Freitag, 03. Mai 2024

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Paris Bar

Natürlich war die PARIS-BAR schon vor dem Jahr 1989 ein Bombenerfolg. Aber erst in der Zeit danach, in den 90er Jahren, wurde das Berliner Restaurant, was es heute ist: eine Legende, das heißt, ein von topographischen und soziokulturellen Gegebenheiten unabhängiger Ort und als solcher ein Objekt der Geschichtsschreibung zu Lebzeiten. Bis 1989 hätte man glauben können, daß alle Welt nur deshalb in die PARIS-BAR rennt, weil diese erstens wunderschön ist, man dort zweitens viele berühmte Leute sieht und so unberühmte wie sich selbst, und die PARIS-BAR drittens in der Nähe des Savignyplatzes liegt, an welchem seit den 70er Jahren in unüberbotener Dichte das Milieu der westdeutschen Linksintellektuellen zuhause ist.Nun erlebte dieses Milieu nach der Wiedervereinigung der Stadt in schmerzhafte Unter- und Abwanderungen durch und in den Osten, und der alte Westen um den Savignyplatz erlitt einen Verlust an Charisma und Magnetismus.Aber: Die PARIS-BAR blieb nicht nur, was sie war. Sie strahlte, je mehr Lichter um sie herum erloschen, nur um so heller. Ihr zeitloser Charakter trat erst jetzt richtig hervor. Und erst jetzt erwies sich ihre singuläre Stellung. Es kann vorkommen, daß man sich mit Bekannten "in Mitte" zum Essen verabredet und dabei offenläßt, ob man zuguterletzt ins "Sale e tabacchi", zu "Borchardt" oder in eins der feinen Dinger am Gendarmenmarkt geht. Es ist aber völlig ausgeschlossen, sich in der Gegend der Kantstraße zu verabreden, um nach gewissem Hin und her in der PARIS-BAR zu landen. Wer die PARIS-BAR betritt, wer von Los Angeles, von Tokio oder vom Schöneberg aus einen Tisch reservieren läßt, hat dieses und kein anderes Restaurant im Auge und er weiß, was er tut. Er betritt eine Bühne der Gesellschaft. Und daran, an ihrer Theaterhaftigkeit erweist sich das inzwischen tautologische Wesen der PARIS-BAR.

Ursula März | 21.11.2000
    Sie ist zeitlos, weil sie eine Bühne ist. Und sie ist eine Bühne, weil sie zeitlos ist, darin nur sehr wenigen Cafes und Restaurants wie etwa der Pariser "Coupole" und dem " Caffe Greco" vergleichbar.

    Soviel zur Theorie. Nun zum Konkreten: Wer ist die aparte blonde Frau Mitte dreißig, die am Tisch neben Michael Naumann sitzt, mit der er sich aber nicht unterhält. Oder sie nicht mit ihm ? Es gibt ja Männer, die, so seltsam das klingt, zu eitel zum Flirten sind. Andererseits ist das Sitzen und normale Plaudern neben Prominenzen generell schwierig. Vielleicht muß sich die blonde Frau einfach ein bißchen vom Staatsminister für Kultur erholen und widmet sich deshalb ihrem Nachbarn zur Linken. Sie sitzt mit ihm an einem Tisch. Mit Naumann genau betrachtet nicht. Die Tische stehen nur so eng aneinander, daß sich auf dem Foto der täuschende Eindruck ergibt, die Blonde gehöre in irgendeiner Weise zu Michael Naumann. Sie tut es nicht. Sie kennt ihn vermutlich und er sie nicht.Schade, denn richtig fröhlich hat man den Mann genau betrachtet noch nie gesehen, höchstens auf eine sehr kultivierte Weise amüsiert.

    Genau betrachtet hätte man sich das Buch über die PARIS-BAR, das ein Foto mit dem gesellig speisenden Michael Naumann enthält, ein bißchen anders gewünscht. Weniger Kunst und Theorie. Dafür mehr Konkretes und mehr Klatsch. Als Legende aber sind sich die PARIS-BAR und ihr grandioser, aus der Wiener Kunstszene stammender Wirt Michel Würthle etwas schuldig, nämlich einen luxuriösen Bild- und Prosaband. Man trifft auf liebevolle Huldigungen von Heiner Müller bis Hannelore Elsner, von Markus Lüpertz bis Götz George, Robin Hemingway und Wolfgang Joop, auf kluge Auskünfte vom Herausgeber Würthle über die Geschichte seines Restaurants, das 1950 von dem französischen Besatzungssoldaten Jean Coupy geschaffen wurde, sich in den anschließenden Jahren Ruhm als gehobenes Bohème- und Studentenlokal erwarb, 1979 durch die Vermittlung Otto Schilys in die Hände der Wienfraktion kam und frisch frisiert zur eigentlichen Karriere ansetzte. Vor allem sieht man Bilder, die vielen Bilder und Objekte, mit denen die ockerfarbenen Wände der PARIS-BAR vollgehängt sind, und Bilder der Künstler, die sie geschaffen haben. Der ganze, auffallend hochwertige Band ist ein Blick aufs Bühnenbild, kein Hörspiel aus den Kulissen. Das Privatleben von Staatsministern geht einen ja auch wirklich nichts an.