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Paris und seine Sogwirkung auf deutsche Künstler

Unter dem Motto "Paris leuchtet" zeigt die Städtische Galerie Delmenhorst derzeit 170 Werke französischer und deutscher Künstler, die an das Heraufziehen der europäischen Moderne in Paris erinnern. Gewählt ist dabei die deutsche Sicht: Künstler wie Hans Purrmann, Rudolf Levy oder der Delmenhorster Maler Fritz Stuckenberg stießen vor 100 Jahren auf die Werke der Nabis, der Fauves und Kubisten.

Von Rainer Berthold Schossig | 24.11.2007
    Paris war nicht nur die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts. Frankreich, das Land der Peinture, im allgemeinen und Paris, die Metropole der Salons und der Avantgarden im besonderen - prägten auch darüber hinaus noch bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs die europäische Malerei der Moderne. Wie Motten vom Licht wurden die Künstler von der Kunstmetropole Paris angezogen, malende Italiener und Russen und nicht zuletzt Deutsche wanderten scharenweise in die Hauptstadt des Erbfeinds. Diesen Weg legt der Besucher der Delmenhorster Villa "Haus Coburg" mit wenigen Schritten zurück. Vorbei an alten Fotos von Montmartre und Moulin Rouge, der Place de l'Opéra und des Boulevard Montparnasse landet man direkt vor einem Pariser Stadtplan, auf dem die magischen Orte verzeichnet sind, wo man sich traf: Der Louvre und das Musée du Luxembourg, die Akademie Julien und die Malschule Colarossi, das Galeristen-Dorado der Rue Laffitte oder das Café du Dome.

    Die Ausstellung versucht nichts Geringeres, als jenes geradezu umwerfende Kunsterlebnis nachzuzeichnen, mit dem der Erleuchtung suchende Kunstadept von einst an der Seine konfrontiert war. Stichjahr ist 1907; damals traf der Delmenhorster Maler Fritz Stuckenberg Paris ein. Doch obwohl die Bilder des Delmenhorster Haus-Heiligen sich in nahezu allen Räumen finden, dominiert er die Ausstellung keineswegs. Vielmehr wird eine Art ideelles Gesamt-Panorama entwickelt, wie die Deutschen Kunstpilger jene Erfahrungen zu Bildern verarbeiteten, die sie damals in Paris machten:

    Da ist zunächst das Erlebnis der Stadt selbst, die Dächer von Paris, die Gassen und die Boulevards. Prächtiger Blickfang: ein großer "Blick durchs Fenster" von Friedrich Ahlers-Hestermann, der in seiner eigensinnigen Monumentalität Beckmann sehr nahe kommt. Die kaum bekannten Albert Weisgerber und Hugo Troendle überraschen mit so genau beobachteten wie großzügig hingeworfenen Studien aus Etablissements, Bistros und Cafés. Hier wilderten auch notorisch der Bulgare Jules Pascin und der böhmische Zeichner Emil Orlik. Natürlich waren die Brücken und Parks, die Strände und Ufer beliebte Schauplätze, für Rudolf Levy etwa oder Lionel Feininger, von dem eine Reihe betörender Blätter versammelt sind. Feininger interessierte sich damals für das Dämonische und Skurrile des Menschen in traumhaft-poetisch sich krümmenden offenen Räumen, und dafür bot Paris jede Menge Anschauungs-Material: Individuen, Paare und Passanten, Massen von Müßiggängern und Arbeitern, Musen und Modelle, samt neuester Moden und Marotten.

    Entsprechend setzt die Schau auch einen besonders vielfältigen Akzent aufs Menschenbild, auf Portrait und Selbstbildnis. Dass hier ein wichtiges Scharnier zu den französischen Vorbildern besteht, bemerkt man erst, wenn man die Remise der Delmenhorster Villa betritt, wo die Bilder der Pariser Vorbilder versammelt sind. Emile Bernard und Edouard Vuillard, Paul Cézanne und Henri Fauconnier sind mit charakteristischen Bildnissen vertreten; ebenso Braque und Derain. Mana entdeckt überraschende Holzschnitte von Raoul Dufy, sieht eher blasse Beispiele dagegen von Henri Matisse und Picasso, der bekanntlich 1907 sein skandalöses Programmbild der "Demoiselles d'Avignon" malte, ein Hauptwerk der Moderne, das für den äußerst beschränkten Etat der Städtischen Galerie Delmenhorstnatürlich unerreichbar war.

    Umso erstaunlicher, wie reich und vielfältig diese bewusst im Kammer¬musikalischen verweilende Ausstellung sich entfaltet. Und sie gibt wahrlich einen lebhaften Eindruck davon, wie den vor einhundert Jahren nach Paris wallfahrenden Künstlern aus Deutschland dort die Augen geöffnet wurden. "Zuerst waren der Eindruck mehr als verwirrend," schreibt der Delmenhorster Maler Fritz Stuckenberg am 22. September 1907 von Paris nach Hause; und er fährt fort: "Ich habe aber schon so viel Bedeutsames, vor allem in der Art der Lebensgegensätze und der malerischen Selbstverständlichkeit geschaut, dass ich glücklich bin, hier zu sein".

    Der so aufwendige wie aufschlussreiche Katalog zur Ausstellung enthält übrigens den kompletten Briefwechsel Stuckenbergs aus jenen Pariser Jahren. "Paris leuchtet" ist mehr als eine Ergänzung zu der populären Bremer Ausstellung "Paula in Paris". Aber gerade mit ihren kargen Mitteln, ihrer weitgehenden Beschränkung auf Grafik und Zeichnung sowie aufs kleine Format illuminiert die Delmenhorster Schau das magisch leuchtende Paris von 1907 umso heller.