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Papst Johannes Paul II. 25 Jahre im Amt

Forudastan: Normalerweise bedeutet so ein Datum, dass man es groß und prunkvoll begeht; 25 Jahre ist Johannes Paul II. am 16. Oktober, also kommenden Donnerstag im Amt. Dennoch wird der Peterplatz wohl nicht vor Jubelrufen wiederhallen, denn das Oberhaupt der katholischen Kirche ist schwer krank. Er zittert am ganzen Körper, geht oder sitzt tiefgebeugt und wenn er spricht, können die Zuhörer seine Stimme kaum noch verstehen. Trotzdem löst der 1920 nahe Krakau geborene Karol Josef Wojtyla immer wieder heftige Diskussionen in der Kirchenwelt und unter den Gläubigern aus. Andreas ist Journalist und Papstbiograph. Er beobachtet Johannes Paul II. seit langem, hat den heiligen Vater auf vielen Reisen begleitet und nun auch ein Buch über ihn veröffentlicht. Ich habe Andreas Englisch gefragt, wie er den Papst als Person in wenigen Worten umreisen würde.

    Englisch: Johannes Paul II. ist vor allem ein unglaublicher Dickkopf. Er hat sein Leben lang versucht, seinen Willen durchzusetzen, und das hat er im Vatikan auch sehr erfolgreich getan.

    Forudastan: Zum Beispiel wo?

    Englisch: Seit langem ist es viel zu gefährlich, dass der Papst die Treppe des Flugzeugs, wenn er in seiner Maschine bei Besuchen in irgendeinem Land angekommen ist, zu Fuß heruntergeht. Im Vatikan hat man jahrelang versucht, ihn davon zu überzeugen, es nicht zu tun, weil er hätte stürzen können und da hätten 50 Kamerateams live zugesehen. Er hat gesagt, ich gehe aufrichtig an Land. Erst als es wirklich nicht mehr ging, als er keinen einzigen Schritt mehr gehen konnte, da haben sie einen Fahrstuhl gebaut. Ich fand es erstaunlich, dass er immer wieder auf den Tisch gehauen hat mit seiner Krücke und Sachen, die er wirklich durchsetzen wollte, auch durchgesetzt hat.

    Forudastan: Was waren das denn auch inhaltlich für Sachen?

    <im_998>Hauptbild</im_998>Englisch: Eine Sache war ganz besonders dramatisch. Das war im Frühjahr 2001. Da war die komplette Kurie dagegen, dass Johannes Paul II. als erster Papst in der Geschichte in einer Moschee betet. Da gab es einen ganz massiven Widerstand. Ich kann mich an dieses Treffen erinnern, weil mir der Reiseberater des Papstes, Pater Brocati, mit dem ich ein bisschen befreundet bin, das sehr genau geschildert hat und gesagt hat, der Papst hat seinen Krückstock genommen und auf den Tisch gehauen und gesagt, ich werde in diese Moschee gehen, ich werde in dieser Moschee beten, und es ist mir völlig egal, dass ein Großteil der Kurienkardinäle dagegen ist.

    Forudastan: So ein fünfundzwanzigjähriges Amtsjubiläum ist ja immer Anlass zu der Frage, als was wird jemand in die Geschichte eingehen. Wie sieht das bei Johannes Paul II. aus?

    Englisch: Ich hoffe, dass dieser Papst in die Geschichte eingehen wird für zwei Sachen, und ich hoffe, dass das die nächsten Tausend Jahre überdauern wird. Das eine ist die Bitte um Vergebung. Er hat am Aschermittwoch des Jahres 2000 die Sünden der katholischen Kirche eingeräumt. Er hat gesagt, wir haben auch eine ganze Menge Fehler gemacht. Das fand ich eine ganz großartige Geste, obwohl die Mehrheit der Kirche dagegen war. Und das zweite, was ich hoffe, dass die nächsten Tausend Jahre überstehen wird, ist die Bitte um Vergebung an das Volk der Juden. Damals an der Klagemauer von Jerusalem hat der Papst meiner Ansicht nach eine der wichtigsten historischen Gesten für die katholische Kirche getan. Er hat sich entschuldigt. Er hat gesagt, wir haben viele Fehler gemacht und wir sind auch mit schuldig an der Entstehung von Antisemitismus.

    Forudastan: Es gibt ja diesen Satz eines Biographen, kaum ein Papst der Neuzeit hat die katholische Kirche so geprägt wie der Pole. Teilen Sie diese Aussage?

    Englisch: Ja, absolut. Ich glaube, dass die katholische Kirche in zwei Phasen eingeteilt werden wird, in die Zeit vor Karol Wojtyla und die Zeit nach Karol Wojtyla. Er hat die Art, wie man das Amt des Papstes ausübt, komplett revolutioniert. Dieser Papst ist der erste Papst, der keine Majestät mehr ist. Der hat, wenn er fertig war mit der Morgenaudienz, gesagt, wir sagen das Mittagessen und das Frühgebet ab, dann ist er in sein Zimmer gegangen, hat seine Skier geholt persönlich, hat sich in sein Auto gesetzt, hat die Skier hinten über seine Knie gelegt und hat sich in die Abruzzen fahren lassen. Dann ist er nicht auf irgendeine abgesperrte Piste gegangen, sondern zwischen den Touristen runter ins Tal gefahren, und sie konnten es nicht fassen und haben gesagt, ist das der Papst? Bis zu diesem Zeitpunkt waren Päpste unnahbare, irgendwo in der finsteren Wirklichkeit des Vatikans regierende Oberhäupter. Das hat dieser Papst verändert. Das war ein Papst, der ein Mensch war. Das war das Erstaunlichste an diesem Mann. Ein Papst, der sich ein Swimming Pool bauen lässt; können Sie sich Pius XII. in Badehose vorstellen?

    Forudastan: Eher nicht. Bei Päpsten, da schaut man ja immer gerne, sind sie eher fortschrittlich oder eher konservativ. Wie ist das bei diesem Papst?

    Englisch: Ich glaube, dass das Bild, das die Mehrheit der Menschen von ihm haben, dass sie denken, er sei ein sehr konservativer Papst, halte ich für komplett falsch. Ich glaube, es gibt keinen progressiveren Papst in den vergangen 400 Jahren für die katholische Kirche. Das war der erste Papst, der an der Klagemauer die Juden um Vergebung gebeten hat. Das war der erste Papst, der gesagt hat, wir können mit den Muslimen zusammenbeten, wir sind die Kinder Abrahams, wir beten zu einem Gott.

    Forudastan: Andrerseits ist es ein Papst, der auch in der heutigen Zeit noch für das strikte Zölibat streitet, also das Eheverbot für katholische Priester. Er ist gegen künstliche Empfängnisverhütung. Er ist auch dort gegen Kondome, wo sie AIDS verhindern würden. Er hat die Befreiungstheorie gegeißelt. Also das alles spricht eigentlich nicht dafür, dass er fortschrittlich ist.

    Englisch: Erstens kann er natürlich die katholische Kirche in zwanzig Jahren nicht vollständig revolutionieren. Ich glaube, dass er da schon sehr viel getan hat. Ich bin nicht seiner Meinung und ich halte das für einen Fehler, was zum Beispiel in der Frage der Schwangerenkonfliktberatung in Deutschland gelaufen ist. Ich glaube, dass da viele Fehler gemacht worden sind. Ich glaube, dass das falsch war. Ich glaube auch, dass die Eliminierung der Theologie der Befreiung in Mittel- und Südamerika ein Fehler war. Ich glaube, dass er das falsch gemacht hat, aber ich bin mir sicher, dass er heute weiß, dass es ein Fehler war. Sehen Sie, wir beide, Sie und ich machen auch einen Haufen fehler, und auch dieser Papst hat einen Haufen Fehler gemacht, und er hat sie auch eingeräumt. Ich glaube nicht, dass das der perfekte Mann ist, und ich glaube, dass die katholische Kirche noch eine Weile brauchen wird, um sich zum Beispiel vom Zölibat zu verabschieden. Da bin ich mir ziemlich sicher, dass es früher oder später kommt. Dieser Papst hat sich mit den orthodoxen Kirchen versöhnt, wo die Priester verheiratet sind. Er hat an einem Tisch gesessen mit anderen Priestern, orthodoxe Priestern, die ihre Kinder und ihre Frauen dabei hatten.

    Forudastan: Wie geht es denn zusammen, dass er zum Beispiel die Befreiungstheologie ablehnt einerseits, andrerseits aber gegen Globalisierung und gegen wilden Kapitalismus wettert? Schlagen da zwei Seelen in seiner Brust?

    Englisch: Nein, das ist eigentlich die gleiche Linie. Sehen Sie, die Befreiungstheologie, ich glaube, dass er ziemlich sicher ist, dass er damals da falsch reagiert hat. Also die Reise nach Kuba zeigt das ziemlich genau. Damals hat die katholische Kirche versucht, sich auf die Seite der Armen zu stellen, und das war richtig. Ich weiß nicht, wie gut Karol Wojtyla damals darüber informiert war, aber diese starke Bekämpfung der Befreiungstheologie war, glaube ich, auch in seinen Augen zu dieser Zeit ein Fehler. Diese Opposition jetzt gegen den wilden Kapitalismus, die Opposition gegen den Irak-Krieg zum Beispiel oder seine antiamerikanische Haltung, ich glaube, dass ist eigentlich alles nichts anderes als die Botschaft von diesem Mann, der in Sandalen irgendwann mal aus Nazareth gekommen ist und gesagt hat, selig sind die, die Frieden stiften. Ich glaube, das ist auch das Tolle an ihm, dass er das Christentum auf seine Anfänge zurückgeführt hat, also auf Jesus von Nazareth.

    Forudastan: Die Tatsache, dass er Dinge, die er noch bis vor kurzem, muss man sagen, gesagt hat und gepredigt hat, heute falsch findet, so Ihre Darstellung, was wird das denn für die Zukunft, für die Zeit nach diesem Papst bedeuten? Hat er denn seinen gewandelten Ansichten in irgendeiner Weise den Boden bereitet?

    Englisch: Ja, natürlich. Also es gibt viele Dinge, die beim Amtsantritt von Karol Wojtyla völlig undenkbar waren, die jetzt ziemlich normal sind. Ich sage mal ein ganz eklatantes Beispiel: Bis zu Karol Wojtyla war die katholische Kirche vor allem auch eine stark von Italien geprägte Kirche. Der Vatikan steht in Rom und die Mehrzahl der Kardinäle waren Italiener. Heute ist das lange nicht mehr so. Da sind Kardinäle aus 64 Nationen. Er hat eine Weltkirche geschaffen, die nicht mehr nur auf Rom guckt, sondern überall hin, und ich glaube, das ist auch das Neue. Seine Nachfolger werden eine Weltkirche vorfinden.

    Forudastan: Wird das auch eine fortschrittlichere katholische Kirche sein, auch in all den Punkten, über die wir eben gesprochen haben?

    Englisch: Ich glaube, in einigen Punkten mit Sicherheit. Ich glaube, dass die Kirche in Zukunft sich noch weit deutlicher als früher an die Seite der Armen stellen wird. Karol Wojtyla hat der Kirche den Pomp genommen. Das ist auch, glaube ich, eine seiner größten Leistungen.

    Forudastan: Dennoch haben sich in seiner Zeit viele Menschen von der Kirche abgewandt, weil sie einfach zu verkrustet, zu starr und zu konservativ war.

    Englisch: Ja, ich weiß. Zum einen liegt es sicherlich daran, dass ich glaube, dass sein Image nicht gut verkauft worden ist. Ich glaube, dass die Leute viel von dem, was dieser Papst wollte, nicht verstanden haben, oder es ist ihnen nicht richtig erklärt worden. Das Gute an diesem Papst war, dass er den Leuten Fragen gestellt hat. Er hat keine Antworten gegeben. Er hat gesagt, gibt es in eurem Leben vielleicht ein Geheimnis? Habt ihr darüber schon mal nachgedacht?

    Forudastan: Vielen Dank für das Gespräch.