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Parcours durch die Fotografiegeschichte

Fotografie hatte lange Zeit den Ruf der Gebrauchskunst. Ihren künstlerischen Wert erkannte früh das Museum Folkwang in Essen. Seit 1979 wuchs unter der Leitung von Ute Eskildsen eine herausragende Sammlung. Eine Auswahl ist in der Ausstellung "Der Mensch und seine Objekte" zu sehen.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 23.02.2012
    Burkhard Müller-Ullrich: Morde in Bildern sind ja eigentlich auch etwas für Fotografen, insofern die Dokumentar- und Reportagefotografie vor allem in Amerika schon früh eine Art paralleler Polizeiarbeit war. Das Gegenteil davon ist dann die künstlerische Fotografie, über die wir jetzt sprechen wollen, Stefan Koldehoff, weil die wichtigste fotografische Sammlung in Deutschland jetzt ihren Reichtum in einer Ausstellung mit dem Titel "Der Mensch und seine Objekte" vorzeigt. Und jetzt sage ich noch, wo sich die Sammlung befindet, nämlich im Museum Folkwang in Essen. Warum eigentlich gerade da, wie kam es dazu?

    Stefan Koldehoff: Das hängt damit zusammen, dass es die Folkwang-Schule gab, dieses interdisziplinäre Institut, an dem Tanz, aber eben auch Fotografie und so vieles andere gelehrt wurde. Und da gab es den legendären Otto Steinert, der selbst Fotograf war, aber auch Fotopädagoge und sich der sogenannten sachlichen Fotografie verschrieben hatte, also ohne viel Schischi, ohne Inszenierungen einfach nur versucht hat zu fotografieren, was da ist. Natürlich ist das nie objektiv, natürlich spielt da auch Lichtwirkung und Schatten eine Rolle, und wie man die Sachen im Bild anordnet, aber es heißt eben sachliche Fotografie.

    Und dieser Otto Steinert war derjenige, der ab 1958 schon jährlich im Folkwang-Museum Fotoausstellungen veranstaltet hat. Das war keine Selbstverständlichkeit, denn dass die Fotografie im Museum einen Platz hat, das ist lange bestritten worden. Sie haben es gerade selbst gesagt: Fotografie galt als Gebrauchskunst für die Werbung, natürlich die Schnappschüsse für den privaten Gebrauch, aber mit Kunst hatte das bis weit in die 70er Jahre hinein überhaupt nichts zu tun. Und da war tatsächlich das Museum Folkwang und da war Ute Eskildsen, die wirklich fantastische Fotokuratorin dieses Hauses, unter den Ersten, die eine eigene Abteilung 78 dafür dann auch eingerichtet haben.

    Müller-Ullrich: Ich nehme an, der Titel "Der Mensch und seine Objekte" – genau in dieser Spannbreite - will was sagen: Der Mensch, damit hat es ja begonnen, mit im Grunde Fotografie als Malerei mit anderen Mitteln – Porträts.

    Koldehoff: Genau so ist es gewesen, und dann kam aber irgendwann natürlich im Zuge der Industrialisierung die Warenwelt hinzu, die Frage, wie werden Dinge hergestellt, was wird hergestellt und was macht der Mensch damit. Und da kommen wir dann jetzt wieder zu Otto Steinert zurück. Er ist einfach nach wie vor der nicht mehr prägende, aber doch über allem schwebende Übervater der Fotografischen Sammlung in Essen. Das waren seine großen Themen: das Porträt und die Fotografie der Dinge – Stillleben zu sagen, wäre schon fast etwas zu weit gegriffen. Und das dekliniert diese Ausstellung nun tatsächlich vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart durch an diesen beiden Themen.

    Man hätte natürlich auch noch Architektur machen können, man hätte noch Landschaft machen können, hat sich aber bewusst auf diese beiden Dinge konzentriert, und da geht es dann tatsächlich bei den ganz frühen, bei William Henry Fox Talbot los und bei den Brüdern Bisseau, die Paris im 19. Jahrhundert fotografiert haben, geht dann über die großen deutschen Fotografen wie Hugo Erfurt, August Sander, weiter bis hin in die amerikanische Street Fotography, Robert Frank, Winogrand und andere, Diane Arbus, die sich dann als eine der ersten Fotografinnen eigene Themen gesetzt hat, beispielsweise Zwillinge fotografiert hat oder Menschen, die wir heute als Behinderte bezeichnen würden - Freaks hat sie sie damals genannt - fotografiert hat. Und das Ganze endet tatsächlich mit dem Fotographen Tobias Zielony, Jahrgang 1973, in Wuppertal geboren, der seine eigene Generation fotografiert hat und auch damit inzwischen museumswürdig ist.

    Das heißt, diese Ausstellung leistet eigentlich dreierlei: Erstens führt sie noch mal vor Augen - denn Ute Eskildsen, die viele dieser Fotografen zum allerersten Mal gezeigt, sozusagen fast entdeckt hat, geht bald in den Ruhestand -, wie fantastisch diese Sammlung ist, wie wichtig es ist, dass Museen auch Fotografie sammeln. Zweitens haben wir eine Art Parcours durch die gesamte Fotografiegeschichte, und wenn man das konzentriert auf diese zwei Motivsorten, nämlich Porträt und Fotografie der Dinge, dann ist es um so schöner nachvollziehbar. Und drittens ist es einfach eine große Lust zu sehen, wie sich die Fotografie entwickelt, wie in den 70er Jahren plötzlich irgendwann die Farbe dazukommt, wie man dann anfängt, wieder zu inszenieren. Also ich bin überwältigt.

    Müller-Ullrich: Noch ein letztes Wort zur Farbe, weil wir ja so in der Geschichte sind. Was kommt da plötzlich in die Fotografie?

    Koldehoff: Etwas merkwürdig Banales zunächst mal. Wenn Leute wie William Eggleston oder Stephen Shore Landschaften fotografieren oder durch ein Flugzeugfenster ein Whiskyglas, ist es ganz banal, aber gerade im Banalen liegt ja manchmal der größte Reiz.

    Müller-Ullrich: "Der Mensch und seine Objekte" in der Fotografie – das ist eine Ausstellung im Museum Folkwang. Danke, Stefan Koldehoff.

    Link zur Ausstellung "Der Mensch und seine Objekte".