Dichtung oder Wahrheit? Mit einiger Bestimmtheit läßt sich nur sagen, daß die akribischen erotischen Szenen des Buches - zum Schluß nahe an literarischer Pornographie - in ihrer Detailfülle keinesfalls dokumentarisch sein können. Niemand behält über vierzig Jahre lang Sinneseindrücke und Gefühle im Gedächtnis, allenfalls deren damalige intellektuelle Bewertung. Aber das führt auf die richtige Spur: Alles ist Pose an diesem Buch, und die Pose erzählt die eigentliche Geschichte. Hinter einem schier unfaßbaren Strom an Namen und Refe-renzen, soziologischen Exkursen und kulturkritischen Intermezzi verbirgt sich das Sombart-Projekt "Weiblichkeit". Um nichts anderes geht es ihm als um den unab-wendbaren, unaufhaltsamen Sieg des weiblichen Prinzips. Wie er aussieht, läßt sich in eine kurze Beobachtung fassen: Der Mann ejakuliert (eine Frage von Sekunden); die Frau erlebt die Lust (eine Frage von Minuten bis Stunden). Alle Frauengestalten in diesem Buch sind reine Männerphantasien, und das Schöne an ihnen ist, daß der Autor behauptet, er habe mit ihnen geschlafen, ergo den leiblichen Beweis ihrer Existenz beibringt. Herrscher der Welt ist, wer die Lust auf seiner Seite hat.
"Für mich ist die Frau, jedes weibliche Wesen für den Mann, potentielle Heilsbringerin. Im Ritual der sexuellen Vereinigung scheint das Heilige auf. (...) Ich denke hier ganz altmodisch biologistisch, sexistisch, durchaus anti-"dekonstruktivistisch". (...) Das ist nicht evident für jemanden, der aus Deutschland kommt. Ich habe es in Paris gelernt."
Nicht jedermanns Geschmack, schon gar nicht jeder Frau. Aber diese Pose, so abstoßend sie daherkommt, strahlt auch starke Faszination aus. Denn hier schreibt ein siebzigjähriger Grandseigneur - früher hätte er sich ganz unironisch "Frau-enkenner" genannt - unbeirrte Großbürgerprosa, die sich ausgerechnet den Bereichen widmet, die den eigentlichen Großbürgern als tabu galten. Gelernt hat Sombart in Paris etwas ganz anderes. Dem väterlich dominierten Deutschland, dem Männer- und Kriegersystem entkommen, findet er plötzlich ein mütterlich dominiertes Gesellschaftssystem vor. In den Clans der Oberschicht regieren Matro-nen; in den bürgerlichen Ehen ist die Doppelmoral des weiblichen Ehebruchs institutionalisiert und bleibt ungeahndet. Ja selbst die Geschichte der Soziologie erweist sich als Geschichte des weiblichen Einflußes. Ob es stimmt, bleibt unerheblich. Der Sehnsuchtsblick nach Weiblichkeit ergreift von Sombart so umfassend Besitz, daß ihm unter seinen Augen alles zur Frau gerinnt: die Gesellschaft, die Stadt Paris, die Wissenschaft, die Soziologie, kurzum: die Welt. Sich ihr nähern, heißt mit ihr schlafen. Die wohl dümmste Idee von Freud war der angebliche Penisneid der kleinen Mädchen; in Wahrheit prägt der Lustneid der Männer die Weltgeschichte. Wer die "Pariser Lehrjahren" liest, versteht, warum die männliche Emanzipation vor dem Orgasmus der Frau stets kapitulieren wird.