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Paris hören und krank werden

Technik. - Nicht Beben-Gefahren oder Sorgen vor Jahrhunderthochwassern treiben den französischen Hauptstädtern Sorgenfalten auf die Stirn, es ist der Lärm in Paris, der geradezu nach Maßnahmen schreit. Durch den beeindruckenden Schallpegel tragen Einwohner immer öfter gesundheitliche Schäden davon und verlangen nach Abhilfe. Forscher erarbeiteten aus diesem Grund eine Schallschmutz-Karte von Paris.

    Den Boulevard Raspail und die Rue de Bercy trennen keine zwei Minuten Fußweg und doch liegen Welten dazwischen. Denn während auf dem Boulevard ein ohrenbetäubender Lärm herrscht und das nahezu 24 Stunden am Tag, geht es in der Rue de Bercy geradezu mucksmäuschenstill zu. Ein Bild davon können sich auch Ortsfremde verschaffen und müssen dazu dennoch nicht anreisen. Denn seit kurzem bietet die Pariser Stadtverwaltung den Lärm geplagten Bürgern im Internet eine interaktive Lärmkarte an, auf der aktuelle Brennpunkte der akustischen Katastrophe verzeichnet sind. Sogar dreidimensional kann der Krach dabei veranschaulicht werden.

    Die so genannte "Cartographie du bruit" bescheinigt etwa der Rue de Bercy im Viertel Luxembourg in gelber Farbe, dass der Geräuschpegel hier 55 Dezibel nicht übersteigt. In tiefem rot erscheint dagegen der Boulevard Raspail - das entspricht mehr als 90 Dezibel. Es sei dringend an der Zeit, dagegen etwas zu unternehmen, konstatiert Verkehrsassessor Yves Contassot: "Paris ist zu laut und so haben wir uns entschieden, alle Straßen unserer Stadt auf ihren durchschnittlichen Geräuschpegel hin zu untersuchen. Über Computer und CD-Rom können diese Daten jetzt abgerufen werden. Wir wissen jetzt exakt, wo es wie laut ist. Bis 2007 will Paris die besonders lauten Strassen verkehrstechnisch entlärmen." Zwar liegt die physiologische Schmerzgrenze für Lärm bei 130 Dezibel, doch eine stete Schallquelle mit einem Schalldruck von rund 85 Dezibel kann durchaus Gehörschäden und ebenso psychische Beeinträchtigungen verursachen. Anhand der Karte dürfte Psychiatern und Ohrenärzten demnach so bald kaum die Kundschaft ausgehen, denn etwa 40 Prozent aller Strassen in Paris überschreiten 75 Dezibel an Krach.

    Vier Jahre lang arbeiteten Wissenschaftler an dem beängstigenden Klang-Bild ihrer Stadt und der ersten ihrer Art überhaupt. "Auf zwei Wegen gelangten wir an die Daten. Einerseits registrierten mit Mikrofonen ausgerüstete Fahrzeuge pro Messpunkt einen Tag lang die Lärmentwicklung. Daneben führten wir mit eigens montierten Sensoren eine parallele Verkehrszählung durch", berichtet Contassot. Die städtischen "Lärmmobile" besuchten auch die kleinsten Straßen, um einen detaillierten Datenbestand zu erhalten. Eine spezielle Software namens "Siriatech" transformierte die Informationen schließlich in höchst anschauliche zwei- und dreidimensionale Bilder. Einen erheblichen Effekt zeitigte die aufwändige Forschungsarbeit bereits: angesichts der himmlischen Ruhe im Jardin de Luxembourg schnellten dort die Quadratmeterpreise für Wohnungen in die Höhe. Eine medizinische Arbeitsgruppe analysierte die Daten auf mögliche Folgen für die Gesundheit. Demnach gelten bestimmte stark frequentierte Verkehrsadern als durchaus gesundheitlich bedenklich. Schon bald, so versichert der Verkehrsassessor, werde man darangehen, diese Lärmbrennpunkte zu beruhigen. Doch wie das im Detail geschehen kann in der quirligen Metropole, das verrät er nicht.

    [Quelle: Thomas Migge]