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Paradebeispiel eines hilflosen Anti-Rassismus

"Deutschland schafft es ab", betitelt der Künstler Martin Zet seine deutschlandweite Aktion, bei dem er das antimuslimische Bestsellerwerk "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin einsammeln und recyceln will. Ein missglückter Versuch, an dessen Ende Sarrazin sich einmal mehr als Märtyrer stilisieren kann.

Von Ingo Arend | 13.01.2012
    "Deutschland schafft sich ab." 1,3 Millionen Exemplare hat Thilo Sarrazin von seinem antimuslimischen Bestseller verkauft. Angesichts dieses sensationellen Erfolgs ist es absolut verständlich, dass viele die Frage quält, welches Kraut gegen den latenten Rassismus gewachsen ist, den er darin so massenwirksam verbreitet.

    Der Berlin-Biennale dürfen wir zumindest für die Erkenntnis dankbar sein, wie dieser Geisteshaltung auf keinen Fall beizukommen ist. "Deutschland schafft es ab" heißt das Werk, mit der sich der Bildhauer und Videokünstler Martin Zet an der siebten Ausgabe der Schau beteiligen will, die die "Kunst-Werke" in der Hauptstadt im April veranstalten. Es soll, so der Künstler, eine "raumgreifende Installation" werden.

    An unterschiedlichen Orten in Berlin und in ganz Deutschland werden in den nächsten Tagen Depots für die Abgabe des Buches eingerichtet. Aus den gesammelten Exemplaren will der 1959 in Tschechien geborene Künstler eine Installation bauen, wenn die Biennale eröffnet. Wenn sie endet, sollen die Bücher recycelt werden.

    Dass Zets Aktion einem leider immer noch weit verbreiteten, aktionistischen Missverständnis von politischer Kunst folgt, ließe sich noch verschmerzen. Artur Zmijewski, der provokationssüchtige Kurator der Biennale, hat es seiner Schau vorgegeben. Bereits bei dem "Open Call" zu seiner Biennale war der polnische Künstler dadurch unangenehm aufgefallen, dass er die teilnehmenden Kollegen mittels eines Fragebogens genötigt hatte, Zitat "über ihre politische Neigung zu informieren".

    Leider geht Zets verquere Idee von dem Buch "als aktivem Werkzeug, das es den Menschen ermöglicht, ihre eigene Position zu bekunden", zielstrebig an der Aufgabe vorbei, Sarrazin mit Argumenten zu bekämpfen, statt bloß das Corpus Delicti aus der Welt zu schaffen. Immerhin passt Zets Vorhaben hervorragend zu Zmijewskis furchtbarer Definition, dass Künstler in der Lage seien, "dieselben Ereignissequenzen in Gang zu setzen, wie Politiker". So sagte es der Kurator kürzlich in einem Interview.

    Doch verschwinden Alltagsrassismus und Fremdenfeindlichkeit aus den Köpfen der Deutschen, wenn es 60.000 Sarrazin-Bücher weniger im Lande gibt? Fünf Prozent der Gesamtauflage des Schmökers will der Künstler entsorgen. Oder müsste man dazu – um in seiner kruden Materiallogik zu bleiben – nicht besser 60.000 der Dummköpfe entsorgen, die Sarrazins Thesen nachplappern?

    Mit seinem Paradebeispiel eines hilflosen Anti-Rassismus manövriert sich Zet auch ohne Not in die Nähe einer heiklen Symbolik. Zwar ruft er nicht zur Bücherverbrennung auf. Doch der Hinweis auf die Ästhetik des Recyclings und der Rohstoffverwertung überzeugt nicht. Denn das Wort "Sammelstelle", mit der der Künstler die Orte bezeichnet, an denen Teilnahmewillige ihr Sarrazin-Buch loswerden können, ist zumindest doppeldeutig. Zusammen mit der Vokabel "Entgiftungsaktion", mit der die Kunst-Werke die Aktion verteidigen, weckt das ungute Assoziationen an Büchervernichtung, Volkshygiene und Deportation.

    Es ist ein Zeichen falsch verstandener Solidarität, dass bis auf ein paar Ausnahmen so viele renommierte Kultur-Institutionen, von der Berliner Fotogalerie c/o über das Münchener Lenbachhaus bis zum Hamburger Kunstverein bei dieser mehr als unterkomplexen Aktion mitmachen. Die wieder einmal Bert Brechts These bestätigt, dass die Dummheit unsichtbar wird, wenn sie große Ausmaße annimmt.

    Am Ende dürfte Thilo Sarrazin endgültig als der Märtyrer dastehen, zu dem er sich jetzt schon stilisiert, während die Kunst-Werke Gefahr laufen, sich selbst abzuschaffen – indem sie schlechter Kunst eine Plattform bieten.

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