Eben noch war ein Reiter im Staub vorbeigeprescht. Zwei mal zwei Pferde hatte er vorne zusammengespannt, auf dem fünften dahinter führte er die Zügel - im Stehen. Es flatterte der blaue Faltenrock, fest saß der schwarze Hut auf dem Kopf, gekonnt federte der Mann in den Knien auf dem wippenden Rücken.
Anderswo, ja, da ginge jetzt die Puszta-Post ab. Da vibrierte die Luft von rauhen Schreien, Reiter würden sich im Galopp Tücher abjagen und Umhänge von der Schulter glutäugiger Schöner peitschen. Anderswo, rund um Budapest etwa, wäre dies ein lautes, wirbliges Touristenspektakel, das mit der Lebenswirklichkeit der Hirten, für die es angeblich steht, freilich nicht mehr viel zu tun hat.
Nicht so hier. Denn diese Männer sind Profis, sagt János Világosi, vom Hortobágy Nationalpark. Sie sind das Original:
"Diese Leute sind Hirten. Die sind nicht Schauspieler, die ihr Programm zeigen, neben der Hirtenarbeit zeigen sie auch diese alten traditionellen Sachen. Man kann sagen, die Hortobagy ist eine interessante Stelle, weil hier ist diese Hirtenkultur erhalten geblieben und lebt wie vor 100 Jahren, vor 200 Jahren. Und als sie am obersten Rang sind, dürfen sie Kranichfeder am Hut haben."
Der hier die Kranichfeder am Hut hat, heißt Attila Szabo, ein junger Mann von Mitte zwanzig mit blauen Augen und unbewegtem, bronzenem Gesicht. Gibt es eigentlich eine spezielle Ausbildung für diese artistische Art der Reiterei und Dressur?
"Attila - Ja, das haben die älteren Hirten ihnen gezeigt. Viele sind von Hirtenfamilien, ihre Vater sind auch von Hirtenfamilien, und sie haben das ihnen gezeigt."
"Und tagsüber sind sie draußen, oder was machen sie? In der Sommerzeit sind sie sehr früh draußen, bis zehn, zwölf Uhr. Dann haben sie Mittagspause mit den Tieren, um drei am Nachmittag, bis zehn am Abend kommen sie dann zurück."
Neun Hirten arbeiten auf dem Gut des Nationalparks, und kümmern sich um 250 bis 300 Zuchtpferde:
"Attila - Seine Familie ist immer mit Pferden gehandelt, auch sich beschäftigt, so er ist auch sehr für die Pferde interessiert, seine Lieblingssache."
Während der Saison von Abril bis Oktober sind sie tagtäglich auch als Show-Reiter im Einsatz. Oft vor über 200 Touristen, bis zu vier Mal am Tag:
"Aber sie wechseln einander. Einer ist immer bei den Pferden. Sie sind neun Leute und sie wechseln sich so, dass einer ist immer mit der Herde."
"Mögen sie das - diese Kunststücke vorzuführen? Ja, er mag das, ja"
Die Puszta - das Wort steht im Westen für Ziehbrunnen, Gulaschkessel und Zigeunerfidel. In Wirklichkeit ist sie ein Fleckenteppich aus weiten versalzenen Grassteppen und Sumpfwiesen, aus Gestrüpp, verlandenden Wasserflächen und toten Flussarmen. Mit Ziehbrunnen, durchaus.
Wer verstehen will, wie diese Landschaft wurde, was sie ist, kommt um einen Ausflug in die Geschichte nicht herum.
Jahrhundertelang wurde die ungarische Tiefebene von den Hochwassern der Theiß überschwemmt. Alljährlich bildeten sich frische Wasserpriele, wo sich kürzlich noch Grasland erstreckte, schwappte plötzlich ein Sumpf, jedes Jahr entstand die Landkarte neu. An Ackerbau war nicht zu denken, auch nicht an feste Ställe und Milchwirtschaft. Die Menschen, die das Gebiet besiedelten, wandten sich der Viehzucht zu. Mit ihren Herden zogen sie von Weide zu Weide. Rückten Feinde an, trieben sie die Rinder in die Sümpfe, wo sie allein die Pfade kannten. Als nach der Entdeckung Amerikas in Mitteleuropa der Aufschwung und damit der große Appetit auf Fleisch einsetzte, waren sie es, die ihn befriedigten. Bis nach Venedig, Wien und Nürnberg verbrachten sie ihre Tiere. Gewaltige Herden waren da unterwegs:
"Ja, es waren große Herden (...), Ochsenherden ca. 200 Tiere, und diese wurden durch fünf, sechs Hajduken, bewaffnete Hirten getrieben, und sie waren wochenlang unterwegs. Sie haben ca. 40, 50 km pro Tag gemacht, es waren große sog. Weidewege, wo die Herden sich bewegten, unterwegs waren auch Csardas, (...) diese Csardas waren so Schenken, für ein Bauernschenke auf dem Lande es war sehr wichtig, (...) Essen zu bieten, Unterkunft und auch Weideland für die Tiere, das war nötig für eine Csarda, für so ein Restaurant."
"Und da hat sich dann wahrscheinlich auch die berühmte Reiterei daraus entwickelt, weil sie ja dauernd zu Pferde unterwegs waren? - Jajajaja. Sie waren bewaffnete Reiter, und später in der ungarischen Sprache Soldat und Hajduk ist das gleiche Wort. Da haben sie auch die Soldaten als Hajduk bezeichnet. Und noch interessant, dass in Ungarn das Wort Vermögen ist gleich wie Vieh."
Auch einige der Csardas gibt es noch. Dort blüht das, was der Tourist gemeinhin unter Puszta-Romantik versteht. Und oft wird auch noch so gekocht wie damals:
"Heute essen wir in der bekannten H.-Csarda, einige Hirtenspezialitäten. Die Hirten waren in der Weidesaison draußen mit der Herde, und sie haben dort ihr eigenes Essen bereitet, was sie mit ihnen tragen könnten: Z.B. Teig, Kartoffeln, Zwiebel, Paprika. Und ein Essen, was wir heute haben, heißt Slambuz, das ist ein Teiggericht, das heißt, Speck wird im Kessel geröstet, später wird Kartoffel daraufgelegt, Teig und Wasser (...) dann alles Wasser vedunstet, und das wird langsam im Kessel geröstet."
Routiniert bearbeiten die drei älteren Herrn Geige, Bass und klöppelklavier. Schon seit zehn Jahren treten János Vonga und seine Kollegen hier zusammen auf:
"Vargo - Sie haben nur einen Tag frei, sechs Abende die Woche. Wie viele Auftritte können das sein am Tag? - Vargo - Das heißt, so acht Stunden - acht Stunden Musik durch - und sie haben pro Stunde 15 Minuten Pause."
Natürlich bekommen spanische Gäste "Granada" zu hören, und die Iren ihren "Danny boy". Natürlich kennen die drei fast jeden Hörerwunsch und freuen sich, wenn jemand einen Schein unter die Saiten steckt. Aber - geht es ihnen nicht manchmal auf den Nerv, immer das Gleiche zu spielen?
"Sie mögen das: andere Leute, andere Gäste, das macht den Wechsel. Sie haben ein festes Repertoire, aber wenn die Leute noch dazu fragen und sie das nicht kennen, dann lernen sie noch dazu. Sie sind bereit für jede Nationalität, jede Tourist was Heimisches zu bieten"
"Wie lange geht das noch? Vom Alter her? - Er meint das von den Personen her. Einige müssen früher aufgeben, weil sie nicht mehr das so gut spielen kann, andre können bis ins alte Alter spielen, so lange sie gut spielen, können sie das."
Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zum Umbruch in der Puszta. Landhunger brach in Ungarn aus. Steppe? Unnützes Brachland! Felder, Äcker, Wälder galt es zu schaffen. Binnen fünfzig Jahren wurden 4000 km Deich aufgeschaufelt und zwei Millionen ha. Land entwässert.
"Sodann hat man dort auf den Feuchtgebieten Fischteiche gestaltet, hat man Reisfelder dort geschafft, hat man die Weideland bewässert - (...) aber seine große Naturwert, den die Puszta ist, haben schon in (...) 1967 ausländische Wissenschaftler, z.B. Konrad Lorenz, einen Aufruf gemacht, der ungarische Staat soll die Puszta für die Zukunft erhalten. Sechs Jahre später haben sie NP H.P. gegründet, auf 50 000 ha., inzwischen dieser Nationalpark ist auf 80 000 ha. gewachsen."
Der Nationalpark Hortobàgy ist der älteste und auch der größte des Landes und seit 1999 Unesco-Weltkulturerbe. Viele Ziele hat man mit ihm verbunden: Nicht nur die Landschaft soll er bewahren, sondern auch die alte Hirtenkultur. Der Schutz von Vogelbiotopen gehört dazu - 340 aller 500 Vogelarten, die in Europa vorkommen, wurden in der Puszta gesichtet. Ebenso gilt es, ökotouristische Angebote zu schaffen und alte Haustierrassen nachzuzüchten.
Denn diese Landschaft erhält sich nicht, indem man sie sich selbst überlässt. Zackelschafe mit schön gedrechselten geraden Hörnern werden nur dazu gehalten, das Land abzuweiden und Ölweide und Robinie kurz zu halten. Wasserbüffel, vor vielen Jahrhunderten aus Asien eingeführt, pflügen die Sümpfe frei.
Eine neue Zukunft haben in der Puszta auch die berühmten Przewalski-Pferde gefunden, die letzte der drei Urpferderassen auf der Welt.
István Sándor, der Direktor des Nationalparks, begleitet seine Gäste im Jeep hinaus zu den weiß-grauen Gäulen, die in kleinen Gruppen auf der weiten Grassteppe herumstehen oder im Staub baden.
"Hortobagy ist biogeographisch eine Steppe in der Mitte von Karpatenbecken, der westlichste Punkt, wo diese natürliche Steppe vorkommt in Europa. Dazu gehört damals Großsäugetiere. Grasfresser wie Wildpferde, Auerochesen und so weiter. (Die sind heute schon ausgestorben, aus Ungarn und natürlich aus Europa,) Auerochs lebt nicht mehr, aber in der Mitte von Asien haben einige Exemplare überlebt die 20. Jh. von diese Wildpferde. Das war ein russischer Offizier, Nicolai Prezwalski, der diese Wildtiere entdeckte damals, und am Anfang vom 20. Jh. ein paar von diese Exemplare gefangen in Mongolei, in ungarische Gobi und weitergezüchtet in verschiedene Zoos in Europa. In der 2. Hälfte von 20. Jh. Wildpferde in freier Wildbahn ausgestorben sind, nur diese Exemplare in Zoos überlebte."
1997 stellte der Kölner Zoo 21 nachgezüchtete Pferde zur Verfügung. Heute zieht die mit 74 Tieren größte "frei" lebende Herde durch das 20 qkm große Gelände, das von einem Elektrozaun umgrenzt ist.
"Diese Pferde sind vom Aussehen her 100pro ähnlich wie die Höhlenzeichungen z.B. in Lasco, Nio, Altamira usw., in Westeuropa. Das bedeutet: Damals vor 3000 Jahre von Atlantikküste bis zur Innenmongolei diese Wildpferdeart weit verbreitet war."
Außer in sehr strengen Wintern bekommen die Pferde nichts Zusätzliches zu fressen und zu trinken. Sie leben fast genauso wie Wildtiere.
"Die haben ein sehr interessantes Verhältnis für Menschen, das ist so genannte neutrale Verhalten: Sie haben keine Angst von uns, aber sie wollen nicht zu uns kommen, sie einfach tolerieren, dass wir hier sind und Schluss. Können wir hier natürlich noch ein bisschen näher gehen, aber wir können die Tiere nicht streicheln, die genehmigen das nicht, gehen langsam weiter."
Viola Kerekes ist die Wissenschaftlerin, die das Projekt betreut. Sie ist jeden Tag in der Steppe, sieht nach, ob Stuten ihre Gruppe gewechselt haben, ob es Geburten gab, Kämpfe zwischen Hengsten... Und natürlich erkennt sie jedes ihrer 76 Pferde ganz genau und weiß sie namentlich zu unterscheiden:
Auch die alten Haustierrassen spielen mittlerweile wieder eine wichtige Rolle:
"1960, 1970 man dachte, diese alten Haustierrassen werden wir nie mehr benutzen, weil wir haben neue Rassen, neue Hybriden ausgezüchtet, damit werden wir alle Probleme lösen. Aber doch interessanterweise brauchen wir wieder unsere alten Rassen, z.B. das ungarische Graurind. Einmal pflegt die Puszta, dort wachsen sie und werden sie momentan sehr gut gesucht als Biofleisch, hat man über diese Skandale BSE gehört, und seitdem können wir so viele Rinder verkaufen, wie viel wir möchten."
4000 von ihnen ziehen derzeit über die Steppe - große, schöne Tiere sind es, die sich im Lauf ihrer Entwicklung gut an die Hitze der Puszta angepasst haben. Das grauweiße Fell reflektiert die Sonne, schwarze Augenringe mildern die Einwirkung der Strahlen. Weit geschwungen sind ihre imposanten Hörner. Die Hirten unterscheiden bis zu zwanzig Arten davon mit Namen - je nach Größe, Biegung, Stärke und Abstand.
Aus dem Gebüsch kommen Mangaliza- oder Wollschweine geflitzt, zufrieden grunzend, schwarzglänzend vor Schlamm, manche mit wollig gekräuseltem Fell. Auch eine gute Einnahmquelle, mittlerweile.
"In der Zwischenzeit sind wir in EU. In Spanien, wie man weiß, sehr viel Trockenschinken wird produziert (...). Inzwischen haben sie (...) sinkende Schweinepopulation. Und sie haben gesucht ähnliche Schweinerasse in Europa wie ihre eigenen iberischen Schweine und haben gefunden, dass das ungarische Mangaliza, das ungarische Wollschwein ist eine ähnliche Rasse, hat ähnliche Zusammensetzung mit Fleisch und Fettanteil im Fleisch, so momentan sind hier riesige Herden von Schweinen und sie werden jetzt nach Spanien exportiert (...), und dort werden Trockenschinken von ungarischen Wollschweinen produziert - in Spanien heißt das Pata negra, schwarze Klauen."
Grund genug, das köstliche Fleisch auch selbst zu probieren, findet Bernadette Gyuricza, unsere Übersetzerin, die dafür sorgt, dass wir im Dschungel der ungarischen Sprache nicht ganz verloren gehen.
"Zuerst haben wir jetzt eine Salamiplatte typisch ungarischer Art. Da gibts Salami darauf von Wollschweinen (..) mit wunderschönem Fleisch, die gar keine Cholesterinprobleme verursachen kann, ist auch natürlich heftig mit Paprika gemacht, deshalb hat sie auch so eine tolle Farbe.. Wir haben auch Speck, die auch sehr gesund ist, man kann damit übrigens auch sehr gut kochen. Die ungarische Küche verwendet es oft anstatt Öl, und wir haben dann natürlich Paprika, Gurken, Zwiebel dazu. Das isst man mit weißem Brot als Vorspeise. Und danach haben wir Pörkölt, das ist in Deutschland sehr gut bekannt, aber unter dem Namen Gulasch. Pörkölt ist Fleischstücke, meist aus Rindern gemacht, aber diesmal essen wir aus Mangaliza- oder Wollschweinfleisch, weil wir gesund Schweinefleisch esen möchten. Das ist eine dicke Soße, wieder mal mit Rotwein, mit Paprika, und in Kesseln gekocht. Was ziemlich lange dauert, bis das Fleisch zart wird. Das kann bei Rindern zwei, drei Stunden in Anspruch nehmen."
Paprika, Puszta, schluchzende Geigen - so ganz kommt Ungarn ohne seine Klischees nicht aus.
"Was ich vorschlagen kann, ist immer wieder, hinter die Klischees zu gucken. Es ist mal schön, wenn über einem Land jemandem etwas einfällt. Da hat man nämlich schon eine Art Bezug zu einem Land, und deswegen kann man sich eigentlich darüber auch freuen. Und wenn die Gäste schon mal wegen Klischees kommen, haben sie auch die Möglichkeit, ein bisschen das Land kennenzulernen und mehr darüber zu erfahren, also hinter die Klischees zu gucken."
Worin aber könnte die Zukunft der Region bestehen? Wovon lebt die Puszta in den kommenden Jahren?
"Biowirtschaft wird eine sehr wichtige Wirtschaft in der Puszta sein. Aber daneben Ökotourismus ist eine wichtige Zukunft. Früher kamen die Touristen weil sie haben damals einen Film "Ich denke oft Piroschka" gesehen, und damit hatten sie mit der P. romantische Vorstellungen. Aber das ändert sich. Momentan kommen eher Touristen in die P., die die Vogelwelt, sehen möchten oder aktiv ihre Freizeit verbringen möchten. z.B. Radfahrer, Wanderer, Botaniker, solche Leute die eher ihr Wissen über die Natur, die Puszta ein bisschen vermehren möchten."
Aber so ein bisschen Steppenromantik - so ein bisschen Teufelsgeige darf auch weiterhin sein.
Anderswo, ja, da ginge jetzt die Puszta-Post ab. Da vibrierte die Luft von rauhen Schreien, Reiter würden sich im Galopp Tücher abjagen und Umhänge von der Schulter glutäugiger Schöner peitschen. Anderswo, rund um Budapest etwa, wäre dies ein lautes, wirbliges Touristenspektakel, das mit der Lebenswirklichkeit der Hirten, für die es angeblich steht, freilich nicht mehr viel zu tun hat.
Nicht so hier. Denn diese Männer sind Profis, sagt János Világosi, vom Hortobágy Nationalpark. Sie sind das Original:
"Diese Leute sind Hirten. Die sind nicht Schauspieler, die ihr Programm zeigen, neben der Hirtenarbeit zeigen sie auch diese alten traditionellen Sachen. Man kann sagen, die Hortobagy ist eine interessante Stelle, weil hier ist diese Hirtenkultur erhalten geblieben und lebt wie vor 100 Jahren, vor 200 Jahren. Und als sie am obersten Rang sind, dürfen sie Kranichfeder am Hut haben."
Der hier die Kranichfeder am Hut hat, heißt Attila Szabo, ein junger Mann von Mitte zwanzig mit blauen Augen und unbewegtem, bronzenem Gesicht. Gibt es eigentlich eine spezielle Ausbildung für diese artistische Art der Reiterei und Dressur?
"Attila - Ja, das haben die älteren Hirten ihnen gezeigt. Viele sind von Hirtenfamilien, ihre Vater sind auch von Hirtenfamilien, und sie haben das ihnen gezeigt."
"Und tagsüber sind sie draußen, oder was machen sie? In der Sommerzeit sind sie sehr früh draußen, bis zehn, zwölf Uhr. Dann haben sie Mittagspause mit den Tieren, um drei am Nachmittag, bis zehn am Abend kommen sie dann zurück."
Neun Hirten arbeiten auf dem Gut des Nationalparks, und kümmern sich um 250 bis 300 Zuchtpferde:
"Attila - Seine Familie ist immer mit Pferden gehandelt, auch sich beschäftigt, so er ist auch sehr für die Pferde interessiert, seine Lieblingssache."
Während der Saison von Abril bis Oktober sind sie tagtäglich auch als Show-Reiter im Einsatz. Oft vor über 200 Touristen, bis zu vier Mal am Tag:
"Aber sie wechseln einander. Einer ist immer bei den Pferden. Sie sind neun Leute und sie wechseln sich so, dass einer ist immer mit der Herde."
"Mögen sie das - diese Kunststücke vorzuführen? Ja, er mag das, ja"
Die Puszta - das Wort steht im Westen für Ziehbrunnen, Gulaschkessel und Zigeunerfidel. In Wirklichkeit ist sie ein Fleckenteppich aus weiten versalzenen Grassteppen und Sumpfwiesen, aus Gestrüpp, verlandenden Wasserflächen und toten Flussarmen. Mit Ziehbrunnen, durchaus.
Wer verstehen will, wie diese Landschaft wurde, was sie ist, kommt um einen Ausflug in die Geschichte nicht herum.
Jahrhundertelang wurde die ungarische Tiefebene von den Hochwassern der Theiß überschwemmt. Alljährlich bildeten sich frische Wasserpriele, wo sich kürzlich noch Grasland erstreckte, schwappte plötzlich ein Sumpf, jedes Jahr entstand die Landkarte neu. An Ackerbau war nicht zu denken, auch nicht an feste Ställe und Milchwirtschaft. Die Menschen, die das Gebiet besiedelten, wandten sich der Viehzucht zu. Mit ihren Herden zogen sie von Weide zu Weide. Rückten Feinde an, trieben sie die Rinder in die Sümpfe, wo sie allein die Pfade kannten. Als nach der Entdeckung Amerikas in Mitteleuropa der Aufschwung und damit der große Appetit auf Fleisch einsetzte, waren sie es, die ihn befriedigten. Bis nach Venedig, Wien und Nürnberg verbrachten sie ihre Tiere. Gewaltige Herden waren da unterwegs:
"Ja, es waren große Herden (...), Ochsenherden ca. 200 Tiere, und diese wurden durch fünf, sechs Hajduken, bewaffnete Hirten getrieben, und sie waren wochenlang unterwegs. Sie haben ca. 40, 50 km pro Tag gemacht, es waren große sog. Weidewege, wo die Herden sich bewegten, unterwegs waren auch Csardas, (...) diese Csardas waren so Schenken, für ein Bauernschenke auf dem Lande es war sehr wichtig, (...) Essen zu bieten, Unterkunft und auch Weideland für die Tiere, das war nötig für eine Csarda, für so ein Restaurant."
"Und da hat sich dann wahrscheinlich auch die berühmte Reiterei daraus entwickelt, weil sie ja dauernd zu Pferde unterwegs waren? - Jajajaja. Sie waren bewaffnete Reiter, und später in der ungarischen Sprache Soldat und Hajduk ist das gleiche Wort. Da haben sie auch die Soldaten als Hajduk bezeichnet. Und noch interessant, dass in Ungarn das Wort Vermögen ist gleich wie Vieh."
Auch einige der Csardas gibt es noch. Dort blüht das, was der Tourist gemeinhin unter Puszta-Romantik versteht. Und oft wird auch noch so gekocht wie damals:
"Heute essen wir in der bekannten H.-Csarda, einige Hirtenspezialitäten. Die Hirten waren in der Weidesaison draußen mit der Herde, und sie haben dort ihr eigenes Essen bereitet, was sie mit ihnen tragen könnten: Z.B. Teig, Kartoffeln, Zwiebel, Paprika. Und ein Essen, was wir heute haben, heißt Slambuz, das ist ein Teiggericht, das heißt, Speck wird im Kessel geröstet, später wird Kartoffel daraufgelegt, Teig und Wasser (...) dann alles Wasser vedunstet, und das wird langsam im Kessel geröstet."
Routiniert bearbeiten die drei älteren Herrn Geige, Bass und klöppelklavier. Schon seit zehn Jahren treten János Vonga und seine Kollegen hier zusammen auf:
"Vargo - Sie haben nur einen Tag frei, sechs Abende die Woche. Wie viele Auftritte können das sein am Tag? - Vargo - Das heißt, so acht Stunden - acht Stunden Musik durch - und sie haben pro Stunde 15 Minuten Pause."
Natürlich bekommen spanische Gäste "Granada" zu hören, und die Iren ihren "Danny boy". Natürlich kennen die drei fast jeden Hörerwunsch und freuen sich, wenn jemand einen Schein unter die Saiten steckt. Aber - geht es ihnen nicht manchmal auf den Nerv, immer das Gleiche zu spielen?
"Sie mögen das: andere Leute, andere Gäste, das macht den Wechsel. Sie haben ein festes Repertoire, aber wenn die Leute noch dazu fragen und sie das nicht kennen, dann lernen sie noch dazu. Sie sind bereit für jede Nationalität, jede Tourist was Heimisches zu bieten"
"Wie lange geht das noch? Vom Alter her? - Er meint das von den Personen her. Einige müssen früher aufgeben, weil sie nicht mehr das so gut spielen kann, andre können bis ins alte Alter spielen, so lange sie gut spielen, können sie das."
Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zum Umbruch in der Puszta. Landhunger brach in Ungarn aus. Steppe? Unnützes Brachland! Felder, Äcker, Wälder galt es zu schaffen. Binnen fünfzig Jahren wurden 4000 km Deich aufgeschaufelt und zwei Millionen ha. Land entwässert.
"Sodann hat man dort auf den Feuchtgebieten Fischteiche gestaltet, hat man Reisfelder dort geschafft, hat man die Weideland bewässert - (...) aber seine große Naturwert, den die Puszta ist, haben schon in (...) 1967 ausländische Wissenschaftler, z.B. Konrad Lorenz, einen Aufruf gemacht, der ungarische Staat soll die Puszta für die Zukunft erhalten. Sechs Jahre später haben sie NP H.P. gegründet, auf 50 000 ha., inzwischen dieser Nationalpark ist auf 80 000 ha. gewachsen."
Der Nationalpark Hortobàgy ist der älteste und auch der größte des Landes und seit 1999 Unesco-Weltkulturerbe. Viele Ziele hat man mit ihm verbunden: Nicht nur die Landschaft soll er bewahren, sondern auch die alte Hirtenkultur. Der Schutz von Vogelbiotopen gehört dazu - 340 aller 500 Vogelarten, die in Europa vorkommen, wurden in der Puszta gesichtet. Ebenso gilt es, ökotouristische Angebote zu schaffen und alte Haustierrassen nachzuzüchten.
Denn diese Landschaft erhält sich nicht, indem man sie sich selbst überlässt. Zackelschafe mit schön gedrechselten geraden Hörnern werden nur dazu gehalten, das Land abzuweiden und Ölweide und Robinie kurz zu halten. Wasserbüffel, vor vielen Jahrhunderten aus Asien eingeführt, pflügen die Sümpfe frei.
Eine neue Zukunft haben in der Puszta auch die berühmten Przewalski-Pferde gefunden, die letzte der drei Urpferderassen auf der Welt.
István Sándor, der Direktor des Nationalparks, begleitet seine Gäste im Jeep hinaus zu den weiß-grauen Gäulen, die in kleinen Gruppen auf der weiten Grassteppe herumstehen oder im Staub baden.
"Hortobagy ist biogeographisch eine Steppe in der Mitte von Karpatenbecken, der westlichste Punkt, wo diese natürliche Steppe vorkommt in Europa. Dazu gehört damals Großsäugetiere. Grasfresser wie Wildpferde, Auerochesen und so weiter. (Die sind heute schon ausgestorben, aus Ungarn und natürlich aus Europa,) Auerochs lebt nicht mehr, aber in der Mitte von Asien haben einige Exemplare überlebt die 20. Jh. von diese Wildpferde. Das war ein russischer Offizier, Nicolai Prezwalski, der diese Wildtiere entdeckte damals, und am Anfang vom 20. Jh. ein paar von diese Exemplare gefangen in Mongolei, in ungarische Gobi und weitergezüchtet in verschiedene Zoos in Europa. In der 2. Hälfte von 20. Jh. Wildpferde in freier Wildbahn ausgestorben sind, nur diese Exemplare in Zoos überlebte."
1997 stellte der Kölner Zoo 21 nachgezüchtete Pferde zur Verfügung. Heute zieht die mit 74 Tieren größte "frei" lebende Herde durch das 20 qkm große Gelände, das von einem Elektrozaun umgrenzt ist.
"Diese Pferde sind vom Aussehen her 100pro ähnlich wie die Höhlenzeichungen z.B. in Lasco, Nio, Altamira usw., in Westeuropa. Das bedeutet: Damals vor 3000 Jahre von Atlantikküste bis zur Innenmongolei diese Wildpferdeart weit verbreitet war."
Außer in sehr strengen Wintern bekommen die Pferde nichts Zusätzliches zu fressen und zu trinken. Sie leben fast genauso wie Wildtiere.
"Die haben ein sehr interessantes Verhältnis für Menschen, das ist so genannte neutrale Verhalten: Sie haben keine Angst von uns, aber sie wollen nicht zu uns kommen, sie einfach tolerieren, dass wir hier sind und Schluss. Können wir hier natürlich noch ein bisschen näher gehen, aber wir können die Tiere nicht streicheln, die genehmigen das nicht, gehen langsam weiter."
Viola Kerekes ist die Wissenschaftlerin, die das Projekt betreut. Sie ist jeden Tag in der Steppe, sieht nach, ob Stuten ihre Gruppe gewechselt haben, ob es Geburten gab, Kämpfe zwischen Hengsten... Und natürlich erkennt sie jedes ihrer 76 Pferde ganz genau und weiß sie namentlich zu unterscheiden:
Auch die alten Haustierrassen spielen mittlerweile wieder eine wichtige Rolle:
"1960, 1970 man dachte, diese alten Haustierrassen werden wir nie mehr benutzen, weil wir haben neue Rassen, neue Hybriden ausgezüchtet, damit werden wir alle Probleme lösen. Aber doch interessanterweise brauchen wir wieder unsere alten Rassen, z.B. das ungarische Graurind. Einmal pflegt die Puszta, dort wachsen sie und werden sie momentan sehr gut gesucht als Biofleisch, hat man über diese Skandale BSE gehört, und seitdem können wir so viele Rinder verkaufen, wie viel wir möchten."
4000 von ihnen ziehen derzeit über die Steppe - große, schöne Tiere sind es, die sich im Lauf ihrer Entwicklung gut an die Hitze der Puszta angepasst haben. Das grauweiße Fell reflektiert die Sonne, schwarze Augenringe mildern die Einwirkung der Strahlen. Weit geschwungen sind ihre imposanten Hörner. Die Hirten unterscheiden bis zu zwanzig Arten davon mit Namen - je nach Größe, Biegung, Stärke und Abstand.
Aus dem Gebüsch kommen Mangaliza- oder Wollschweine geflitzt, zufrieden grunzend, schwarzglänzend vor Schlamm, manche mit wollig gekräuseltem Fell. Auch eine gute Einnahmquelle, mittlerweile.
"In der Zwischenzeit sind wir in EU. In Spanien, wie man weiß, sehr viel Trockenschinken wird produziert (...). Inzwischen haben sie (...) sinkende Schweinepopulation. Und sie haben gesucht ähnliche Schweinerasse in Europa wie ihre eigenen iberischen Schweine und haben gefunden, dass das ungarische Mangaliza, das ungarische Wollschwein ist eine ähnliche Rasse, hat ähnliche Zusammensetzung mit Fleisch und Fettanteil im Fleisch, so momentan sind hier riesige Herden von Schweinen und sie werden jetzt nach Spanien exportiert (...), und dort werden Trockenschinken von ungarischen Wollschweinen produziert - in Spanien heißt das Pata negra, schwarze Klauen."
Grund genug, das köstliche Fleisch auch selbst zu probieren, findet Bernadette Gyuricza, unsere Übersetzerin, die dafür sorgt, dass wir im Dschungel der ungarischen Sprache nicht ganz verloren gehen.
"Zuerst haben wir jetzt eine Salamiplatte typisch ungarischer Art. Da gibts Salami darauf von Wollschweinen (..) mit wunderschönem Fleisch, die gar keine Cholesterinprobleme verursachen kann, ist auch natürlich heftig mit Paprika gemacht, deshalb hat sie auch so eine tolle Farbe.. Wir haben auch Speck, die auch sehr gesund ist, man kann damit übrigens auch sehr gut kochen. Die ungarische Küche verwendet es oft anstatt Öl, und wir haben dann natürlich Paprika, Gurken, Zwiebel dazu. Das isst man mit weißem Brot als Vorspeise. Und danach haben wir Pörkölt, das ist in Deutschland sehr gut bekannt, aber unter dem Namen Gulasch. Pörkölt ist Fleischstücke, meist aus Rindern gemacht, aber diesmal essen wir aus Mangaliza- oder Wollschweinfleisch, weil wir gesund Schweinefleisch esen möchten. Das ist eine dicke Soße, wieder mal mit Rotwein, mit Paprika, und in Kesseln gekocht. Was ziemlich lange dauert, bis das Fleisch zart wird. Das kann bei Rindern zwei, drei Stunden in Anspruch nehmen."
Paprika, Puszta, schluchzende Geigen - so ganz kommt Ungarn ohne seine Klischees nicht aus.
"Was ich vorschlagen kann, ist immer wieder, hinter die Klischees zu gucken. Es ist mal schön, wenn über einem Land jemandem etwas einfällt. Da hat man nämlich schon eine Art Bezug zu einem Land, und deswegen kann man sich eigentlich darüber auch freuen. Und wenn die Gäste schon mal wegen Klischees kommen, haben sie auch die Möglichkeit, ein bisschen das Land kennenzulernen und mehr darüber zu erfahren, also hinter die Klischees zu gucken."
Worin aber könnte die Zukunft der Region bestehen? Wovon lebt die Puszta in den kommenden Jahren?
"Biowirtschaft wird eine sehr wichtige Wirtschaft in der Puszta sein. Aber daneben Ökotourismus ist eine wichtige Zukunft. Früher kamen die Touristen weil sie haben damals einen Film "Ich denke oft Piroschka" gesehen, und damit hatten sie mit der P. romantische Vorstellungen. Aber das ändert sich. Momentan kommen eher Touristen in die P., die die Vogelwelt, sehen möchten oder aktiv ihre Freizeit verbringen möchten. z.B. Radfahrer, Wanderer, Botaniker, solche Leute die eher ihr Wissen über die Natur, die Puszta ein bisschen vermehren möchten."
Aber so ein bisschen Steppenromantik - so ein bisschen Teufelsgeige darf auch weiterhin sein.