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Paradigmenwechsel bei der ESA?

Bis in den späten Dienstagabend hinein saßen in Paris die für die Raumfahrt zuständigen Minister der europäischen Länder auf der ESA-Ministerratstagung zusammen. Unter dem Vorsitz der Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn hat die Runde milliardenschwere und folgenreiche Entscheidungen getroffen. Einmal soll das Navigationssystem Galileo in fünf Jahren in Betrieb gehen und zum anderen der krisengeschüttete Raketenindustrie neuer Treibstoff gegeben werden.

    Gerd Pasch: Bis gestern in die späten Abendstunden hinein saßen in Paris die für die Raumfahrt zuständigen Minister der europäischen Länder auf der ESA-Ministerratstagung zusammen. Unter dem Vorsitz der Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn hat die Runde milliardenschwere und folgenreiche Entscheidungen getroffen. Einmal soll das Navigationssystem Galileo in fünf Jahren in Betrieb gehen und zum anderen der krisengeschüttete Raketenindustrie neuer Treibstoff gegeben werden. Darüber hatten wir gestern an dieser Stelle mit Dirk Lorenzen gesprochen. Er ist wieder im Studio. Herr Lorenzen, die ESA-Minister haben aber zur Ariane weitere Beschlüsse gefasst, die gestern hier noch nicht zur Sprache kamen. Welche waren das?

    Dirk Lorenzen: Man hat ja, wie Sie sagten, den gesamten Bereich der Produktion der Ariane neu strukturiert. Vorher waren es sieben Einzelverträge, die die Europäische Raumfahrtagentur ESA mit einzelnen Firmen tun musste. Jetzt gibt es diesen einen Hauptauftragnehmer, die EADS, und da gibt es jetzt eben wirklich Garantien, dass man sagt, Europa braucht diesen Zugang zum All, und im Moment funktioniert ja der wirkliche Markt im Startbereich ja wirklich nicht, weil der völlig zusammengebrochen ist und die amerikanische Konkurrenz schon praktisch ausgelastet ist durch staatliche Aufträge in den USA und durch die militärischen Aufgaben. Das heißt, Europa gibt jetzt eine Abnahmegarantie, wir nehmen zwei bis drei große Ariane-Raketen ab zu einem Festpreis, und der wird etwa bei 140 Millionen Euro liegen, klingt sehr viel, ist aber immerhin - Sie sprachen die Milliardenschwere an - schon 25 Prozent billiger als es bisher war.

    Pasch: Nun, Kooperation ist auch angesagt, diesmal mit den Russen. Ein neuer Startplatz für russische Raketen ist in Südamerika vorgesehen.

    Lorenzen: Ganz genau. Das ist ein ganz spektakulärer Zugang. Das heißt, der Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch Guayana, von dem aus die Ariane startet, wird jetzt Zuwachs bekommen. Man baut dort einen neuen Startkomplex für die russische Sojus-Rakete. Das dauert etwas, denn der Raketenstartplatz muss praktisch genau geeicht, genau auf die einzelne Rakete angepasst sein, das heißt, man jetzt nicht den Arianestartplatz nehmen und genau auf denselben Starttisch eine Sojus-Rakete stellen. Aber man baut das jetzt neu dahin. Ab 2006 werden dann also verschiedene Raketen von Kourou aus, von Französisch Guayana, praktisch vom europäischen Weltraumbahnhof aus ins All starten können.

    Pasch: Welchen Vorteil hat dieser Startplatz in Südamerika gegenüber Kasachstan?

    Lorenzen: Da hilft uns einfach die Erde. Die Rotationsgeschwindigkeit am Äquator ist größer. Dort ist die Erde praktisch dicker. Dort muss man sich schneller drehen. Und wenn man ins All will, braucht man eine bestimmte Geschwindigkeit, das heißt, hier hilft praktisch die Natur den Europäern oder dann eben auch der russischen Sojus-Rakete, ins All zu kommen, das heißt, hier hat man einen geographischen Standortvorteil. Je näher man einen Raketenstartplatz an den Äquator setzt, desto besser.

    Pasch: Um ins All zu kommen, besser. Was ist denn zur internationalen Raumstation auf der ESA-Ministerratstagung besprochen, beschlossen worden? Da gibt es auch entscheidende Weichenstellungen.

    Lorenzen: Genau. Man hat jetzt einen guten Startplatz. Man hat eine gute Rakete. Was macht man damit? Man will zur ISS. Man will zur internationalen Raumstation, und da gibt es große Probleme, vor allem auf amerikanischer Seite, die ja da vor ein, zwei Jahren eine Undefinition des Projektes begonnen haben. Man wollte die Besatzung etwas herunterfahren aufgrund der großen finanziellen Probleme bei der NASA, und daraufhin hat dann der Ministerrat vor eineinhalb Jahren praktisch das ESA-Budget für die ISS gesperrt. Man hat gesagt, das Geld ist zwar da, aber es wird erst einmal nicht ausgegeben, bis wirklich politisch klar ist, wo das hingehen soll. Inzwischen hat man sich dort mit den Amerikanern weitgehend geeinigt, das heißt, jetzt ist ein Teil dieses Betrages freigegeben worden, und zwar vor allem für die Bereiche, wo jetzt eine weitere Verzögerung wirklich das Projekt der ISS beschädigt hätte, Stichwort dieses automatische Transfervehikel, also praktisch der Lastenesel, mit dem Europa selber dann Material zur Raumstation bringen kann und wieder von der Raumstation herunterholen kann. Das muss man jetzt entwickeln, sonst hätte man irgendwann das Raumlabor Columbus womöglich oben und hätte nicht diesen Materialzugang.

    Pasch: Auch für die Rakete, für den Antrieb gibt es noch weitere Entwicklungsschritte.

    Lorenzen: Das ist genauso ein Punkt, wo man sagen kann, wo vielleicht dann den ESA-Ministern doch ein bisschen die Traute gefehlt hat, dass man in manchen Punkten nicht ganz so weit vielleicht entschieden hat, wie man es sich im Vorfeld hätte wünschen können. Insgesamt hat die Raumfahrt das Problem, dass sie viel zu teuer ist, auch jetzt noch mit diesen Raketen, das heißt, man muss einmal wirklich hin zu wirklich wiederverwendbaren Raketen, aber auch die Ariane, wenn sie jetzt auf diesen Zehn-Tonnen-Bereich gut dabei sein wird, dann muss man eine zukünftige Version von zwölf Tonnen bekommen, und dort wäre genau am Standort Bremen eine sehr wichtige Entwicklung zu leisten von einem neuen Triebwerk. Das ist leider noch nicht ganz so beschlossen worden. Das hat dann eben bei den Experten etwas Sorge dort ausgelöst.

    Pasch: Vielen Dank, Dirk Lorenzen.