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Parabel über das Gelingen

Hans Werner Henze schrieb seine Oper "L'Upupa" in den vergangenen Jahren als Reaktion auf die weltpolitischen Verwerfungen der Zeit. Die 14. und bislang letzte Oper des Komponisten entstand parallel zum Nahost-Konflikt, zu den Anschlägen auf das World Trade Center und zum zweiten Irak-Krieg. Josef Köpplinger hat das Werk in Hamburg inszeniert.

Von Christoph Schmitz |
    Henzes "L'Upupa" ist reine Politik. Das Stück rehabilitiert die islamische Kultur. Der Islam ist auf Schönheit aus, sagt uns die Oper in Worten und Klängen. Er ist auf Humanität aus und auf Frieden. Wer die muslimische Welt samt ihrer Kulturgeschichte nicht kennt, erfährt durch "L’Upupa", was sie im Herzen eigentlich ist, und erliegt nicht mehr so schnell der Gefahr, sie einem religiös legitimierten Fundamentalismus oder Terrorismus gleichzusetzen. Henze will nicht die Pathologien einer Kultur zeigen, sondern den gesunden Menschenverstand des Orients einschließlich seiner Sehnsucht nach und seiner Musikalität für Transzendenz.

    Die 14. und bislang letzte Oper des Komponisten entstand parallel zum Nahost-Konflikt, zu den Anschlägen auf das World Trade Center und zum zweiten Irak-Krieg. Die "kriegerischen Vorgänge im Osten (...) haben für mich etwas Unheimliches und erfüllen mein Herz mit Trauer", schrieb Henze in sein Arbeitstagebuch zu "L’Upupa". Den Stoff zur Oper hatte er mit Bedacht gewählt, aus einem syrischen Märchen. Der Großwesir Al Radschi beklagt einen Verlust. Ein "überaus prachtentfaltender" Vogel, der aus der "bunten und hehren, mythenumflorten Familie der Wiedehopfe" stammt, will ihn nicht mehr besuchen. "Upupa" heißt der weibliche Wiedehopf auf Italienisch.

    Diese Upupa war dem Großwesir Freude der Seele, ihr Flügelschlag wehte ihm "zauberhaft den Odem der Sehnsucht" zu, als hätte sie für ihn Nachrichten aus den "weiten Katakomben des Zwischenreichs". Doch als der Mann "schwachsinnig vor Glück und Begeisterung" das Tier fangen wollte, verschwand es. Nun schickt er seine drei Söhne aus, die ihm die Upupa finden sollen. Dem jüngsten, Kasim, gelingt es mit Hilfe seines Dämons, der nämlich ein guter Kerl ist. Doch als sie das Tier aus dem Reich seines Besitzer, des Herrschers von Pate, stehlen wollen, werden sie ertappt. Der betagte Tyrann aber lässt Gnade vor Recht ergehen, gibt Kasim und den Dämon frei, schenkt ihnen sogar den Vogel, verlangt aber als Gegenleistung, ihm die gefangene schöne Jüdin Bad'iat aus einem anderen Reich zu entführen. Und so geht es weiter: Wieder werden sie ertappt, wieder Erbarmen, wieder eine Gegenleistung. Alle sind sie empfänglich für die Sehnsucht der anderen, und alle tragen sie diese Sehnsucht auch in sich selbst. Beim muslimischen Kasim und der jüdischen Bad'iat ist es die Liebe zueinander.

    "Wie schön sie ist", singt Kasim der schlafenden Bad'iat zu. Henzes Klänge und Melodie-Linien erzählen vom Zauber der Schönheit, von Verzückung und Furcht. Klangzauber, duftend und leicht, ist die Signatur dieser Komposition. Die aber auch ein großes Scherzo ist, ein "deutsches Lustspiel", wie es im Untertitel heißt. Karnevaleske Tänze stecken darin, Hum-ta-ta im Dreitviertel-Takt und realistische Klangmarken vom Tonband mit Flügelgeflatter, Rabenkrächzen, Fliegensummen und Hubschrauberknattern.

    Simone Young dirigierte das gestern Abend in der Hamburger Staatsoper mit großer Präzision und mit noch größerer Lust am barocken Reichtum der Partitur. Die Sänger spielten und sangen die schwierigen kunstvollen Kantilenen fast durchweg brillant, allen voran der Deutschitaliener Roberto Saccá als Dämon und der englische Countertenor Adrew Watts als Kasims verlotterter Bruder Adschib. Teddy Rhodes aus Neuseeland in der Rolle des Kasim gab einen schönen naiven Hans im Glück, bereit zu Tugend und Liebe. Der Regisseur Josef Köpplinger scheute sich wohl, das syrische Märchen zu sehr im islamischen Orient zu verorten und rückte die Szenerie weiter Richtung China mit einem Schuß fantastischer Ethnoexotik.

    Damit unterstricht er aber aufs Beste den Kern dieser Oper: Sie ist eine Parabel über das Gelingen. Sie will nicht die Abgründe im Handeln des Menschen ausloten, sondern im Wissen um seine wölfische Gefährdung seine Fähigkeit zu Gerechtigkeit und Großmut zeigen. Insofern glückt dem Komponisten ein Salto mortale aus der politischen und ästhetischen Verzweiflung der Moderne, obwohl er selbst ein mit allen Wassern der Moderne gewaschener Tondichter ist. Ihm gelingt es, die Fetzen eines im 20. Jahrhundert zerfledderten Menschenbildes aufzulesen und zusammenzufügen. Mit Henzes "L’Upupa" gewinnt man den Glauben an den Menschen zurück, könnte man sagen.