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Papstbesuch in Kolumbien
Versöhnung dank Franziskus?

Papst Franziskus besucht in dieser Woche Kolumbien. Dort macht der Friedensprozess zwischen Regierung und FARC-Guerilla Fortschritte, doch der Riss in der Gesellschaft ist tief. Viele Menschen hoffen, dass der Papst dem Versöhnungsprozess neuen Schwung gibt.

Von Victoria Eglau | 06.09.2017
    Papst Franziskus beim Gebet während der Nachtwache in der Kapelle von Fatima/Portugal am 12. Mai 2017. Zwei der drei Hirtenkinder, denen die Jungfrau Maria vor 100 Jahren erschienen war, werden am 13. Mai 2017 heiliggesprochen.
    Große Hoffnungen ruhen auf dem Papstbesuch in Kolumbien (AFP / LUSA / NUNO / André Ferreira)
    "Ich verspreche: Wenn dieser Friedensvertrag bei der geplanten Volksabstimmung den Segen der Kolumbianer erhält und international anerkannt wird, werde ich Kolumbien besuchen und zum Frieden beitragen."
    Das sagte Papst Franziskus vor einem Jahr, nachdem die kolumbianische Regierung und die Guerilla-Organisation FARC ein Friedensabkommen unterzeichnet hatten. Obwohl die Bevölkerung wenig später in einem Referendum gegen den Friedensvertrag stimmte, reist Franziskus nun ins mehrheitlich katholische Kolumbien. Dort schreitet der Friedensprozess trotz aller Hindernisse voran: Nach dem gescheiterten Referendum haben die Regierung und die FARC ihren Friedensvertrag teilweise verändert. Schritt für Schritt geht es voran.
    Franziskus geht offenbar davon aus, dass seine Friedensbotschaft jetzt besonders nötig ist – gerade weil eine knappe Mehrheit der Kolumbianer der Aussöhnung mit den FARC ihren Segen nicht erteilt hat. Oscar Urbina Ortega, Vorsitzender der kolumbianischen Bischofskonferenz, nennt den Papstbesuch "ein Geschenk der Vorsehung":
    Kolumbiens Präsident Manuel Santos und der Anführer der kolumbianischen Guerilla-Organisation FARC, Timoleón Jiméne besiegeln am 26.09.2016 mit einem Handschlag das Friedensabkommen.
Hinter den beiden Männern, stehen applaudierende Menschen, darunter UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon. Alle tragen weiße Hemden. Das Bild enstand bei der Zeremonie zur Unterzeichnung des Friedensvertrages.
    Kolumbiens Präsident Manuel Santos und der Anführer der kolumbianischen Guerilla-Organisation FARC, Timoleón Jiméne besiegeln am 26.09.2016 mit einem Handschlag das Friedensabkommen. (imago stock&people)
    "Wir Kolumbianer haben mit dem Abkommen einen ersten Schritt zum Frieden getan – dieser Prozess hat Licht und Schatten, Probleme und Erfolge. Dringend nötig ist nun, auch den ersten Schritt zur Versöhnung der Gesellschaft zu tun. Und dabei können wir als Kirche eine entscheidende Rolle spielen. Der Papst kann wichtige Impulse geben, weil er von allen als Gesprächspartner anerkannt wird – von Befürwortern und von Gegnern des Friedensvertrags."
    "8 Millionen Opfer - die Wunde der Kolumbianer ist groß"
    Befürworter und Gegner des Abkommens mit den FARC gibt es auch in Kolumbiens katholischer Kirche. Die Bischofskonferenz hatte vor dem Referendum eine neutrale Haltung eingenommen, konnte sich zu keinem eindeutigen "Ja" durchringen – was bei jenen auf Kritik stieß, die das Abkommen mit der Guerilla unbedingt wollen. Bischof Urbina Ortega verteidigt die Entscheidung der Kirche:
    "Die Gesellschaft war bereits stark polarisiert und eine Parteinahme der Kirche wäre falsch gewesen. Die Wunde im Herzen der Kolumbianer ist groß, acht Millionen Opfer hat der bewaffnete Konflikt gefordert. Mit einem Aufruf für das "Ja" hätten wir das Land noch tiefer gespalten."
    "Kolumbien empfängt Dich vereint", schmettern freudig strahlende Menschen im offiziellen Videoclip zum Papstbesuch. Doch tatsächlich sind die Kolumbianer von Einigkeit weit entfernt. Als im Juni die rund 7.000 Mitglieder der FARC ihre Waffen abgaben, feierte ein Teil der Gesellschaft dies als historischen Durchbruch, ein anderer Teil blieb skeptisch.
    Diese Kolumbianer finden etwa, dass Schwerverbrecher zu glimpflich davonkommen. Und von der Reue der Guerilla, die sich für einige Massaker, Morde und Entführungen entschuldigt hat, sind vor allem viele Opfer nicht überzeugt – etwa Ximena Ochoa. Sie erlebte eine Entführung in der eigenen Familie: Ihre Mutter war hundert Tage lang in der Gewalt der Rebellen. Ochoa ist die Vizevorsitzende des Verbands der FARC-Opfer:
    "Wir Opfer werden erneut zu Opfern gemacht"
    "Wir hoffen, dass uns der Papst bei seinem Besuch erklärt, was Verzeihen bedeutet. Denn wir Opfer werden erneut zu Opfern gemacht, weil man von uns verlangt, zu verzeihen. Aber wie die FARC bisher um Verzeihung gebeten hat, das waren für mich leere Phrasen. Wenn uns Opfern nicht Gerechtigkeit zu Teil wird und wenn wir nicht die ganze Wahrheit über die Verbrechen der Guerilla erfahren, ist es sogar unmoralisch, zu verzeihen."
    Opfer des jahrzehntelangen bewaffneten Konflikts in Kolumbien sind auch Menschen, die Gewalt von Paramilitärs oder staatlichen Sicherheitskräften erlitten haben. In der Stadt Villavicencio wolle Franziskus mit Tausenden Menschen beten, mit Opfern und auch Guerilleros, sagt Rubén Salazar Gomez, Erzbischof von Bogotá und Präsident des Lateinamerikanischen Bischofsrats:
    Eine Frau weint während einer Demonstration für die Unterzeichnung eines Friedensabkommens mit der Farc.
    In Bogotá demonstrieren Kolumbianer für die Unterzeichnung des Friedensabkommens mit der Farc. (AFP / Luis Acosta)
    "Zu diesem Gebet für Versöhnung und Frieden sind alle, wirklich alle eingeladen. Mit Sicherheit werden auch entwaffnete FARC-Mitglieder kommen – aber ohne ein Schild, auf dem 'FARC' steht. Und die Opfer werden kein Schild hochhalten, auf dem 'Opfer' steht. Aber alle, die in irgendeiner Weise von dem Konflikt betroffen waren, können mit dem Papst beten."
    Franziskus sei ein 'falscher Papst'
    "Wir begrüßen Dich mit offenen Armen", heißt es im kolumbianischen Papst-Song. Doch es gibt auch Katholiken, die das Kirchenoberhaupt nicht willkommen heißen. Der katholische Fernsehsender Teleamiga stellte gar Franziskus' Legitimität in Frage – er sei ein – Zitat – "falscher Papst" und von einer "korrupten Kardinalsmafia" gewählt worden. Erzbischof Rubén Salazar Gomez:
    "Es gibt eine störrische Rechte in Kolumbiens Kirche, die den Papst scharf angreift. In dem Fernsehkanal, den sie besitzt, strahlt sie eine Kampagne gegen Franziskus aus, die wir als Bischofskonferenz nicht verhindern können, weil in unserem Land Pressefreiheit herrscht. Aber die große Mehrheit der Kolumbianer nimmt die Botschaften des Papstes mit Freude auf."
    "Wir wollen, dass entwaffnete Rebellen akzeptiert werden"
    Bereits vor zwei Jahrzehnten rief die kolumbianische Bischofskonferenz eine nationale Versöhnungskommission ins Leben. Der Kommission gehören nicht nur Geistliche an, sondern auch Politiker und Experten. Ihr Generalsekretär ist der Priester Darío Echeverri:
    "Wir wollen helfen, die Bedingungen zu schaffen, damit die Umsetzung des Friedensvertrags vorankommt. Und wir wollen dazu beitragen, dass die entwaffneten FARC-Rebellen von der Gesellschaft akzeptiert werden. Nur so können sie auf würdige Weise integriert werden."
    Entwaffnetes FARC-Mitglied Diego Gutierrez in der Übergangszone
    Ein entwaffnetes FARC-Mitglied (Deutschlandradio / Victoria Eglau)
    In 27 Übergangszonen auf dem Land bereiten sich die entwaffneten FARC-Mitglieder zurzeit auf ein ziviles Leben vor. Der Staat unterstützt ihre gesellschaftliche Eingliederung finanziell und mit beruflicher Bildung. Die Versöhnungskommission will ergänzend dazu die Verständigung zwischen den ehemaligen Rebellen und der Landbevölkerung fördern – dafür bildet sie Priester aus, die als Mittler fungieren. Finanziell gefördert wird diese Arbeit vom deutschen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Darío Echeverri:
    "Wir unterstützen die örtlichen Pfarrer dabei, sich um die Bauern zu kümmern, in deren Nachbarschaft nun plötzlich Hunderte entwaffneter Guerilleros leben. Die Landbevölkerung muss auch zu ihrem Recht kommen. Aber die Pfarrer sollen mit unserer Unterstützung auch den FARC-Mitgliedern helfen – vor allem dabei, einen neuen Lebensentwurf zu finden."
    Aktive Rolle der Kirche in den Friedensgesprächen
    Während sich die FARC zum Frieden entschlossen haben, verübt die marxistisch orientierte Guerillabewegung ELN in Kolumbien nach wie vor Gewalttaten. In ihren Reihen gab es seit der Gründung in den 1960er Jahren immer wieder auch katholische Priester. ELN und kolumbianische Regierung führen seit Jahresbeginn Friedensgespräche. Sie werden von der Versöhnungskommission der kolumbianischen Kirche aktiv begleitet.
    Ein Kämpfer der Guerillaorganisation ELN in Kolumbien (2.2.17)
    Ein Kämpfer der Guerillaorganisation ELN in Kolumbien (2.2.17) (AFP PHOTO / LUIS ROBAYO)
    "Obwohl die ELN-Guerilla nicht sehr groß ist, ist sie fähig, großen Schaden anzurichten. Sie kann die derzeitige Umsetzung des Abkommens zwischen Regierung und FARC gefährden. Deshalb ist es wichtig, auch mit dieser Bewegung Frieden zu schließen", sagt Darío Echeverri von der Versöhnungskommission.
    Doch die Verhandlungen mit dem sehr dogmatischen ELN gelten als schwierig und könnten sich noch Jahre hinziehen.
    Die Recherchen für diesen Beitrag entstanden während einer Pressereise mit dem katholischen Hilfswerk Adveniat.