Dienstag, 07. Mai 2024

Archiv

Paralympics
In Osakas Schatten

Die Erfolge von Naomi Osaka sind in der Tennisgeschichte Japans unübertroffen - glauben Viele. Dabei hat Shingo Kunieda schon viel mehr gewonnen. Bei den Spielen von Tokio will er mit Gold in seiner Heimatstadt das schaffen, was seiner berühmteren Kollegin nicht gelungen ist.

Von Felix Lill | 01.09.2021
Japans Shingo Kunieda ist der dominierende Rollstuhl-Tennisspieler seiner Zeit.
Japans Shingo Kunieda ist der dominierende Rollstuhl-Tennisspieler seiner Zeit. (dpa / picture alliance / Yomiuri Shimbun)
Niemand zuvor hat einen Grand Slam für Japan gewonnen. Womit kurz darauf erstmals jemand aus Japan, nein, ganz Asien, die Weltrangliste anführte. Die Rede ist von Naomi Osaka, der bestbezahlten Sportlerin der Welt und berühmtesten Athletin Japans?
Auch, aber eigentlich auch nicht. Denn streng genommen ist Osaka damit weder eine Rekordhalterin noch eine Pionierin des japanischen Tennis. Es gibt einen Mann, der ihr das alles voraus hat:
Shingo Kunieda, 37 Jahre alt, Rechtshänder, ein akribischer Arbeiter auf dem Court und ein mental äußerst stabiler Spieler. Viele Tennisfans haben noch nie von ihm gehört, aber das könnte sich im Zuge der Paralympischen Spiele von Tokio ändern.

Der Beste aller Zeiten?

Unter Beobachtern des Rollstuhltennis gilt Kunieda schon länger als der Beste aller Zeiten. Er hat 20 Grand Slams gewonnen, den ersten in Wimbledon im Jahr 2006, als Naomi Osaka noch eine Grundschülerin war. Im selben Jahr erklomm Kunieda mit 22 erstmals Platz eins der Weltrangliste, was mittlerweile sein Stammplatz ist.
Die Japanerin Naomi Osaka jubelt nach ihrem Sieg über die Tschechin Karolina Pliskova im Halbfinale der Australien Open.
Naomi Osaka - Lost with Japan
Die japanische Tennisspielerin Naomi Osaka ist die bestbezahlte und derzeit vielleicht auch bekannteste Sportlerin der Welt. Mit ihrem Ruhm hat sie sich aber nicht nur Freunde gemacht.
Das Jahr 2020 war das neunte seiner Karriere, in dem er das weltweite Jahresranking als Erster abschloss. Auch die Paralympics hat er schon gewonnen. 2008 in Peking und 2012 in London holte er Gold. Die Bronzemedaille 2016 in Rio sieht Kunieda als Betriebsunfall. In seiner Heimatstadt Tokio will er ihn diese Tage beheben.
Als er kurz vor Beginn der Spiele als Kapitän der japanischen Delegation vorgestellt wurde, sagte Kunieda:
Bei den Paralympischen Spielen von Tokio werden wir japanischen Vertreter alles geben, was wir können. Ich bitte Sie alle in Japan, auch bei unserem Sportereignis einzuschalten und uns anzufeuern. Vor allem die Kinder im Land bitte ich, unseren Sport anzusehen."

Ein Vorbild für die Gesellschaft

Im paralympischen Gastgeberland ist die mögliche Bedeutung dieses Athleten kaum zu überschätzen. Zwar ist Kunieda viele Jahre seiner Karriere eher unterm Radar geflogen. Im Vorfeld der Paralympischen Spiele aber nahm er so viele Medientermine war, dass er kurz vor seinem Turnierstart vor einigen Tagen für keine Gespräche mehr zur Verfügung stand. Dafür kennt man den Mann, der als neunjähriger durch eine Krebserkrankung gelähmt wurde, mittlerweile ganz gut:
"Eine meiner merkwürdigsten Erfahrungen war, als ich mit dem Tennis anfing und ich andere Kinder mit einer Behinderung sah. Ich hatte ja selbst eine Behinderung. Aber diese ersten Kontakte machten mir klar, dass ich selbst nicht wusste, wie ich mich gegenüber Personen mit einer Behinderung verhalten sollte. Das hatte einem ja niemand beigebracht."
Barbara Rittner, DTB-Tennis-Bundestrainerin.
Der Fall Naomi Osaka - "Es gibt einige Widersprüche"
Beim Fall der Tennisspielerin Naomi Osaka, die nach ihrem Rückzug von den French Open ihre Depressionen öffentlich gemacht hatte, hat sich Tennis-Bundestrainerin Barbara Rittner kritisch im Dlf geäußert.
Seine Lockerheit macht Kunieda zu einem Typen, der einem Land zeigen könnte, dass man mit Menschen, die für Viele auf den ersten Blick anders sind, am besten unverkrampft umgehe. Durch diese gesellschaftspolitische Rolle, hat Shingo Kunieda noch eine Gemeinsamkeit mit Naomi Osaka, die sich immer wieder gegen Rassismus einsetzt.
Dann aber setzt sich Kunieda von seiner Sportkollegen wieder ab. Bescheiden ist er nämlich nicht gerade. Ein Sticker auf seinen Tennisschlägern sagt: "Ich bin der Stärkste." Lange Zeit musste sich Shingo Kunieda dies selbst sagen. In ein paar Tagen, sofern er Gold holt, sagt es vielleicht ganz Japan.