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Pandemiesicheres Konzert
Zurück zum Live-Erlebnis

Für kaum eine Branche hatte die Pandemie so negative Auswirkungen wie für die Festivalbranche. Kein Sicherheitskonzept scheint zu greifen. Oder vielleicht doch? In Barcelona haben sich Festival-Veranstalter zusammengetan, um zu testen, wie coronasichere Live-Erlebnisse funktionieren könnten.

Von Julia Macher | 26.03.2021
Back view silhouettes of people with hands up against illuminated with green lights stage during music performance Copyright: xRobertxKohlhuberx
Eindrücke wie aus einer anderen Zeit: Konzertbesucher vor Ausbruch des Corona-Virus (imago images / Addictive Stock)
Das ist spanische Indie-Rock-Band Love of Lesbian. Und das sind deren Fans. Beides soll im Palau Sant Jordi in Barcelona zusammentreffen. Live und in Farbe. Ganz in echt. Ohne Mindestabstand. So wie "früher", als wochenendliche Ekstase mit Tuchfühlung zu Fremden ebenso zum Lebensgefühl gehörte wie heute Hausschuhe zum Home-Office.

Pandemiegerechtes Großkonzert

Na gut, fast wie früher: Tatsächlich wird sich Barcelonas erstes pandemiegerechtes Großkonzert vermutlich eher etwas gedämpfter anhören. Für die 5000 Besucher ist Mund-Nasen-Schutz Pflicht. Die FFP2-Maske ist ebenso im Eintrittspreis enthalten wie der Corona-Schnelltest vor dem Besuch. Am Eingang wird die Körpertemperatur gemessen. Alkohol gibt es vor allem in Form von Hydrogel zum Desinfizieren der Hände. Toiletten, Bars, Zuschauerraum sind in streng getrennte Zonen unterteilt. die Luft wird kontinuierlich ausgetauscht. Und auch Alberto Guijarro, künstlerischer Leiter des Primavera Sound und Mitorganisator, bewirbt das Konzert mit Ausdrücken, die ihm vor der Pandemie wohl kaum über die Lippen gekommen wären:
"Das Ganze ist eine Gesundheitsstudie, quasi der zweite Schritt zu unserem klinischen Versuch im Dezember. Damals haben wir dank Schnelltests eine ansteckungsfreie Blase zusammengestellt. Jetzt werden wir mit den gleichen Auflagen ein kommerzielles Konzert durchführen und nach ein, zwei Wochen die Daten der Besucher mit denen der Gesundheitsbehörde kreuzen und vergleichen."
So soll überprüft werden, ob es unter den Konzertbesuchern mehr Corona-Infektionen als im Rest der Bevölkerung gibt, sich so also möglicherweise jemand trotz aller Vorsichtsmaßnahmen angesteckt hat. Beim Pilotprojekt im Dezember, einem Konzert in der Sala Apolo, hatte sich kein einziger der 500 Teilnehmer infiziert. Bei der Vergleichsgruppe, die damals draußen bleiben musste, gab es zwei Positivfälle. Den Arzt und Infektiologen Boris Revollo, der das Projekt wissenschaftlich begleitet, stimmt das optimistisch.
"Wenn alle Maßnahmen befolgt werden, dann ist das Konzert – auf Grundlage der Studie vom Dezember - sicher und wir werden mit einer 95-Prozentigen Wahrscheinlichkeit die gleichen Ergebnisse haben."
Der Schlüssel zum Erfolg seien die Schnelltests. Sie erkennen zuverlässig, wer andere gefährden kann.
"Wir wollen beweisen, dass solche Events eben keine Superspreader-Events sind. Natürlich sind Schnelltests nicht so sensibel wie PCR-Tests, aber es ist ein Unterschied, ob jemand bloß infiziert ist oder ob jemand auch ansteckend ist. Bei der Studie im Apollo hatten wir 20 Besucher mit positiven – der PCR-Probe vergleichbaren - TMA-Tests. In ein Flugzeug hätten sich nicht gedurft. Aber bei allen war die Viruslast nachweislich so gering, dass sie gar niemanden hätten anstecken können."

Gefährliches Superspreader-Image

Tatsächlich klebt das Superspreader-Image an der Konzert- und Partybranche wie einst das Bier auf dem Linoleum-Boden. Allen Protesten zum Trotz: Als im Sommer in Spanien die Infiziertenzahlen wieder in die Höhe schossen, gehörten Großevents mit Live-Musik zum ersten, was wieder auf der Verbotsliste landete. Eine Milliarde Euro Verluste hat die Branche im letzten Jahr gemacht, Hunderte Festivals wurden abgesagt. Kein Wunder, dass man jetzt gebannt nach Barcelona blickt, sagt Guijarro. Sein Festival hat den Löwenanteil des Pilotprojekts bezahlt, allein der erste Teil kostete 470 000 Euro.
"Wir hatten Nachfragen von Festivalveranstaltern und Gesundheitsbehörden aus aller Welt, aus Belgien, Frankreich, Dänemark. Wir haben alle Informationen geteilt, weil wir natürlich wollen, dass diese Idee sich ausbreitet, ähnliche Protokolle in anderen Kontexten ausprobiert werden: Je mehr, desto besser."
Denn desto schneller könne man "back to live", zurück zum Live-Erlebnis. Bleibt auch das Großkonzert im Palau Sant Jordi ansteckungsfrei, sollen zumindest in Barcelona und Katalonien unter ähnlichen Auflagen weitere Großveranstaltungen möglich sein. Eine gute Nachricht, doch für Guijarro hat sie einen bitteren Beigeschmack.
"Eigentlich hatten wir gehofft, dass wir so vielleicht doch noch ein Festival in diesem Sommer veranstalten können. Aber das funktioniert einfach nicht: Wir hängen nicht nur von der Kapazität für täglich 70 000 Schnelltests ab, sondern auch von Flügen, von den Tourplänen internationaler Künstler. Aber vielleicht können zumindest die kleineren Festivals von der Studie profitieren."
Die Lust aufs Live-Erlebnis zumindest ist so groß wie nie. Die 5000 Tickets waren in wenigen Stunden ausverkauft.