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Paradies für Unterwasserforscher

Die Straße von Messina ist eine Wanderstrasse der Wasserbewohner, die von einem Meer ins andere wechseln – Schwertfische und Thunfische, die in so manches Fischerboot gezogen werden. Doch nicht nur die Fischer können im wahrsten Sinne aus dem Vollen schöpfen. Sondern auch die Unterwasserweltenforscher vom Meeresbiologischen Institut in Messina.

Von Karl Hoffmann |
    "Diese Meerenge ist ein Paradies für die Naturforscher. Hier an diesem Ort kommen Tiefseefische dank des "aquawelling", der Reibung des Wasser entlang der Seitenwände lebend bis an die Oberfläche kommen. Und der Scirocco treibt sie dann an die Strände von Messina. Hier können die Wissenschaftler Formen von Leben studieren, die man andernorts schwerlich findet."

    Ein untypischer Süditaliener, der Signor Antonio di Natale. Groß, ja mächtig, offenbar waren da Normannen unter seinen Vorfahren. Die Haare grau, der dichte Bart ebenfalls. Hätte er eine Pfeife im Mund, dann wäre Antonio ein passabler Nordseekapitän. Oder ein Weihnachtsmann. In Wahrheit ist er Meeresbiologe, auf der ganzen Welt gefragt, Spezialist für Fischfang, Konsulent von großen Aquarien und europäischen Behörden. In Messina hat er ein Büro mit Büchern, Bildern von Fischen, Zeichnungen von Booten, und er thront hinter seinem Schreibtisch mit der Würde eines 50-Jährigen, der in seinem Metier ein Meister ist.

    Ein würdiger Erbe der ersten Forscher vor allem aus Deutschland, die im 19. Jahrhundert die Straße von Messina studierten . Sie freundeten sich an mit den örtlichen Korallenfischern, die mit kettenbewehrten Netzen die kostbaren rosa Korallen an die Oberfläche brachten. In den Netzen fanden sich Tiere und Pflanzen, die man noch nie gesehen hatte. Die damaligen Wissenschaftler konnten sich ein gutes Bild machen vom Leben im Untergrund, hinabsteigen in die geheimnisvollen Tiefen konnten sie nicht. Erst seit ein paar Jahrzehnten gibt es Unterwasserbilder.

    "Viele haben es versucht, auch Jacques Cousteau, der hier her kam mit seinem kugelförmigen Unterseeboot. Er hatte viele Schwierigkeiten wegen der Strömungen, hat dann aber einige Aufnahmen machen können, das waren die ersten Bilder vom Meeresgrund in der Straße von Messina. Daraus kann man ersehen, dass der Untergrund sehr unterschiedlich beschaffen ist. In der Mitte sieht man tiefe Rinnen, deren Seitenwände oben abgeflacht sind. Sie sind von großen brauen Algen bedeckt, die sich mal in die eine, mal in die andere Richtung bewegen, je nach der Strömung. Dort ist das Meer etwa 78 Meter tief, die flachste Stelle der Meerenge. Die Seitenwände sind dagegen steile Felsen, die mit einer Kruste von Lebewesen bedeckt sind, erst braune, dann rote Algen, darunter leben bis zu 20 Zentimeter lange weiße Korallen, schließlich die Balanen, Hundskrallen genannt und unzählige kleine Organismen, die sich in allen möglichen Höhlungen verkriechen, sonst würden sie von der Strömung fortgerissen."

    Das schmalste Stück der Meeresenge ist wie eine gigantische Schwelle. Nach Norden hin, ins Tyrrhenische Meer, fällt der Untergrund bis auf 300 Meter Tiefe ab, von dort strömt warmes Wasser Richtung Süden. Umgekehrt drückt kaltes Wasser nach Norden aus dem sehr viel tieferen ionischen Meer. Die Meerenge endet etwa bei Taormina und dort liegt der Meeresboden in etwa 1800 Metern Tiefe. Das ständige Hin und Her von kaltem und warmem Wasser mit unterschiedlichem Salzgehalt hat für einen für den gesamten Mittelmeerraum einzigartigen Artenreichtum gesorgt. Ein Reichtum, von dem die Menschen seit Urzeiten profitieren. Durch die Meerenge schwimmen nämlich köstliche Fische.

    "Der Stretto ist ein wichtiger Verbindungsweg . Hier ziehen Thunfische durch und die Schwertfische, die weiter nördlich im tyrrhenischen Meer ihre Laichgründe haben. Auch verschiedene Walarten und Delphine bahnen sich ihren Weg durch den Stretto. Ein gigantischer Fischverkehr, von dem die Leute keine Ahnung haben, weil man ihn nicht sehen kann."

    Antonio di Natale ist selbst hunderte Male hinabgetaucht in die Straße von Messina. Ihn fasziniert diese Welt, die nur ein paar Meter entfernt von den Küsten anfängt, die man aber nur sehen kann, wenn man in sie eintaucht. Eine Welt voller Wunder.

    "Hier ist das Wasser tiefblau, eine unglaubliche intensive Farbe, und es ist so klar, dass man sehen kann, wie sich das Sonnenlicht in der Tiefe der See verliert, ein einmaliges Schauspiel, das man zum Beispiel in den Bergen niemals erleben kann. Dort gibt es andere Schönheiten zu bewundern. Aber die stärksten Empfindungen hat man ganz bestimmt im Meer."