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Pardon, sind Sie der Graf von nebenan?

Mithoffen, mitzittern, mitfühlen sollen die Leser der Heftchenromane, wenn sie die Schicksalsschläge von Heldinnen wie Gloria von Felseneck, Bianca Maria oder Katja von Seeberg verschlingen. Fürstinnen und Barone, Liebe und Luxusschlösser gehören zu den Geschichten dazu, die sich tausendfach verkaufen.

Von Hartmut Kasper | 07.08.2008
    Die Welt der Fürsten und Fürstinnen, der Barone und Baronessen, der Grafen der Gräfinnen scheint heute ebenso entrückt wie nahe gebracht.

    Entrückt, denn anders als in den großen Monarchien, die unserer Republik benachbart sind, spielt der heimische Adel in der öffentlichen Wahrnehmung kaum noch eine Rolle.

    Zwar finden sich etliche adlige Namen im Parlament, im Offizierskorps und in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft.

    Zwar wirkt der "Verein Tradition und Leben", der es landesweit auf fast 200 Mitglieder bringt, unermüdlich für die Wiedereinführung der Monarchie in Deutschland. Aber insgesamt macht sich der Adel hierzulande doch eher rar.

    Nahe gebracht, ja näher als zu jeder anderen historischen Epoche, wird der Adel von der Regenbogenpresse, von den Goldenen Blättern und bunten Illustrierten, wo er sich den Platz allerdings mit Zelebritäten aus dem Showbusiness oder dem Sport teilen muss.

    Seit über 40 Jahren bietet ein literarisches Medium tieferen Einblick in den Adel, in sein Liebes- und Seelenleben nämlich: der Heftroman.


    Bastei- und Kelter-Verlag sind die unbestrittenen Marktführer dieses Genres, dessen Reihen "Fürsten-Roman" heißen, "Fürstenkrone", "Der kleine Fürst", "Fürstenkinder" und "Königshäuser" - wahrlich eine literarische Rundumversorgung. Worum geht es in dieser belletristischen Hofberichterstattung? Hier ist eine Frau, die es wissen muss:

    "Mein Name ist Elfie Ligensa. Ich bin Cheflektorin beim Bastei-Lübbe Verlag und eigentlich zuständig für die Spannungs- und die Liebesromane. Liebe ist spannend, ist dramatisch, ist bewegend. Aber es hat sich bei uns dieser Begriff eingebürgert. Früher hieß es Frauen- und Männerromane, jetzt sagen wir romantische Serien oder Frauenromane und Spannungsromane."

    Gibt es für Adelsromane keinen besonderen Fachbegriff?

    "Nein, es läuft wirklich unter Liebes- oder Fürstenroman. Die Adligen im Fürstenroman das ist der Hochadel. Und es ist, glaube ich, für einen normalen Konsumenten immer noch sehr spannend, diesen Blick hinter die Kulissen zu tun. Sie brauchen eigentlich nur 'Gala', 'Bunte' aufzuschlagen, 'Frau im Spiegel', und sie haben unsere modernen Adligen, die wirklich jeder für sich eine Geschichte erzählt: ein Märchen, ein spannendes Erleben, und das empfinden wir in irgendeiner Weise nach."

    Die Autorinnen der Fürstenromane heißen - oder nennen sich - Lydia von Carmin, Gloria von Felseneck, Bianca Maria, Katja von Seeberg, Lore von Holten oder Ursula Freifrau von Esch - und die Namen klingen, als vermöchten die Autorinnen ohne weiteres aus dem fürstlichen Nähkästchen zu plaudern. Und tatsächlich:

    "Ich habe eine echte Baronin, die wunderschöne Liebesromane schreibt. Sie hat ein Pseudonym, aber natürlich auch ein adliges. Sie garantiert mir natürlich ganz authentische Geschichten. Diesen Stammbaum, den sie schildern kann, das ist natürlich etwas ganz besonderes."

    Schreiben nur Frauen für diese Serien?

    "In diesem Segment sind es hauptsächlich Frauen, die schreiben. Wenn Sie wissen wollen, warum dass so ist: Ich glaube, es hat viel mit der Beschreibung von Kleidung, von Interieurs zu tun. Das können Frauen besser als Männer."

    Isabella von Mergentheim entschloss sich für ein eng anliegendes Wollkleid in leuchtendem Smaragdgrün mit einer schwarzen Lederapplikation auf der linken Schulter, die zwischen funkelnden Pailletten verführerisch ihre Haut durchschimmern ließ.

    Sieht so die Dienstkleidung der Romanprinzessinnen aus? Oder sind Adelsromane im Kern Modenschauen?

    "Sie sind Märchen, weil es diesen Adligen, der in seinem Schloss lebt wie in einem Elfenbeinturm, nicht mehr gibt, und darum ist es doch hier in den letzten Jahren doch etwas anders geworden mit unseren Inhalten. Da sind die Adligen zwar immer noch der Hochadel, der gerne unter sich bleibt, aber es sind viele dem wirklichen Leben nachempfunden, die einen Beruf haben, die um ihre Existenz, um den Erhalt ihres Besitzes kämpfen."

    Der Adel heute ist als Ganzes in Deutschland nicht mehr handlungsmächtig. Nach dem ersten und dem zweiten Weltkrieg erscheint er wie eine gesellschaftlich außer Kraft gesetzte Klasse - da mag es den einen oder anderen prominenten adligen Politiker und Wirtschaftsführer geben oder nicht.

    Aber vielleicht hat gerade dieses Außergebrauchsein seine Attraktivität nicht unwesentlich erhöht. So wie ja auch Dampfwalzen, Kaffeemühlen oder Fördertürme erst in ihrer ganzen Schönheit sichtbar werden, wenn sie nicht mehr in Betrieb sind.
    Überdies wirkt Adel scheinbar Wunder, feit auf gewisse Weise gegen den sozialen Abstieg. Geld und weltlicher Besitz lassen sich verlieren. Herkunft nicht.

    Doch für die Leser wäre sowieso nicht der wirtschaftliche Existenzkampf der Damen und Herren von Stand der Hauptanreiz zur Lektüre, sondern der Fürsten und Fürstinnen Alltag, ihr Liebesleben und ihre Garderobe.

    "Man muss schon die Kleider schildern, oder wenn man historische Geschichten oder den Rittersaal schildert, dass das wirklich wichtig ist. Und das machen die Frauen schon, oder die Schreiber schon. Früher war schon der Gotha ganz wichtig, da haben sich viele doch dran gehalten. Inzwischen kann man natürlich im Internet wunderbar recherchieren."

    Recherchieren wir auch, und blättern in dem Fürstenhefte, aus dem wir eben das Wollkleid in lichtem Smaragd herausleuchten sahen, in Ursula Freifrau von Eschs Roman "Wie ein Märchen aus 1001 Nacht":

    Isabella ist "die schöne Prinzessin Mergentheim", die von dem schönen Fürsten Georg von Langenburg geliebt wird. Isabella ist zwar nicht dem Fürsten abgeneigt, wohl aber einer frühen Heirat: Sie will zunächst als Journalistin Karriere machen und schreiben. Ihre Haut ist blass, ihr Haar schimmert golden. Isabella ist "eigenwillig und kapriziös". Deswegen fasst sie eines Tages den Entschluss, nach Marokko zu reisen, um sich Anschauungsmaterial für einen Roman zu beschaffen. Sie reist allein. Aber auch nicht, weiß sie doch:

    "Das mit den Harems ist doch alles nur Gerede. Sicher gibt es sie noch! Aber genauso sicher verschleppt man da heute keine blonden Europäerinnen mehr."

    Ein paar Seiten, einen Steinschlag, einen Unfall mit dem selbst gesteuerten Jeep und eine Rettungsaktion durch einen marokkanischen Berber-Häuptling später sitzt die schöne Isabella in dessen Wüstenschloss und soll in den Harem seines Sohnes wandern.

    Der Sohn - der Wüstensohn - ist schön und ziemlich gentlemanlike, schließlich hat er in Oxford studiert. Er lächelt raubtierhaft. Isabella sieht es, schmilzt dahin und ist plötzlich "besessen von dem Wunsch, die Frau des Sohnes eines" Berber-Häuptlings zu werden. Von Eigenwilligkeit und Kapriziösität ist keine Rede mehr. Danke, Wüstensohn.

    Der schöne Prinz aber heiratet lieber Leila, die Tochter des hiesigen Königs, und schickt Isabella unbeschädigt und intakt zu ihrem Fürsten Langenburg zurück. Der nimmt sie gnädig in Empfang. Isabella, durch die marokkanischen Episode geläutert, flüstert nur noch "Ach, Georg", klammert sich an ihn, stammelt und schluchzt und wischt sich die Tränen mit dem fürstlichen Taschentuch von den Wangen und hat überhaupt keine Lust mehr, irgendetwas zu schreiben.

    Fürst Georg ist es zufrieden:

    "Hauptsache, du bist heimgekommen, zu mir." - "Ja, Georg", erwiderte sie und legte ihre Hände in die seinen. Sie war heimgekommen.

    Heimgekommen aus Marokko. Warum Marokko? Warum nicht Gelsenkirchen?

    "Es ist ganz angenehm, wenn ein bisschen Exotik dabei ist, aber die Protagonisten selbst sind Deutsche, einfach damit jeder Leser es gut nachempfinden kann. Aber genauso schön ist es, wenn sie durch die Gegend reisen und eine kleine Schilderung anderer Länder und Gebräuche dabei ist. Das erhöht den Reiz."

    Werfen wir also einen Blick auf Isabellas Reiseroute von erhöhtem Reiz:

    Als erstes fuhr die Prinzessin zum königlichen Palast, doch war dieser zu modern, zu wenig märchenhaft. Dagegen war sie hingerissen vom sogenannten Hassansturm, der, 44 Meter hoch, als Minarett für eine riesige Moschee gedacht gewesen war, die jedoch nie fertig gestellt wurde.
    Der nächste Tag sollte sie bis nach Fés bringen. Fés ist die vornehmste der vier Königsstädte Marokkos. Man nennt sie den Born der Weisheit, denn sie ist heute noch der Mittelpunkt des Geisteslebens in diesem Land.


    Das hätte ein Prospekt für Pauschalreisende kaum weniger charmant schildern können.

    Auf dem Titelbild des Romans findet sich aber keine Spur von Moschee und Kasbah, von Leila oder Wüstensohn: ein adrettes europäisches Pärchen steht, die Cocktailgläser in der Hand, auf einer Veranda und lächelt schamlos in den Sonnenuntergang.

    Sind Titelbilder von Bedeutung für den Verkauf des Romans?

    "Das ist das allerwichtigste, das ist der Eyecatcher, nach dem jeder erstmal greift. Titelbild, Titel - und weil das so ist, legen wir da ganz besonders viel Wert drauf. Ich mache gerne schon Titel und Unterzeile, lege auch das Bild fest, wenn ich besonders schöne Titelbilder habe. Und gebe die an Autorinnen, die auf diese Weise gerne arbeiten."

    Es ist oft Abend auf den Titelbildern, die bei allen Adelsromanen in einen goldenen Rahmen gefasst sind. Man sieht eine nicht zu tief dekolletierte junge Frau oder ein junges Paar um die 30, die der Dinge zu harren scheinen, die da kommen sollen: Aufrecht stehen sie meist, oft aneinander gelehnt, sind niemals in Bewegung, niemals auf der Flucht. Sie haben sich und ihren Platz gefunden. Sie werden bleiben, wo und wie sie sind.

    Dürfen sie nichts in Frage stellen? Gibt es verbotene Zonen für die schönen Menschen? Gibt es Tabus in ihren Schicksalsgeschichten?

    "Es gibt keine feste Liste, aber die gibt es in meinem Kopf, und jeder, der mich danach fragt, bekommt es gesagt: Religion ist zum Beispiel ein Tabu-Thema, oder auch Rassismus in seiner schlimmsten Form, die kann man nicht Ausdiskutieren, auf dieser eben schon gar nicht, und die gehören da nicht hin."

    Wenn das die Don'ts sind, gibt es auch Dos? Gibt es eine Blaupause für einen guten Adelsroman?

    "Es wäre schön, wenn man das so pauschalisieren könnte. Nein, ich finde, ein gelungener Adelsroman - das gilt aber für alle Sparten - ist ein Roman, der mich fesselt, der spannend ist, der bewegt, der eine Geschichte erzählt, die gerne auch etwas außergewöhnlich sein darf. Und der aber eben dieses tiefe Mitempfinden nicht zu kurz kommen lässt."

    Die Titel der Romane klingen immerhin wie aus wenigen bewährten Bauteilen zusammengepuzzelt:

    "Sandra und der einsame Prinz", "Ein Prinz fürs ganze Leben", "Der Prinz und das Waisenkind", "In den falschen Prinzen verliebt", "Der Prinz, der heimlich Rosen schenkte", "Entscheidung im Rosenparadies", "Wohin gebrochene Herzen gehen", "Kehr zurück ins Schloss, Maren", "Silvesterball im alten Schloss", "Mit einem Kuss beginnt ein neues Leben".

    Man könnte sich den Spaß machen, aus "Prinz" und "Schloss" und "Kuss" und "Rosen" immer neue Fürstenroman-Titel zu generieren und den ewigen Prinzen auf Kusstournee in alle Dornrosenschlösser dieser Welt zu schicken.

    Aber damit würde man die großen Versprechen, um nicht zu sagen: die Verheißungen kaschieren, die in diesen Titeln stecken:

    Wer immer mühsam und beladen ist, wessen Herz gebrochen ward und wer diesen Herzensbruch als Quellgrund seiner Passionen pflegt, der soll, so die Verheißung, nicht verzagen. Der Fürsten-Roman weiß, wohin gebrochne Herzen gehören: heim ins Schloss nämlich, und dort ins Rosenparadies, ins Paradies mithin, wo der Prinz der in der argen Welt verblassten Seele mit einem Kuss neues Leben einhaucht.

    Vielleicht ist das einer der Gründe, warum die Religion in dieser Art von Unterhaltungsliteratur tabuisiert wird: Religion wäre etwas wie eine Konkurrenz für diese Figuren, die ineinander Erlösung finden und das Paradies im Rosengarten ihrer Schlösser. Heile Welt?

    "Auch Fürstenkinder kennen Tränen und die Sehnsucht nach erfüllter Liebe" - weiß jedenfalls die Homepage des Bastei Verlags zum Stichwort Fürstenroman zu sagen. Und weiter:

    Denn oftmals ist das Leben im goldenen Käfig sehr viel schwieriger, als der "Normalbürger" es sich vorstellt - und der Weg ins Glück ist dann besonders steinig.
    Der 'Fürsten-Roman' entführt mit großartigen Geschichten in die Welt des Hochadels. Und eines wird dabei deutlich: Hinter den noblen Schlossfassaden wird genauso geliebt, gelitten und um das Glück gekämpft wie anderswo!


    Janusgesichtig also ist der heftromantische Adel: Einerseits ist sein Leben im güldenen Käfig schwieriger, als wir Normalsterblichen es in unserer Unkenntnis vermuten. Andererseits wird dort oben auf den Schlössern, in den Burgen genauso geliebt und um das Glück gekämpft wie hienieden.

    Im Emotionalen also wären wir gleich und gleichrangig. Und über diese emotionale Gleichrangigkeit findet denn auch der Transfer des Lesers in die adlige Märchenwelt statt.

    In ihrem Beitrag zur Aufsatzsammlung "Die schwere Kunst der leichten Unterhaltung" - einer Dokumentation des Podiumsgespräches, das im Jahr 2004 im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland stattfand - schreibt Elfie Ligensa:

    Gefühle müssen sein. Romantik hat ihre Berechtigung.

    "Gefühle müssen sein." Nun ist es eine menschliche Eigenart, Gefühle nicht nur realen Personen gegenüber empfinden zu können, sondern sich auch fiktiven Charakteren gegenüber emotional zu engagieren. Der Mensch vermag mit einem geschauspielerten Faust, seinem geschwängerten Gretchen oder einem verwaisten Clownsfischchen aus dem Trickfilmstudio ebenso mitzuempfinden wie mit dem kranken Nachbarn aus der realen Nachbarschaft. Vielleicht sogar besser.

    Die Fürsten-, Kronen-, Prinzen- und Prinzessinnenromane bieten emotionale Partizipation, Teilhabe am Leid und an der glücklichen Behebung des Leides in höheren Sphären, an Entrückung aus den Niederungen und Plagen des Alltags, an dem alles verklärenden Kuss im königlichen Rosengarten.

    Wenigstens hier also, in den weitläufigen Parks und Heilslandschaften der Adelsromane, darf die Leserin an den durch seinen Adel Erhabenen herantreten und ihn untertänigst fragen:

    "Oh pardon, sind Sie der Graf von Luxemburg? Oh pardon, sind Sie der große Mann von Welt?"