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Pandemie-Bekämpfung
Was mit der Corona-Warn-App funktioniert - und was nicht

Im Juni ging die Corona-Warn-App an den Start. Nach knapp 150 Tagen und mehreren Pannen hat sich die Benutzung bei vielen eingespielt. 3,3, Millionen Testergebnisse hat die App übermittelt. Doch weitere Updates sind nötig, um die Nutzerinnen noch besser über ihr Ansteckungsrisiko zu informieren.

Von Johannes Kuhn |
Die Corona-Warn-App mit der Seite zur Risiko-Ermittlung ist im Display eines Smartphone vor der Kuppel des Reichstags zu sehen.
40 Prozent aller App-Nutzer verzichten darauf, ihre Kontakte zu warnen, wenn sie ein positives Corona-Ergebnis erhalten haben, sagt das RKI (Michael Kappeler/dpa)
22 Millionen mal wurde die Corona-Warn-App heruntergeladen, 3,3 Millionen Testergebnisse hat sie übermittelt: Die App erfüllt ihren Zweck, sagt die Bundesregierung. Doch mit den steigenden Infektionszahlen wächst auch die Kritik.
"Die Bundesregierung hat im Sommer einfach aufgehört, die Corona-Warn-App weiterzuentwickeln, hat sehr langsam überhaupt neue Ideen angenommen von außen", sagt zum Beispiel der FDP-Politiker Manuel Höferlin, Vorsitzender im Digitalausschuss des Bundestags.
Drastischer formulierte es Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der die Corona-Warn-App einen zahnlosen Tiger nannte. Die Forderungen in der aktuellen Debatte stapeln sich: Weniger Datenschutz, mehr persönliche Informationen für die Gesundheitsämter, vereinzelt wird sogar eine Pflicht zur Installation gefordert.
Corona-Warn-App: zahnloser Tiger oder wichtiges Werkzeug?
Die Corona-Warn-App soll dabei helfen, Infektionsketten zu unterbrechen. Doch seitdem sie im Juni gestartet ist, ist die Debatte um ihre Wirksamkeit in vollem Gang.
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App bleibt freiwillig
"Wir werden am Prinzip der Corona-Warn-App nichts ändern, der Freiwilligkeit und der Nichtnachverfolgbarkeit von Infektionen. Daran wird sich nichts ändern", betont ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Das BMG weist die Kritik ebenso zurück wie die Forderungen, den Datenschutz aufzuweichen.
Man hatte bei der Entwicklung darauf geachtet, dass nur wenige Daten anfallen und die dann auch auf dem Smartphone bleiben. Die Bevölkerung soll der App vertrauen – auch wenn den Gesundheitsämtern dadurch hilfreiche Informationen über das Infektionsgeschehen entgehen.
Eine Download-Verpflichtung der App zum Beispiel wäre aber ohnehin rechtlich gar nicht machbar - und dazu auch leicht zu umgehen, wie Digitalpolitiker Höferlin erklärt: "Ich kann ja das Tracing jederzeit ausschalten, ich könnte die App jederzeit löschen und neu installieren. Und deswegen funktioniert eine Verpflichtung der App praktisch nachher nicht, das ist weiße Salbe."
Anzeige nicht immer verständlich
Fachleute und Fachpolitiker halten die Corona-Warn-App grundsätzlich für sinnvoll, bescheinigen ihr aber viel Luft nach oben. Zum Beispiel bei der Verständlichkeit. So warnt die App Nutzer auch bei Begegnungen mit niedrigem Risiko – also Kontakte zu Covid-Betroffenen, die in großem Abstand oder zu kurz für eine Infektion stattgefunden haben.
Henning Tillmann, Diplominformatiker und Co-Vorsitzender des SPD-nahen Digitalpolitik-Vereins D-64: "Die Anzeige ist eine Nicht-Information, weil: Was fängt man mit dieser Information an? Es wird angezeigt, dass da zwei oder drei Kontakte waren, aber es steht auch gleichzeitig, dass man keine weiteren Maßnahmen einleiten soll. Bis vor einiger Zeit stand eben diese Zusatzinformation, dass man nichts machen soll, noch nicht mal in der App. Das heißt, die Leute wurden mit dieser Information alleine gelassen. Das ist niemals gut."
Manch organisatorische Lücke wurde geschlossen - zum Beispiel die Einbindung der Hausärzte. Gesundheitsminister Jens Spahn: "Das ist seit Mitte Oktober auch klar geregelt, dass nicht nur der Gesundheitsdienst, das Gesundheitsamt, sondern auch die niedergelassenen Ärzte dann testen können. Aber das geht natürlich nur im Rahmen vorhandener Kapazitäten."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Kreuzchen auf Papier für digitale Übermittlung
Was in der aktuellen Infektionslage bedeutet: Keine Symptome, keine Tests. 90 Prozent der Labore sind inzwischen an die App angeschlossen, können also die Testergebnisse direkt digital übermitteln.
Das funktioniert allerdings nicht immer reibungsfrei: Denn wer das Ergebnis per App erhalten möchte, muss nach dem Test erstens einen QR-Code einscannen. Und dann zweitens auch noch ein Datenschutz-Kreuzchen auf Papier machen: also einwilligen, dass das Labor das Ergebnis überhaupt digital verschicken darf. Dieses Kreuzchen fehle manchmal, sagt Andreas Bobrowski, Vorsitzender des Berufsverbandes der Laborärzte:
"Dann ist es einfach so ein Stress, dass manchmal das Kreuz einfach vergessen wird. Oder man scheut die Diskussion mit dem Patienten, weil der dann wieder fragt: ‘Ja, ist das denn alles so sicher?’ Wir hatten ursprünglich vorgeschlagen, aber das ist bisher leider nicht umgesetzt, dass man mit dem Herunterladen der App auf sein Handy quasi eine Erlaubnis erteilt, dass die Ergebnisse, die dann in der Folgezeit erhalten werden, automatisch in die App eingespielt werden. Ich weiß, dass ist vom Datenschutz her etwas fragwürdig."
Im deutschen Datenschutz fragwürdig, wohlgemerkt. Andere europäische Länder holen nämlich gleich beim Download die Einwilligung zur Weitergabe ein.
40 Prozent geben Positiv-Ergebnis nicht ein
Ist die App also zu kompliziert? 40 Prozent aller Nutzer, die ein positives Corona-Ergebnis auf ihre App erhalten haben, verzichten laut RKI darauf, ihre Kontakte zu warnen. Für die Digitalpolitikerin Anke Domscheit-Berg, die für die Linksfraktion im Bundestag sitzt, ist auch das ein Zeichen fehlender Nutzerfreundlichkeit:
"Die Usability ist einfach noch nicht toll. Und dass viele Menschen ein positives Testergebnis nicht selber weiterleiten an den zentralen App-Server, um andere zu warnen, hat vielleicht auch damit zu tun, dass man vier Mal irgendwas klicken muss und da gehen halt unterwegs auch Leute verloren."
Anke Domscheit-Berg
Anke Domscheit-Berg, Abgeordnete der Links-Fraktion im Bundestag (imago stock&people)
Vier Updates geplant
68 Millionen Euro kosten Entwicklung und Betrieb der Corona-Warn-App Schätzungen zufolge. Die Kritik ist offenbar angekommen: Bis Ende des Jahres wollen SAP und Telekom noch vier Updates veröffentlichen.
Im Digitalausschuss des Bundestags kündigten Vertreter des Gesundheitsministeriums bereits Details an. So sollen die Menüs der App einfacher werden. Risikokontakte werden mehrmals am Tag überprüft, nicht nur alle 24 Stunden. Nutzer, die positiv getestet wurden, werden per Erinnerungsfunktion gebeten, das Ergebnis freizugeben und ihre Kontakte zu warnen.
Datum der Risikobegegnung soll kommen
Und mit einem weiteren Update im kommenden Jahr sollen Nutzer zumindest das genaue Datum erfahren, an dem sie eine Risikobegegnung hatten. Anke Domscheit-Berg: "Es soll eine Datumshistorie für alle Risikobegegnungen, für rote mit hohem Risiko und grüne mit kleinerem Risiko, geben. Sodass man selber besser überlegen kann: An dem Tag, wo war ich denn da, da hatte ich zwei Meetings und einmal S-Bahn, kann ich bei den beiden Meetings nachfragen, ‘Wisst Ihr irgendwas bei euch, war da was?’ Und dann kann man ein bisschen besser mit dieser Information umgehen."
Nicht vorgesehen ist bis jetzt, dass die App auch spezielle Infektionsszenarien erfasst. Denn allein die Messung von Abstand und Kontaktdauer lasse noch keinen Rückschluss auf die reale Ansteckungsgefahr der jeweiligen Situation zu. Zum Beispiel bei Veranstaltungen oder in Gaststätten, wo zwar der Mindestabstand eingehalten, aber nicht ausreichend gelüftet werde, so Domscheit-Berg:
"In dem Moment, wo Fenster zu sind, die Leute beim Essen und Trinken die Masken nicht aufhaben, verteilen sich natürlich ungehindert die Aerosole und können auch eingeatmet werden und Infektionen auslösen. Da würde die App im Zweifel gar nichts sagen: Die würde vielleicht sagen ‘niedriges Risiko’, aber mach dir mal keine Sorgen. Aber in Wirklichkeit ist es vielleicht eine Cluster-Situation, bei der sich viele Leute anstecken."
Interaktive Karte mit COVID-19-Statistiken vom Zentrum für Systemwissenschaft und Systemtechnik der Johns Hopkins University in Baltimore
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Umstrittener Warnmechanismus
Henning Tillmann von D-64 schlägt deshalb gemeinsam mit dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach vor, die Risikoberechnung zu erweitern: Die App solle auch scannen, wie viele Geräte um sie herum aktiv sind.
"Diese Erfassung ist anonym, also man zählt einfach nur die Signale, nicht welche Signale oder wem die gehören, sondern einfach nur die Anzahl der Signale. Und dadurch habe ich zu jedem Zeitpunkt eine Information auf dem Gerät liegen, ob ich mich in einer Clustersituation befunden habe."
Eine weitere Alternative wäre das von Schweizer Entwicklern vorgelegte Crowdnotifier-Protokoll: Hier könnten Veranstalter einen QR-Code auslegen, den Besucher einscannen. Zeigt sich im Nachhinein, dass mehrere Besucher das Corona-Virus in sich trugen, werden alle anderen Anwesenden gewarnt. Der Schweizer Epidemiologe Marcel Salathé: "Und dann geht’s eigentlich weiter wie auch sonst beim Contact-Tracing. Dann kann man die entsprechenden Personen informieren, die auch diesen QR-Code gescannt haben und kann dann mit denen das weitere Vorgehen besprechen - Quarantäne, Forward-Tracing und so weiter."
Ein solcher Warnmechanismus wird in Großbritannien bereits angewendet. Würde er auch in Deutschland eingeführt, könnte allerdings ein Szenario eintreten, das die Bundesregierung unbedingt vermeiden möchte: Nämlich, dass es an der Tür heißt: "Corona-Warn-App oder Du kommst hier nicht rein".