenn nicht alle direkt an ihm verdienen, so gehört er doch zu ihrer nationalen Identität. Und darum hoffen wir, dass wir auch in Zukunft erfolgreich zum Wohlergehen Panamas beitragen können. Das meine ich nicht nur wirtschaftlich. Wir wollen ein gutes Vorbild sein – für etwas, das gut gelungen ist, und auf das man als Panamese stolz sein kann.”
Blick auf Panama City und den Hafen
Panama City ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch bei der Trinkwasserversorgung vom Kanal abhängig (imago/Westend61)

Transportkosten haben sich versiebenfacht

Ob Panama tatsächlich einmal als Vorbild für kluges Wassermanagement in die Technikgeschichte eingehen wird, das muss sich erst noch zeigen. Ein Wortführer im Kampf gegen Treibhausgase in der Schifffahrt ist die kleine Republik heute schon. Bis 2030, kündigt die Kanalbehörde an, soll der Panamakanal klimaneutral werden. Doch reichen gute Klima-Vorsätze aus – jetzt, wo die Erderwärmung ihr Zerstörungswerk bereits begonnen hat? Werden die Lieferketten auch dann noch halten, wenn Extremwetterereignisse sich häufen?
Über diese Frage führt der Züricher Volkswirt Peter regelmäßig Interviews mit Vertretern verschiedener Wirtschaftsbranchen. “Es ist noch nicht bei vielen schon gang und gäbe, dass ich einen Plan B habe, wenn ich einen Bottleneck-Input nicht kriege. Es gibt erste Unternehmen, die sich zusammenschließen, um einander besser aushelfen zu können, wenn es irgendwo mal Knappheiten gibt. Aber insgesamt glaube ich, braucht es da in den nächsten Jahren auf Unternehmensseite noch viel mehr Achtsamkeit auf diese internationalen Verflechtungen.”
Sind Wirtschaft und Handel ausreichend vorbereitet auf Störereignisse, die aus einem außer Kontrolle geratenen Klima kommen? Dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft jedenfalls liegt zu dieser Frage keine Risikoeinschätzung vor. Und von fünf deutschen Wirtschaftsinstituten, die der Deutschlandfunk gefragt hat, kann keines auf eine aktuelle Studie zu diesem Thema verweisen. Doch wenn Lieferketten ausschließlich auf Effektivität und Rentabilität, nicht aber auf Sicherheit auslegt sind, dann reagiert der Weltmarkt empfindlich, weiß Martin Peter. Das lehrt das Corona-Jahr 2021.

“Wenn wir die Daten anschauen, was ein 20-Fuß-Container auf der Strecke China - Nordeuropa Anfang 2020 gekostet hat, war das 1.000 Euro. Die Preise sind unterdessen bei über 7.000 Euro im Herbst 2021. Das heißt, die Transportkosten haben sich versiebenfacht!”

Anpassung auf Klimawandel definitiv notwendig

Wie also könnte die Lösung aussehen – wenn Nadelöhre nicht mehr zuverlässig befahrbar sind, wenn Hafenanlagen und Containerlager immer häufiger überschwemmt werden und auf den Weltmeeren die Orkane toben? Lieferkettensicherheit anstelle von Produktionsauslagerung in Billiglohnländer? Gegenseitige Wirtschaftshilfe anstelle von Schutzmaßnahmen, die nur dem eigenen Land nützen?
Nachhaltige Inlandsproduktion anstelle von Kontinente umspannenden Produktionsketten? Martin Peter kann sich viele Szenarien für die Weltwirtschaft von morgen vorstellen. Doch bei allem ist er sicher: Panamas Suche nach einem nachhaltigen Wassermanagement ist ein Schaufenster in die Zukunft. Für Handeltreibende weltweit ist es an der Zeit, sich auf die Folgen des Klimawandels vorzubereiten.
“Ich finde es wichtig, dass der Fokus immer auch auf den Klimaschutz ist. Aber wir sind nicht mehr in der Null-Welt: Es ist schon was geschehen! Und deshalb ist die Klimaanpassung auch notwendig. Und es ist kein Entweder-Oder, sondern es braucht einfach beides. Anpassung ist gerade beim Schiffsverkehr, und dann aber auch bei den internationalen Eisenbahn- und Straßenverbindungen jetzt anzugehen – klar!”