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Paris 1400

Paris um das Jahr 1400. Das lässt an eine düstere Epoche denken: der gerade zwanzig jährige französische König beginnt allmählich dem Wahnsinn zu verfallen, seine Frau Isabeau von Bayern übernimmt die Regierung des vom hundertjährigen Krieg geschwächten Frankreich und die Engländer machen sich immer breiter auf dem Kontinent. Doch in Paris, der damals größten Stadt Europas, blüht die höfische Kunst wie nie zuvor. Zum Neujahrstag des Jahres 1405 schenkt Isabeau ihrem Mann das berühmte "Goldene Rössl" , ein 62 Zentimeter hohes Altärchen, das als unerreichtes Prunkstück der Goldschmiedekunst gilt. Für die Schau im Louvre kommt das Rössl nun erst mal wieder zurück nach Frankreich. Das ging allerdings nicht ohne ein paar Querelen mit dem Wallfahrtsort Alt-Ötting von statten, dessen Stadtväter es eigentlich gut gefunden hätten, wenn sie im Sinne des Tourismus - als Gegenleistung für die wertvolle Leihgabe - Alt-Ötting im Louvre einem breiteren französischen Publikum hätten präsentieren dürfen - oder ansonsten wenigstens - quasi im Austausch - ein Stück aus dem Louvre in Bayern hätten ausstellen können.- Daraus wurde schließlich doch nichts - nur das Rössl reiste nach Paris.

Von Björn Stüben |
    Der Auftakt ist königlich. In der "Hall Napoleon", den unterirdischen Wechselausstellungssälen des Louvre empfangen jetzt Karl VI. und zwei Edeldamen seines Hofes den Besucher. Sie sind lebensgroß, jedoch nur Gipsabgüsse nach den originalen, sechs Jahrhunderte alten Steinskulpturen am Justizpalast von Poitiers. Hinter ihnen spannt sich ein die Raumhöhe ausfüllender Stoffvorhang, bedruckt mit einer der ersten Darstellungen eines Stadtplans von Paris. Elisabeth Taburet, Chefkonservatorin der Kunstgewerbeabteilung des Louvre hat den Ausflug ins französische Mittelalter inszeniert. Wohin geht die Reise?

    Die Ausstellung versucht, sich der Epoche um das Jahr 1400 anzunähern. Konzentriert haben wir uns dabei auf eine einzelne Stadt und einen präzisen Zeitraum, nämlich auf das Paris zur Zeit der Regentschaft Karls VI. zwischen 1380 und 1422. Paris ist damals nicht nur die Hauptstadt eines der bedeutendsten Königreiche des Westens, es ist auch die an Einwohnern reichste Stadt Europas und es verfügt zweifellos auch über die größte künstlerische Ausstrahlungskraft. Das belegen Chronisten, die z.B. vom Besuch des böhmischen Königs in Paris berichten, der völlig geblendet von der dortigen Kunstproduktion alle für den französischen Hof arbeitenden Künstler am liebsten hätte mit zurück nach Böhmen nehmen wollen.

    Schnell wird verständlich, was einst den Neid des böhmischen Monarchen weckte. Goldene Zepter und steinerne Grabmäler, massivgoldene Reliquiare und illuminierte Handschriften, marmorne Madonnen und bemaltes Fensterglas, wollene Wandbehänge und perlenbestückte Spangen. 270 Originale sind versammelt. Entstanden in einer Zeit, von der die Geschichtsbücher wenig Gutes zu berichten wissen. Schlecht soll es gestanden haben um Frankreich, dem eine Jungfrau in Orleans zu Hilfe eilen musste, um die Engländer zu vertreiben und den rechtmäßigen Thronfolger zur Krönung zu bewegen.

    Dieses Bild ist nicht falsch, aber vielleicht etwas verzerrt. Sicher wurde am Ende der Regentschaft Karls VI., vor allem seit der verheerenden Niederlage der französischen Truppen gegen die Engländer bei Azincourt 1415 auch das künstlerische Schaffen in Paris erschüttert und dessen Niedergang eingeläutet. Aber was immer übersehen wird, ist, dass zu Beginn der Regentschaft und bis über das Jahr 1400 hinaus Frankreich wirtschaftlich und kulturell enorm florierte.

    Da Karl VI. nach dem Tod seines Vaters zunächst noch zu jung ist zum Regieren, sind es seine Onkel, die dies für ihn übernehmen. Großzügig in die Kunst zu investieren stärkt dabei ihr Selbstbewusstsein als königliche Platzhalter. Volljährig geworden steigt dann Karl VI. zum größten Kunstförderer auf. In der Ausstellung sticht eine Madonna mit Kind hervor, lebensgroß und aus Marmor gehauen. Sie ist nicht gekrönt und der Jesusknabe wendet sich ab, scheint den Armen der Mutter entkommen zu wollen. So viel Sinn für Naturbeobachtung kannte bis dahin nur die Antike.

    Am französischen Hof wurden damals Übersetzungen antiker lateinischer Texte in Auftrag gegeben oder bereits übersetzte Werke neu abgeschrieben und anschließend bebildert. Diese illuminierten Handschriften, die ein aufkeimendes Interesse an der Antike spiegelten, waren der Anlass, auch formal eine neue Bildsprache zu entwickelten. Das Ergebnis war eine allmähliche Wiederentdeckung der antiken Kunst und Kultur.
    Doch es gab noch andere Entdeckungen. Einzigartig ist die Email-auf-Gold-Technik, mit der die in einer Laube sitzende Madonna mit dem Kind dargestellt ist, zu deren Füßen Figuren knien und ein Reitknecht ein schneeweißes Ross im Zaum hält. Renate Eikelmann, Direktorin des bayerischen Nationalmuseums, über das so genannte "Goldene Rössl".

    Email "en ronde bosse" ist eine Technik, die am französischen Hof entwickelt wurde... bunt geschmückt wie z.B. bei einer Skulptur.

    Das Neujahrsgeschenk, das Isabeau von Bayern ihrem Mann Karl VI. einst machte und das nach genau 600 Jahren von seinem heutigen Aufbewahrungsort in Altötting jetzt zum ersten und sicher letzten Mal wieder an den Ort seiner Entstehung gereist ist, vereint in sich, was die Kunstproduktion in Paris um 1400 ausmachte: große Phantasie und Könnerschaft. Die Louvreausstellung ist die perfekte Hommage.